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Aus Kammern und Verbänden
Seltenes Glück in alter Truhe
Vogel würdigte Sertürners Entdeckung des Morphins im Jahr 1804 im Labor der Hof-Apotheke in Paderborn so: Mit ihr begann ein neues Kapitel der Arzneimittelgeschichte. Nach einem gewissen Abstand wurden ab 1817 in schneller Folge viele weitere Alkaloide entdeckt, meistens von Apothekern. Einige Apotheker spezialisierten sich auf die aufwendige Gewinnung der pflanzlichen Reinstoffe, und so entstanden Keimzellen der pharmazeutischen Industrie. Dass Sertürner die Anerkennung verwehrt blieb, die er sich für seine Leistungen wünschte, hat laut Vogel letztlich auch Parallelen in der heutigen Welt der Apotheke.
Die Erschließung des Sertürner-Nachlasses im Deutschen Apotheken-Museum verspricht nicht nur den geschlossenen Erhalt des Konvolutes, sondern auch spannende Ergebnisse und Exponate. Beides seien zentrale Punkte für die Unterstützung der Erwerbsförderung durch die Kulturstiftung der Länder gewesen, wie Dr. Martin Hoernes, stellvertretender Generalsekretär, erläuterte. Er referierte dann kurz die Aufgaben der Kulturstiftung der Länder, Berlin, die jüngst den Erwerb der Briefe Franz Kafkas an seine Schwester Ottla und des Suhrkamp-Archivs unterstützt hatte. Selten komme ein so geschlossenes Konvolut aus dem Bereich der Geschichte der Naturwissenschaften wie das von Sertürner auf den Markt, und es sei keine Frage gewesen, den Erwerb dieses nationalen Kulturguts zu fördern.
Thomas Benkert, Vorstandsvorsitzender der Dr. August und Dr. Anni Lesmüller-Stiftung, freute sich, dass der Vorstand der Lesmüller-Stiftung den Antrag auf Unterstützung beim Ankauf einhellig befürwortet hat, handele es sich doch um den Nachlass eines der bedeutendsten deutschen Pharmazeuten, den es für die Forschung und Öffentlichkeit geschlossen zu erhalten gelte.
Der Besucher kennt in der Regel nur die Dauerausstellung eines Museums und weiß oft nicht, dass diese den kleinsten Teil der Aufgabenfelder einer solchen Institution darstellt, referierte der Vorsitzende des Fördervereins Deutsches Apotheken-Museum, Volker Articus. Hauptsächlich fließen die Fördermittel des Vereins in die Restaurierung und die Bestandserhaltung. Jedes Jahr gelingt überdies mindestens ein interessanter Ankauf, wie im vergangenen Jahr ein Brief Goethes an seinen Weimarer Apotheker. Die Unterstützung einer so bedeutenden Neuerwerbung wie des Sertürner-Nachlasses sei für den Förderverein eine seltene Angelegenheit.
Über 300 Manuskriptseiten
Sorgsam hatten die Geschwister Dr. Malte und Wernhera Peters, Freiburg und Hameln, die schwere Holztruhe mit den Dokumenten ihres berühmten Vorfahren Sertürner verwahrt. Vor einiger Zeit fassten sie den Entschluss, den gesamten Nachlass der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und an eine geeignete Institution zu übergeben. Gut, dass sie das wertvolle Konvolut in ein Museum gaben, so bleibt es der Forschung und der Öffentlichkeit zugänglich, sagte Museumsdirektorin Dr. Elisabeth Huwer. Das Deutsche Apotheken-Museum besitzt als Teil eines Netzwerkes von Institutionen, deren Ziel die Bewahrung nationalen Kulturerbes ist, die Kompetenzen für die sachgerechte Betreuung, die wissenschaftliche Erschließung und die langfristige Erhaltung des Nachlasses.
In der Truhe hatte sehr wahrscheinlich schon Sertürner selbst seine wichtigsten Unterlagen aufbewahrt. Sie enthielt rund 70 Belege seiner wissenschaftlichen Arbeit, darunter etwa 300 bis 400 Manuskriptseiten (Entwürfe, Reinschriften, korrigierte Druckfahnen), einige Zeichnungen (u. a. "Wolkenatom-Modelle") und ein Skizzenbuch mit Versuchsaufbauten, darunter ein Schnitt durch die erste "Zündmaschine" der Welt, das Döbereinersche Feuerzeug, das 1823 von Apotheker Johann Wolfgang Döbereiner (1780 – 1849) erfunden wurde.
Zeugnisse und Urkunden
Sertürners beruflichen Werdegang vom Apothekerlehrling zum anerkannten Wissenschaftler dokumentieren sein Lehrzeugnis von 1803, ein vom Paderborner Hofapotheker Cramer 1806 ausgestelltes Zeugnis über seine Lehr- und Gehilfenzeit sowie die Promotionsurkunde der Universität Jena aus dem Jahr 1817.
Rund zehn Mitgliedsurkunden der führenden wissenschaftlichen Gesellschaften Europas sind ebenfalls im Nachlass erhalten, darunter die Aufnahme als auswärtiges Mitglied in die "Societät für die gesammte Mineralogie zu Jena" unter Vorsitz von Johann Wolfgang Goethe. Die Diplome galten teils als verschollen, sind aber nun wohlbehalten im Museum.
Die Truhe enthielt auch einige Korrespondenz, darunter ein Schreiben des Institut de France mit der endgültigen Zuerkennung der Erstentdeckung des Morphins an Sertürner aus dem Jahr 1831 und ein anerkennendes Schreiben Chr. W. Hufelands (1762 – 1836) von 1826. Auch zwei empfindsam-schwärmerische Briefe Sertürners an seine Verlobte Eleonore von Rettberg vom November 1820 sind dabei. Mehrere Entwürfe zu Briefen an hochstehende Persönlichkeiten wie Fürst Metternich zeigen Sertürners Streben nach weiterer Anerkennung seiner Leistungen und Förderung seiner Forschung.
Zu der Neuerwerbung gehören auch zwei bislang unbekannte Porträtminiaturen von Sertürner und seiner Ehefrau Eleonore, signiert von C. F. Overmeyer, 1831, der um 1826 in Hamburg ansässig war. Die Gouachen befinden sich im originalen Rahmen hinter Glas.
Sertürner online
Unter Leitung der Museumsdirektorin Dr. Elisabeth Huwer soll der Sertürner-Nachlass digital erschlossen werden und in Form eines Online-Kataloges ins Internet gestellt werden. Bereits jetzt sind wichtige Teile des Nachlasses in der Dauerausstellung des Museums zu sehen. Diese neuen Exponate sind ein Grund mehr, einmal wieder das Deutsche Apotheken-Museum im Heidelberger Schloss zu besuchen, wie Vogel zum Schluss der Pressekonferenz betonte. Mit rund 600.000 Besuchern im Jahr zählt es zu den bestbesuchten Museen Deutschlands und beherbergt die weltweit umfangreichste wie qualitätsvollste Sammlung zur Geschichte der Pharmazie.
Internet |
Albert Borchardt, Heidelberg
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