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Arzneimittel und Therapie
Sichere Arzneimitteltherapie für ältere Patienten: Update der amerikanischen Beers-Liste
Die meisten Medikamente erhalten derzeit die über 65-jährigen Patienten. Deren Multimorbidität führt im höheren Lebensalter häufig zu einer komplexen und mitunter fragwürdigen Verordnung vieler Arzneimittel, die bei alten Patienten zu vermehrten Nebenwirkungen führen können. Hinzu kommt, dass pathophysiologische Besonderheiten im fortgeschrittenen Alter oftmals nicht beachtet werden. Die unmittelbaren Folgen betreffen den Patienten, die mittelbaren das Gesundheitswesen. Daher wurden in verschiedenen Gesundheitssystemen Strategien entwickelt, um die Arzneimitteltherapie für ältere Patienten sicherer und effektiver zu gestalten. Eine Möglichkeit ist die Bewertung einzelner Wirkstoffe im Hinblick auf ihre Sicherheit bei geriatrischen Patienten. Diesen Weg haben verschiedene Länder eingeschlagen und Listen mit geeigneten bzw. ungeeigneten Wirkstoffen erstellt. Diese Listen sind aufgrund länderspezifischer Eigenheiten und unterschiedlicher Arzneimittelmärkte nicht identisch und können auch nicht direkt übertragen werden. Eine der bekanntesten Zusammenstellungen ist die Beers-Liste.
Die Beers-Liste
Die Beers-Liste ist eine Zusammenstellung von Wirkstoffen und Wirkstoffgruppen, die für die Arzneimitteltherapie älterer Patienten über 65 Jahre ungeeignet sind. Nunmehr liegt ihre jüngste Aktualisierung vor, die in Zusammenarbeit mit der American Geriatrics Society (AGS) erstellt und im März dieses Jahres publiziert wurde. Sie ist in den USA die am häufigsten herangezogene Quelle, um Informationen über eine sichere Arzneimittelverordnung für ältere Patienten zu erhalten. Sie spielt auch eine Rolle im Gesundheitswesen und wird von mehreren Organisationen als Maßstab für eine qualitätsorientierte Verordnung herangezogen. Sie besitzt keinen restriktiven oder verbindlichen Charakter, sondern soll als fundierte Informationsquelle herangezogen werden, um die Arzneimitteltherapie für ältere Patienten sicherer zu gestalten.
Die Beers-ListeIm Internet finden Sie Informationen rund um die aktualisierte Beers-Liste über die Seiten der American Geriatrics Society www.americangeriatrics.org sowie im Journal of the American Geriatrics Society: http://www.americangeriatrics.org/files/documents/beers/2012BeersCriteria_JAGS.pdf |
Die neue Version wurde nach einer modifizierten Delphi-Methode in interdisziplinärer Zusammenarbeit von elf Experten (für geriatrische Pharmakotherapie, Pflege, Forschung, Medizin) und externen Gutachtern erarbeitet. Die systematische Literaturrecherche führte unter anderem zu 446 systematischen Reviews oder Metaanalysen, 629 randomisierten kontrollierten Studien und knapp 1100 Beobachtungsstudien, die bei der aktuellen Bewertung berücksichtigt wurden.
Die neue Version schließt 53 Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen ein, die bei älteren Patienten (über 65 Jahren) nicht oder nur bedingt eingesetzt werden sollten. Nicht mehr verfügbare Wirkstoffe wurden aus der Liste entfernt und neue hinzugefügt. Die Beers-Liste verwendet die Bezeichnung PIM für potenziell inadäquate Medikation und unterteilt diese in drei Kategorien:
potenziell ungeeignete Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen, die bei älteren Erwachsenen nicht eingesetzt werden sollten
potenziell ungeeignete Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen, die bei älteren Erwachsenen mit bestimmten Erkrankungen oder Syndromen nicht eingesetzt werden sollten
- Wirkstoffe, die bei älteren Patienten mit Vorsicht eingesetzt werden sollten.
Die letzte Kategorie ist im Vergleich zu den alten Versionen neu hinzugekommen.
Listen zur Bewertung von Arzneistoffen für ältere Patienten
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Neun Tabellen
Die neue Version enthält Ausführungen zu der Vorgehensweise bei der Aktualisierung der Beers-Liste sowie neun Listen oder Tabellen.
Tabelle 1 definiert die Evidenzqualitäten (hoch, moderat, gering) und die Empfehlungsgrade (stark, schwach, ungenügend).
Tabelle 2 (siehe Auszug in Tab. 1) führt 34 potenziell ungeeignete Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen auf, die bei älteren Erwachsenen nicht eingesetzt werden sollten. Sie enthält fünf Spalten (Organsystem oder Wirkstoffgruppe bzw. Wirkstoff, Rationale, Empfehlung, Grad der Evidenz, Empfehlungsgrad) und bildet den umfangreichsten Teil der Beers-Liste. Im Vergleich zur vorhergehenden Version wurden unter anderem Megestrol, Glibenclamid und sliding-scale Insulin neu aufgenommen.
Tab. 1: Auszug aus Tabelle 2 der Beers-Liste: Potenziell ungeeignete Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen, die bei älteren Erwachsenen nicht eingesetzt werden sollten |
||
Organsystem
oder Gründe für ein
Nichteinsetzen empfehlung
Wirkstoffgruppe bzw. Wirkstoff |
Grad der evidenz | empfehlungs- grad |
Gastrointestinaltrakt | ||
Metoclopramid
kann extrapyramidale Nebenwir-
vermeiden (außer kungen hervorrufen, einschließ- bei Vorliegen einer lich Spätdyskinesie; das Risiko Gastroparese) scheint bei gebrechlichen Pati- enten anzusteigen |
moderat | stark |
mineralische Öle
Gefahr der Aspiration und weite-
vermeiden (dickflüssiges Paraffin)
rer Nebenwirkungen; es stehen sichere Alternativen zur Verfü- gung |
moderat | stark |
Trimethobenzamid
gering wirksames Antiemeti-
vermeiden kum, kann extrapyramidale Be- gleiterscheinungen hervorrufen |
moderat | stark |
Antibiotika | ||
Nitrofurantoin
potenziell lungentoxisch; es
keine langfristige stehen sichere Alternativen zur Suppressivtherapie; Verfügung; verminderte Wirk- nicht bei Patienten samkeit bei Patienten mit einer mit einer Kreatinin- Kreatininclearance < 60 ml/min clearance < 60 ml/min |
moderat | stark |
kardiovaskuläres System | ||
kurzwirksames
erhöhtes Hypotonierisiko;
vermeiden Nifedipin Gefahr einer
myokardialen Isch- ämie |
hoch | stark |
Tab. 2: Auszug aus Tabelle 3 der Beers-Liste: Potenziell ungeeignete Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen, die bei älteren Erwachsenen mit bestimmten Erkrankungen oder Syndromen nicht eingesetzt werden sollten | |||||
erkrankung oder Syndrom | Wirkstoff | Gründe für ein Nichteinsetzten | empfehlung | Grad der evidenz | empfehlungs- grad |
kardiovaskuläre erkrankungen | |||||
Synkope | Acetylcholinesterase-Inhi- erhöhtes Risiko | vermeiden | Alpha-Blocker: hoch | Acetylcholinestera- | |
bitoren | einer orthostati- | Trizyklika, Acetylcho- | se-Inhibitoren und | ||
periphere Alpha-Blocker | schen Hypotonie | linesterase-Inhibito- | Trizyklika: stark, | ||
. Doxazosin | oder Bradykardie | ren und Antipsychoti- Alpha-Blocker und | |||
. Prazosin | ka: moderat | Antipsychotika: | |||
. Terazosin | schwach | ||||
tertiäre trizyklische Anti- | |||||
depressiva | |||||
Chlorpromazin, Thiorid- | |||||
azin, Olanzapin | |||||
Herzinsuffizienz | NSAIDs und COX-2-Inhibi- Risiko einer Flüssig- | vermeiden | NSAIDs: moderat | ||
toren | keitsretention und | Glitazone: hoch | |||
Pioglitazon, Rosiglitazon | Verschlechterung | Cilostazol: gering | |||
Cilostazol | der Herzinsuffizienz | Dronedaron: moderat | |||
Dronedaron | |||||
systolische | Calciumkanal-Blocker vom | Calciumkanal- | stark | ||
Herzinsuffizienz | Non-Dihydropyridintyp | Blocker: moderat | |||
. Verapamil | |||||
. Diltiazem |
Tabelle 3 (siehe Auszug in Tab. 2) enthält potenziell ungeeignete Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen, die bei älteren Erwachsenen mit bestimmten Erkrankungen oder Syndromen nicht eingesetzt werden sollten. Aufgelistet sind 14 Krankheitsbilder, bei denen bestimmte Wirkstoffe nicht eingesetzt werden sollten. Die Tabelle enthält sechs Spalten (Erkrankung oder Syndrom, Wirkstoff, Rationale, Empfehlung, Grad der Evidenz, Empfehlungsgrad). Neu hinzugekommen sind Glitazone, die nicht bei einer bestehenden Herzinsuffizienz eingesetzt werden sollten, Acetylcholinesterase-Inhibitoren, die beim Vorliegen einer Synkope kontraindiziert sind sowie selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, die nicht bei vorhergegangenen Stürzen oder Frakturen eingesetzt werden sollten.
Tabelle 4 listet Wirkstoffe auf, die bei älteren Patienten mit Vorsicht angewandt werden sollten. Sie umfasst 14 Wirkstoffe bzw. Wirkstoffgruppen, die Medikamenten-bezogene Probleme verursachen können oder deren Wirksamkeit nicht hinreichend belegt ist. Dennoch können sie in Einzelfällen ein Mittel der Wahl sein. Ihr Einsatz erfordert eine sorgfältige Überwachung des Patienten. Diese Liste führt unter anderem die neuen Antithrombotika Prasugrel und Dabigatran auf.
Tabelle 5 gibt einen Überblick, welche Wirkstoffe in der neuen Version der Beers-Liste eine andere Beurteilung wie in den Vorgängerversionen erfahren haben.
- Tabelle 6 führt Wirkstoffe auf, die in der neuen Version nicht mehr enthalten sind.
- Tabelle 7 listet neu hinzugekommene Wirkstoffe auf.
- Tabelle 8 gibt einen Überblick zu den Antipsychotika der ersten und zweiten Generation.
In Tabelle 9 werden Wirkstoffe mit ausgeprägten anticholinergen Eigenschaften aufgeführt, die bei älteren Patienten nicht eingesetzt werden sollten.
QuelleThe American geriatrics society 2012 Beers criteria update expert panel: American geriatrics society updated Beers criteria for potentially inappropriate medication use in older adults. J Am Geriatr Soc. 60, 616 – 631 (2012).Resnick B., et al.: 2012 Beers criteria. J Am Geriatr Soc. online DOI:10.1111/j.1532-5415.2012.03921.xFick D., et al.: 2012 American geriatrics society Beers criteria: new year, new criteria, new perspective. J Am Geriatr Soc. online 10.1111/j.1532-5415.2012.03922.xSchwalbe O., et al.: Die Beers-Liste. Ein Instrument zur Optimierung der Arzneimitteltherapie geriatrischer Patienten. MMP 30, 244 – 248 (2007).Holt S., et al.: Potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen: Die PRISCUS-Liste. Dtsch Ärztebl Int 107, 543 – 551 (2010). Frohnhofen H., et al.: Bewertung von Medikamenten in der Geriatrie mit der neuen FORTA-Klassifikation. Dtsch med Wochenschr 136, 1417 – 1421 (2011).www.americangeriatrics.org (Zugriff am 5. Mai 2012); unter dem Punkt "Evidence – Criteria & Evidence Tabels" ist innerhalb der Tabellen auch ein Zugriff auf die Referenzliteratur möglich. www.priscus.net (Zugriff am 5. Mai 2012).
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