Feuilleton

Pausen sind effizient

Leseprobe aus dem Buch "Das Jahreszeiten-Prinzip"

Die Jahreszeiten prägen unseren Alltag und unsere Kultur; sogar das Verhalten moderner Stadtbewohner ist bewusst oder unbewusst von dem natürlichen Rhythmus mitgesteuert. Es lohnt sich, über diese scheinbare Selbstverständlichkeit nachzudenken. Das Jahreszeiten-Prinzip kann zur Motivations- und Inspirationsquelle und zu einem neuen Managementansatz werden. Wie dies gelingt, beschreibt das neue Buch "Das Jahreszeiten-Prinzip" von DAZ-Redakteur Thomas Müller-Bohn, das gerade im Hirzel-Verlag erschienen ist.

Den Lesern wird der gezielte Blick auf die Jahreszeiten vermittelt. Außerdem werden Konsequenzen für die unterschiedlichsten Lebensbereiche von Wirtschaft und Politik bis zum Privatleben aufgezeigt. Eine der vielen Folgerungen aus dem Jahreszeiten-Prinzip beschreibt dieser Auszug aus dem Buch.

Pausen sind effizient

Bei den vielen Überlegungen zur Gliederung des Arbeits- und Privatlebens ist ein wesentlicher Aspekt bisher nicht ausdrücklich angesprochen worden: die Pausen. Auch hier liefert die Natur das überzeugende Vorbild. Denn die meisten Tiere sind zu verschiedenen Zeiten im Jahresverlauf sehr unterschiedlich aktiv. Pflanzen haben starke Wachstumsphasen, entwickeln sich aber zu anderen Zeiten gar nicht. Diese Phasen sind nur zu einem Teil den klimatischen Voraussetzungen geschuldet. Pflanzen können im lichtarmen Winter nicht wachsen, weil die Photosynthese fast zum Erliegen kommt. Für Tiere wäre es nicht sinnvoll, im Winter Energie in die Fortpflanzung zu investieren, wenn der Nachwuchs praktisch mit Sicherheit verhungern müsste.

Doch es gibt auch andere Konstellationen. Wie so oft, zeigt wieder einmal die Beobachtung der Zugvögel den entscheidenden Aspekt des Prinzips. Zumindest einige Zugvogelarten suchen im Winter Regionen auf, deren klimatische Bedingungen durchaus eine Fortpflanzung erlauben würden. So wäre eine weitere Brutperiode in einem ganz anderen Brutrevier zumindest vorstellbar. Wenn viele Arten dies praktizieren würden, könnte die Nahrung in den Winterquartieren zum begrenzenden Faktor werden, aber zumindest als Strategie für eine ökologische Nische wäre ein solches Verhalten umsetzbar. Doch der entscheidende Aspekt drückt sich bereits im gängigen Sprachgebrauch in der Ornithologie aus. Dort werden üblicherweise nicht Sommer- und Winterquartiere, sondern Brutquartiere und Ruheziele unterschieden. Die Vögel ziehen nicht, um sich erneut fortzupflanzen, sondern um in einer Region auszuruhen, die keinen allzu harten Kampf um Nahrung erwarten lässt. Sie pflanzen sich in den Ruhequartieren nicht fort – daher die Bezeichnung – und zeigen typischerweise kein Revierabgrenzungsverhalten, das eine Voraussetzung für Brut und Aufzucht von Jungen wäre. Als Ausnahme wird solches Revierverhalten von Rotkehlchen im Winterquartier berichtet, doch dies ist eben nicht die Regel, sondern eine erstaunliche Besonderheit, und es bleibt dort auch bei der Revierabgrenzung, zur Fortpflanzung kommt es nicht.


LITERATUR

Die Jahreszeiten prägen unseren Alltag und unsere Kultur; sogar das Verhalten moderner Stadtbewohner ist bewusst oder unbewusst von dem natürlichen Rhythmus mitgesteuert. Der Blick auf den Lauf der Jahreszeiten kann uns inspirieren und motivieren, zum Erfolgsfaktor für das berufliche und das private Leben werden. Welche Konsequenzen sich für Management und Privatleben aus der Beobachtung der Natur ziehen lassen, beschreibt dieses Buch – auch Kultur, Politik und Wirtschaft können davon profitieren.


Von Thomas Müller-Bohn

Das Jahreszeiten-Prinzip

Profitieren vom Erfolgskonzept der Natur

160 S., 2 s/w Abb, Kartoniert

Preis: 19,80 Euro.

S. Hirzel Verlag 2012

ISBN 978-3-7776-2238-5


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Die effizient "funktionierende" Natur versucht demnach nicht, die letzte Produktivitätsreserve zu mobilisieren. Dabei ist das beschriebene Verhalten das Ergebnis der Evolution. Offenbar sind die Tiere langfristig erfolgreicher, wenn sie über eine gewisse Zeit Reserven anlegen oder ausruhen und sich erst später wieder voll auf die Fortpflanzung konzentrieren, anstatt sich so schnell wie nur irgend möglich zu vermehren. Zumindest gilt das für höhere Tiere mit komplexen sozialen Strukturen und mehrjähriger Lebensdauer. Bei sehr kurzlebigen Tieren gilt das hingegen nicht, wie die Beispiele vieler Insekten zeigen. Auch darin wird der Unterschied zwischen kurz- und langfristiger Optimierung deutlich. Auf lange Sicht ist der Wechsel von Aktivitäts- und Ruhephasen also offenbar effizient – produktiver als pausenlose Aktivität auf Höchstniveau mit der dann bald drohenden totalen Verausgabung.

Vermutlich dienen die ruhigen Zeiten der Regeneration nach anstrengenden Phasen. Für diese Annahme spricht, dass aktive und ruhige Abschnitte oft relativ kurz nacheinander stattfinden. Auf die anstrengende Aufzucht der Jungen im Frühsommer folgt der ruhige Spätsommer, der reichlich Nahrung bietet. Dann folgen gegebenenfalls der anstrengende Zug und wiederum eine ruhige Zeit. Bei nicht ziehenden Tieren sind zumindest Zeiten mit Schnee und Eis sehr problematisch durch den Nahrungsmangel, während andere Teile des Winters eher Ruhe bieten können. Erholung ist offenbar kein Luxus. Denn sonst hätten sich Tiere durchgesetzt, die keine Pause bei der Fortpflanzung kennen und sich auch durch Schnee und Eis nicht davon abhalten lassen. Doch der frühzeitige Erschöpfungstod macht deren kurzfristigen Vorteil wohl zunichte. Das Analogon in unserer heutigen Arbeitswelt dürfte der Burnout sein, der den Betroffenen zunächst die schöpferische Kraft und letztlich die ganze Arbeitsfähigkeit nimmt.

Ein weiterer Grund für Ruhephasen in der Natur kann die Zeitreserve für Anpassungsvorgänge sein. Die meisten Tiere müssen ihre Jungen im Herbst nicht bis zum ersten Schneefall versorgen. Wenn die Jungtiere schon im Spätsommer selbstständig sind, entsteht für die Elterntiere automatisch eine Ruhephase im Herbst. Diese ist zugleich eine Zeitreserve für Klimaverschlechterungen. Wenn der Winter später endet oder früher beginnt, bleibt noch immer genug für die Aufzucht. Nur ein System mit solchen Puffern ist anpassungsfähig. Manche Lebewesen mögen erfolgreich in ökologischen Nischen sein, aber als Vorbild für übertragbare Strategien taugen solche Spezialfälle nicht, denn deren Erfolg währt nur, solange die Nische besteht. Das generelle Erfolgsprinzip ist der Wechsel zwischen aktiven und ruhigen Phasen.

Offenbar sind insbesondere alle höher entwickelten Lebewesen dabei langfristig leistungsfähiger als bei ständiger Maximalbelastung. Daher sind Ruhephasen ein wichtiger Erfolgsfaktor. Dabei geht es nicht nur darum, die physiologischen Grundbedürfnisse sicherzustellen. Pausen in die Arbeit einzuplanen, ist auch nicht das Ergebnis sozialromantischer Empfindsamkeit, sondern ein Gebot einer effizienzorientierten Optimierung. Auch hier gilt es wieder, aus der Natur Folgerungen für die von Menschen gestaltete Welt abzuleiten. Wenn die Natur zeigt, dass höhere Lebewesen offenbar mit Pausen leistungsfähiger sind, sollten wir diese Erkenntnis nutzen. Pausen sind also nicht mit Müßiggang oder gar Arbeitsunwillen zu begründen, sondern mit dem Interesse am besten Ergebnis. So wird die Pause zum Erfolgsfaktor.

Zusätzlich zu den Gründen, die aus der Natur abgeleitet werden, kommt für Menschen als weiteres Argument hinzu, dass Pausen die nötige Zeit zur Verarbeitung von Ergebnissen bieten – seien sie positiv oder negativ. Damit helfen sie bei der Suche nach kreativen Antworten auf neue Herausforderungen.



DAZ 2012, Nr. 21, S. 98

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