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Fragiles Gleichgewicht
In der Studie geht es zunächst um die grundsätzlichen Mechanismen des Marktes der patentgeschützten Arzneimittel. Dort herrsche vorrangig ein Innovationswettbewerb, aus dem sich nur indirekt ein Preiswettbewerb ergäbe. Eine Preisregulierung verzögere die Einführung von Innovationen und gefährde den "Generationenvertrag" zwischen aufeinanderfolgenden Produktgenerationen. Denn die Forschung an künftigen Arzneimitteln werde aus den Erträgen der marktreifen Produkte finanziert. Wenn dies nicht mehr möglich sei, könnten sich für einzelne Produkte astronomische, nicht mehr sozialverträgliche Preise ergeben, insbesondere für orphan drugs.
Preisunterschiede gut für alle
International unterschiedliche Preise für innovative Arzneimittel sind nach Einschätzung von Cassel und Ulrich volkswirtschaftlich erklärbar und liegen im Interesse der Patienten in den verschiedenen Ländern. Dabei werden in den wohlhabenden Ländern Preise gezahlt, die der dortigen Zahlungsfähigkeit entsprechen. Wenn die Arzneimittel in ärmeren Ländern billiger angeboten werden, können aber auch die dortigen Patienten behandelt werden. Davon wiederum würden auch die reicheren Länder profitieren, weil die ärmeren Länder zumindest zu einem Teil zur Finanzierung der Arzneimittelentwicklung beitragen. Wohlfahrtsmaximierende Preise, die nach einem solchen Konzept gebildet werden, sind in der volkswirtschaftlichen Theorie als "Ramsey-Preise" bekannt. Doch ein Referenzpreissystem, das einheitliche Preise anstrebt und zu einem Kellertreppeneffekt führe, hebele dieses Konzept aus.
Formen der Preisregulierung
Deutschland machen die Autoren als das bisher wichtigste Land mit einer Ankerfunktion für die Preisbildung aus. Daneben herrscht in Dänemark, Schweden und Großbritannien bisher ebenfalls eine freie Preisbildung. Preisverhandlungen ohne zusätzliche Regulierungen auf der Angebotsseite gibt es in Irland und Österreich, mit zusätzlichen Regulierungen einschließlich Referenzpreisen in Frankreich, Italien und Ungarn. In Polen, Estland und Lettland werden die Preise nach vorhergehenden Preisverhandlungen festgelegt. In diversen anderen EU-Ländern gibt es Preisfestlegungen ohne vorherige Verhandlungen als härteste Form der Preisregulierung. Dabei werden jeweils Referenzpreise berücksichtigt. Wenn sich die Preise in Deutschland künftig auf solche Länder bezögen, würden deren Regularien nach Deutschland importiert, folgern die Autoren. Dann würde Deutschland seine Ankerfunktion verlieren. Da sich die Preise in 19 Ländern direkt und in fünf weiteren Ländern indirekt auf deutsche Preise beziehen und zudem von den Verhandlungsregeln und -strategien in verschiedenen Ländern beeinflusst werden, entstünde ein "Referenz-Roulette". Neue Arzneimittel würden nicht mehr vorrangig in Deutschland eingeführt, sondern zunächst in den verbleibenden Ländern mit freier Preisbildung. Der Termin der Markteinführung in Deutschland werde dann strategisch mit Blick auf die Preisbildungsregeln gewählt, wie dies bereits heute in vielen EU-Ländern üblich sei.
Große Unterschiede in der Verfügbarkeit
Um solche Effekte zu verhindern, sollten möglichst nur solche Länder als Referenzländer herangezogen werden, die hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft mit Deutschland vergleichbar sind, argumentieren die Autoren. Im empirischen Teil vergleichen sie die ersten 15 EU-Länder und Slowenien mithilfe statistischer Verfahren in Bezug auf ihr Bruttosozialprodukt sowie Gesundheits- und Arzneimittelausgaben. Daraufhin kommen Cassel und Ulrich zu dem Ergebnis, dass allenfalls Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und Spanien ansatzweise mit Deutschland vergleichbar seien. Doch zeigt die weitere Analyse, dass sogar diese Länder sich hinsichtlich der Märkte für neue Arzneimittel beträchtlich unterscheiden. Die von 2008 bis 2010 eingeführten Innovationen seien nur in Deutschland, Dänemark, Schweden und Österreich voll verfügbar gewesen. In Italien und Portugal seien dagegen 2010 von 39 betrachteten Innovationen nur neun bzw. elf verfügbar gewesen. Sogar in Belgien seien es nur 15 gewesen. Die Preise in den verschiedenen Ländern hingen am stärksten vom Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt ab, aber es seien deutliche Abweichungen zu finden. In allen untersuchten Ländern außer Spanien gäbe es Arzneimittel, die teurer als in Deutschland seien. Je nach Land seien die Preise in verschiedenen Indikationsgebieten eher höher oder niedriger, stellten Cassel und Ulrich fest.
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