- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 23/2012
- Phytotherapeutika 2012
Kongress
Phytotherapeutika 2012
Nach den Grußworten von Prof. Dr. Karin Kraft (GPT), Dr. Roger Eltbogen (SMGP), Prof. Dr. Liselotte Krenn (ESCOP) und Prof. Dr. Wolfgang Blaschek (GA) eröffnete der Kongresspräsident Univ.-Doz. Dr. Heribert Pittner den Kongress, der mit 180 Teilnehmern gut besucht war.
Qualität und Sicherheit
In einem ersten Themenblock zur Qualität pflanzlicher Arzneimittel standen regulatorische Themen wie die Qualitätsstandards zur Gewährleistung der Produktsicherheit und zur Abgrenzung gegenüber Nahrungsergänzungsmitteln im Vordergrund; es wurden aber auch einige Denkanstöße zur pragmatischen Umsetzung sowie zur Reduktion des Prüfaufwandes auf ein sachgerechtes Maß gegeben. Dazu referierten Doz. Dr. Reinhard Länger von der österreichischen Gesundheitsbehörde AGES PharmMed, Prof. Dr. Susanne Alban, Universität Kiel, und Dr. Hartwig Sievers, Vestenbergsgreuth.
Wie die Wirksamkeit von Phytopharmaka durch nicht-interventionelle Studien wissenschaftlich seriös belegt werden kann, erläuterte der Kölner Statistiker Prof. Dr. Walter Lehmacher. Über die Pharmakovigilanz bei Phytopharmaka, insbesondere die rechtlichen Grundlagen für die Erfassung und Bewertung möglicher Risiken, berichtete Dr. Tankred Wegener, Weinheim. Er rügte die häufig mangelhafte Dokumentation von Fallmeldungen und verdeutlichte, welche Konsequenzen sich aus Risiken ergeben können, z. B. Änderungen in den Produktinformationen.
Rationale Phytotherapie in der Praxis
Am zweiten Kongresstag ging es um die Anwendung pflanzlicher Arzneimittel in der Praxis. Prof. Dr. Karin Kraft, Rostock, konstatierte die mangelnde Anerkennung der Phytotherapie in den Versorgungsleitlinien, die evidenzbasierte Entscheidungshilfen für die strukturierte medizinische Versorgung darstellen und vom Arzt bei der Auswahl der Therapie und der Medikation berücksichtigt werden sollen. So werde z. B. die Wirksamkeit von Johanniskraut in der Versorgungsleitlinie "Unipolare Depression" als "umstritten" bezeichnet, und in anderen Indikationsbereichen sehe es für Phytopharmaka nicht viel besser aus, obwohl es klinisch geprüfte Präparate gebe. Auf potenzielle Risiken werde hingegen jeweils großes Augenmerk gerichtet.
Dr. Günter Meng, Karlsruhe, stellte das Projekt "PhytoVIS – Erfahrungsdatenbank der Kooperation Phytopharmaka" vor, das in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizinische Statistik der Universität Köln erstellt wird. Vor dem Hintergrund, dass häufig für die Anwendung von pflanzlichen Arzneimitteln bei bestimmten Personengruppen, z. B. Kindern oder Schwangeren, nicht genügend Daten vorhanden sind und deshalb entsprechende Kontraindikationen aufgeführt werden müssen, sollen mittelfristig die Angaben von mehr als 10.000 Personen, die Phytopharmaka anwenden, ausgewertet werden.
Über seine phytotherapeutischen Erfahrungen berichtete der Allgemeinmediziner Dr. Martin Adler, Siegen. Bei Rückenschmerzen, der häufigsten Diagnose bei niedergelassenen Ärzten, erziele er z. B. mit Zubereitungen aus Teufelskrallenwurzel oder Weidenrinde, auch kombiniert mit nicht-steroidalen Antirheumatika, gute Erfolge. Auch mehr Bewegung würde den Patienten helfen, denn ein Deutscher geht pro Tag nur 500 m zu Fuß (Durchschnittswert). Als weitere wichtige Einsatzgebiete für Phytopharmaka in seiner Praxis erwähnte Adler psychosomatische Störungen, bei denen er mit Lavendelzubereitungen positive Erfahrungen gemacht hat, sowie Infektionen der Atemwege.
Die VeranstalterÖsterreichische Gesellschaft für Phytotherapie (ÖGPhyt) www.phytotherapie.at Gesellschaft für Phytotherapie (GPT) www.phytotherapie.de Schweizerische Medizinische Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP) www.smgp.ch Gesellschaft für Arzneipflanzen- und Naturstoff-Forschung (GA) www.ga-online.org European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) www.escop.com |
Dozentin Dr. Ulrike Kastner vom Wiener St. Anna Kinderspital beklagte die geringe Anzahl der für Kinder zugelassenen Arzneimittel. Die Pädiater wenden deshalb umso mehr die Erfahrungsheilkunde an. So sei Fencheltee nach wie vor das Mittel der Wahl beim schreienden Baby, obwohl die HMPC-Monografie die Anwendung in dieser Altersgruppe ausschließt. Bei Kindern mit Reizdarmsyndrom habe sich Pfefferminzöl bewährt. Bei Atemwegserkrankungen gebe es entsprechend der Symptomatik viele geeignete Phytopharmaka, z. B. Pelargonium sidoides -Zubereitungen, Eibischwurzelsirup oder Efeuextrakt.
Beispiele für eine rationale Phytotherapie in seiner HNO-Praxis präsentierte PD Dr. Andreas Schapowal aus dem schweizerischen Landquart, z. B. Kombinationen aus Primelwurzel- und Thymiankrautextrakt bei Bronchitis oder aus Echinacea und Salbei bei akuter Pharyngitis. Ein Pestwurz-Blattextrakt oder ein Öl aus Perilla frutescens hätten bei allergischer Rhinokonjunktivitis gute Erfolge gezeigt.
Über ein Projekt zur Phytotherapie in der Geriatrie, in dem Ärzte und Apotheker gemeinsam Therapiekonzepte entwickeln, berichtete Dr. Sebastian Michael, Waldheim/Sachsen. Auf der Basis valider Studien werde nach sinnvollen Kombinationen von Phytopharmaka und chemisch-synthetischen Arzneimitteln bei älteren, multimorbiden Patienten gesucht.
Ein Fortbildungsprogramm für Ärzte und Apotheker zur wissenschaftlich fundierten Anwendung von Phytopharmaka stellte Prof. Dr. Karen Nieber, Leipzig, vor. Nach Vorbildern in Österreich und der Schweiz habe das wissenschaftliche Kuratorium der GPT ein modulares Programm entwickelt, das in Wochenendveranstaltungen die Lehrinhalte mit praxisrelevanten Fallbeispielen vermittelt. Dieses stelle ein gutes Beispiel für die Vernetzung im Gesundheitswesen dar.
Die am Department für Pharmakognosie der Universität Wien geführte Volksmed-Datenbank sammelt seit 1983 Informationen über volksmedizinisch verwendete Arzneipflanzen in Österreich, wie Prof. Dr. Johannes Saukel berichtete. Derzeit beinhaltet die Datenbank Informationen aus 55 Diplomarbeiten mit ca. 67.000 Angaben zu einzelnen Drogen sowie aus 40 Diplomarbeiten mit ca. 15.000 Angaben zu Drogenkombinationen und bietet vielfältige Auswertungsmöglichkeiten.
Perspektiven der Forschung
Die universitäre Forschung an Arzneipflanzen bildete einen Schwerpunkt des dritten Kongresstages. So gibt es in Österreich ein Verbundprojekt der Universitäten über traditionelle chinesische Medizin und altersbezogene Erkrankungen sowie das Netzwerk "Drugs from Nature Targeting Inflammation", wie Prof. Dr. Hermann Stuppner, Innsbruck, erläuterte. Letzteres beinhaltet die Identifizierung und Erforschung von Wirkstoffen aus Pflanzen unterschiedlicher Kulturkreise, die zur Behandlung von Entzündungen eingesetzt werden.
Prof. Dr. Andreas Hensel, Münster, gab einen Überblick über die Schwerpunkte der Naturstoff- und Phytoforschung an den deutschen Universitäten und appellierte, statt "Einzelkämpfergruppen" Netzwerke zu bilden, um damit auch effektiver Drittmittel einwerben zu können. Ohne universitäre Forschung gebe es langfristig keine Innovationen in der Phytotherapie.
Prof. Dr. Beat Meier, Wädenswil, nannte als Beispiele der Arzneipflanzenforschung in der Schweiz die Arbeiten über Färberwaid (Isatis tinctoria) an der Universität Basel, die Optimierung verschiedener Analysenmethoden an der Universität Genf und die Anthrachinonanalytik an der Hochschule Wädenswil. Das Institut für Naturheilkunde am Zürcher Universitätsspital treibe anwendungsbezogene Forschungen.
Über Arzneipflanzenmonografien im europäischen Umfeld berichtete Dr. Barbara Steinhoff, Bonn. An Beispielen des Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC), der ESCOP und des Europäischen Arzneibuchs stellte sie die neuesten Entwicklungen vor, so z. B. die sehr pragmatischen Indikationsformulierungen des HMPC für "traditionell angewendete" Arzneidrogen bei benigner Prostatahyperplasie. Bei einigen Monografien kritisierte Steinhoff die Anwendungsausschlüsse für Kinder und Jugendliche; um hier die Wissenslücken zu schließen, sollten nicht unbedingt klinische Daten verlangt werden, sondern auch entsprechende Anwendungserfahrungen gesammelt und ausgewertet werden.
Die nachfolgende Podiumsdiskussion erörterte – getreu dem Kongressmotto – aus verschiedenen Blickwinkeln die erreichten Wissensfortschritte für pflanzliche Arzneimittel und zeigte dabei auch die Defizite auf. So sei zwar ein ständiger Erkenntnisgewinn durch pharmakologische und klinische Forschung gegeben, echte Innovationen seien jedoch selten. Ein großer Teil der Forschungsaktivitäten betreffe die Unbedenklichkeit von Präparaten, die bereits auf dem Markt sind. Für Innovationen, so Prof. Dr. Michael Popp, müsse es aber lohnende Investitionsanreize geben, z. B. durch Unterlagenschutz. Die allgemeine Nutzbarkeit von Forschungserkenntnissen in Monografien sei unter diesem Aspekt nicht zielführend.
Teilnehmer der PodiumsdiskussionProf. Dr. Wolfgang Blaschek, Kiel Dr. Hubertus Cranz, Brüssel PD Dr. Werner Knöss, Bonn Prof. Dr. Liselotte Krenn, Wien Dr. Christian Nauert, Köln Prof. Dr. Michael Popp, Neumarkt PD Dr. Andreas Schapowal, Landquart Moderation: Univ.-Doz. Dr. Heribert Pittner, Wien |
Aus Sicht der Diskussionsteilnehmer benötigt die Phytotherapie eine "Erhaltung von unten", wozu die Fortbildung von Ärzten und Apothekern beitragen kann. Noch wichtiger sei ihre Verankerung in der Ausbildung der Ärzte. Neben einer Rückbesinnung auf die klassische Pharmazeutische Biologie als Grundlage der Phytotherapie müssten die Universitäten untereinander, aber auch interdisziplinär zusammenarbeiten. Zudem sollten die Fachgesellschaften sich an der Entwicklung von Leitlinien beteiligen, damit die Phytotherapie verstärkt in die ärztliche Therapie Eingang finden kann.
Fazit: mehr Vernetzung
Immer wieder wurde in den Vorträgen und in der Podiumsdiskussion betont, dass eine Vernetzung der wissenschaftlichen Gesellschaften, der verschiedenen Fachbereiche der Universitäten und der pharmazeutischen Unternehmen nicht nur langfristig den Erkenntnisgewinn steigern und Wissensfortschritte schaffen kann, sondern auch die große Akzeptanz der Phytotherapie in der Bevölkerung aufrecht erhalten kann.
Während der Pausen war Gelegenheit zur Diskussion der rund 40 Poster und zum Besuch der Ausstellung "Pflanzenpollen als Persönlichkeiten" der Biologin Prof. Dr. Maria-Anna Pabst, die elektronenmikroskopische Bilder auf Leinwand druckt und nachfolgend mit Tusche bemalt.
Dr. Barbara Steinhoff
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.