Fortbildung

Personalisierte Medizin bei psychischen Krankheiten

Genetische Polymorphismen und Metabolismus

Als 2001 zum ersten Mal ein menschliches Genom komplett entschlüsselt wurde, herrschte ein enormer Optimismus, dass sich durch genetische Informationen die Entstehung von Krankheiten besser verstehen lasse und neue Therapien möglich würden. Dieser Optimismus sei heute gedämpfter, erklärte Prof. Dr. Dr. Ingolf Cascorbi, Kiel. Genetische Informationen würden eher zur Verbesserung bereits bestehender Therapien eingesetzt.
Ingolf Cascorbi Foto: DAZ/wes

In der Genetik – auch in der Pharmakogenetik – steht heute die Bedeutung der Variabilität des menschlichen Genoms im Vordergrund. So wird untersucht, warum manche Wirkstoffe bei einigen Menschen sehr gut, bei anderen viel schlechter oder gar nicht wirken. Immer häufiger wird die Frage gestellt, ob es molekulare Marker gibt, die eine Vorhersage der Wirksamkeit erlauben und bei der Auswahl und Dosierung der Wirkstoffe berücksichtigt werden könnten.

Ziel: Verbesserung der klinischen Wirksamkeit

Heute sei das Ziel eher, die klinische Wirksamkeit zu verbessern oder unerwünschte Wirkungen zu vermeiden, erläuterte Cascorbi. Untersucht werden genetische Effekte auf die Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und bei Überempfindlichkeitsreaktionen. Bei der Pharmakokinetik interessieren vor allem Polymorphismen der metabolisierenden Enzyme, beispielsweise in den Cytochrom-P450-Enzymen. Hier gibt es die sogenannten Fast Metabolizer (schnelle Metabolisierer) und Poor Metabolizer (Menschen, die bestimmte Substanzen kaum oder nur sehr langsam verstoffwechseln). In der Pharmakodynamik geht es um Variabilitäten in den molekularen Targets von Substanzen. Diese legen fest, ob ein Patient auf einen bestimmten Wirkstoff anspricht (Responder) oder nicht (Non-Responder).

Einfluss auf Wirksamkeit

Dass solche genetischen Variabilitäten nicht nur von akademischem Interesse sind, zeigt die Pharmakotherapie psychischer Erkrankungen. So wird Haloperidol, wie viele andere Neuroleptika, über das Cytochrom P450 2D6 (CYP2D6) verstoffwechselt, von dem ein ausgeprägter Polymorphismus bekannt ist: Manche Menschen haben nur ein oder gar kein CYP2D6-Allel in ihrem Genom, sie können CYP2D6-Substrate also nur sehr langsam abbauen. Andere Menschen haben drei oder mehr Allele (Gen-Duplizierung). Diese sogenannten Ultra Rapid Metabolizer bauen entsprechende Substanzen also viel schneller ab.

Das Beispiel Risperidon zeigt dagegen, dass der gesamte Metabolismus einer Substanz betrachtet werden muss. Denn der entstehende Metabolit 9-Hydroxy-Risperidon ist immer noch aktiv, ist aber ein Substrat des P-Glykoproteins. Dieser Transporter befördert den aktiven Metaboliten sehr schnell aus dem ZNS. Dadurch haben Fast oder Ultra Rapid Metabolizer eine verringerte Risperidon-Wirkung, da der (schneller entstehende) Metabolit nicht am Wirkort verbleibt.

… und Nebenwirkungen

Auch unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind mit Polymorphismen assoziiert, beispielsweise die Agranulozytose, eine seltene aber schwerwiegende Nebenwirkung von Clozapin. Patienten, die unter Clozapin eine Agranulozytose entwickelten, trugen 17-mal häufiger ein bestimmtes genetisches Merkmal in ihrem HLA-System als die Gruppe, die die Nebenwirkung nicht hatte. Durch seine Seltenheit eignet sich dieser Marker aber nicht zur Vorhersage der Nebenwirkung.

Etliche wichtige Antidepressiva werden ebenfalls über CYP-Enzyme verstoffwechselt. Amitriptylin wird über CYP2C19 zum ebenfalls aktiven Noramitriptylin abgebaut, welches wiederum von CYP2D6 in inaktive Produkte verstoffwechselt wird. Unter den Amitriptylin-Non-Respondern finden sich 20% Patienten mit einer CYP2D6-Genduplikation. In der Gesamtbevölkerung beträgt der Anteil gerade einmal 2%. Solche Ultra Rapid Metabolizer bauen also gar keinen wirksamen Plasmaspiegel auf und könnten durch eine Genotypisierung schon vor Therapiebeginn erkant werden.

Gerade bei der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen, bei der die Auswahl des Wirkstoffs oft durch Ausprobieren und das Abwägen von Wirkung gegen Nebenwirkung geprägt ist und auch der Placeboeffekt eine sehr große Rolle spielt, lässt sich der Therapieerfolg durch genetische Untersuchungen noch nicht vorhersagen. Nichtsdestotrotz beginnen erste Kliniken damit, Patienten zu genotypisieren, um gegebenenfalls den Wirkstoff oder seine Dosis anzupassen.


wes



DAZ 2012, Nr. 24, S. 61

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