Feuilleton

"Die Verwandlung der surinamischen Insekten"

Sibylla Merians Originaldruck in Nürnberg

In einer Studioausstellung zum Thema "Merians Krönungswerk – die Wunderwelt der Tropen" zeigt das Germanische Nationalmuseum Nürnberg kolorierte Kupfertafeln und die dazugehörigen Texte aus dem "Surinam-Buch" von Sibylla Maria Merian. Alle drei Monate werden die jeweils 15 Exponate gewechselt, sodass bis zum Ende der Ausstellung am 4. Februar 2013 das komplette Werk mit 60 Grafiken zu sehen ist.
Mondwinde (Ipomoea alba) mit Larven, Kokon und Imagines einer Käferart; Größe ca. 25%. Fotos: Germanisches Nationalmuseum

Für die Herausgabe ihres Lebenswerks "Metamorphosis insectorum Surinamensium oder Verwandlung der surinamischen Insekten" hatte Sibylla Maria Merian (1647 – 1717) weder Kosten noch Mühen gescheut. Der 1705 bei Gerard Valk in Amsterdam gedruckte Foliant (73 × 50 cm) enthält 60 Abbildungen, die nach Pergamentmalereien Merians von Peter Sluyter, Joseph Mulder und anderen berühmten Kupferstechern in Originalgröße gestochen wurden (hier auf ca. 25% verkleinert). Die Tafeln XI, XIV und XXXV stach sie selbst. Alle Tafeln wurden im aufwendigen Umdruckverfahren (seitenrichtiger Abklatsch von einem spiegelverkehrt bedruckten, noch feuchten Blatt) hergestellt und von der Autorin und ihren beiden Töchtern liebevoll koloriert.

Gesamtauflage: 60 Stück

Ein koloriertes Exemplar kostete 45 Gulden, was einer heutigen Kaufkraft von 2000 Euro entspricht. Vermutlich ist die bibliophile Kostbarkeit, in der die Autorin ihre entomologischen Beobachtungen während eines zweijährigen Forschungsaufenthalts in der niederländischen Kolonie Surinam schildert, in einer Gesamtauflage von 60 Exemplaren erschienen. Neben der lateinischen und der niederländischen Ausgabe sollte auch eine deutsche Fassung herausgegeben werden. Weil sich aber nur zwölf Subskribenten meldeten, verzichtete Merian darauf. Nach Schätzungen existieren von der ersten Auflage im Umdruckverfahren des "Surinam-Buchs" noch fünf Exemplare. Eines befindet sich in der Sammlung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg.

Zweig eines Granatapfelstrauchs (Punica granatum) mit reifer Frucht und Blüten sowie Larve und zwei Imagines des Morphofalters, der sich vom Saft gärender Früchte ernährt und auch den in Vorderasien heimischen Granatapfel nicht verschmäht.

Im 17. Jahrhundert glaubten noch viele Wissenschaftler, Lebewesen könnten unter besonderen Bedingungen durch Ur- oder Spontanzeugung aus unbelebter Materie entstehen (Abiogenese). 1668 widerlegte Francesco Redi (1626 – 1697) diese auf Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) zurückgehende Hypothese. Er hatte beobachtet, dass unter Verschluss gehaltenes Fleisch nicht von Maden befallen wird und dass Maden sich zu Fliegen weiterentwickeln. Aus dieser Erkenntnis heraus formulierte der italienische Arzt den Satz "Omne vivum ex ovo" – "Alles Leben entsteht aus einem Ei".

Auch Merian hatte ihr entomologisches Wissen in erster Linie aus eigenen Beobachtungen erworben. In Frankfurt als Tochter des Verlegers Matthäus Merian (1593 – 1650) zur Welt gekommen, kopierte sie schon in frühester Kindheit heimlich Kunstblätter. Ihr Stiefvater, der Blumenmaler und Kunsthändler Jacob Marrel (1613/14 – 1681), erkannte ihre Begabung und sorgte für eine fundierte Ausbildung. Mit elf Jahren beherrschte Merian die Technik des Kupferstichs perfekt, und bald übertraf sie sogar ihren Lehrer und entwickelte einen eigenen Malstil.

Metamorphose als künstlerisches Sujet

Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit züchtete die Jugendliche auch Seidenraupen. Schon bald wurde ihr bewusst, dass viele einheimische Falter den Seidenspinner an Schönheit übertreffen: "Das veranlasste mich, alle Raupen zu sammeln, die ich finden konnte, um ihre Verwandlung zu beobachten. Ich entzog mich deshalb aller menschlichen Gesellschaft und beschäftigte mich mit diesen Untersuchungen", schreibt die Künstlerin in ihrem Werk über die Insektenfauna Surinams.

Heliconia spec. aus der Ordnung der Ingwerartigen mit Wespe und Larven, Kokons und Imagines einer Nachtfalterart; Größe ca. 25%.

Bereits 1679 und 1683 hatte sie in zwei Bänden mit dem Titel "Der Raupen wunderbare Verwandlung und sonderbare Blumennahrung" ihre langjährigen Beobachtungen der einheimischen Insektenfauna in Wort und Bild veröffentlicht.

Wie später in ihrem "Surinam-Buch" stellte Merian schon hier die Entwicklungsstadien der Insekten auf den jeweils artspezifischen Wirtspflanzen dar. Im Oktav-Format auf einfachem Papier gedruckt, ist das äußere Erscheinungsbild dieser Bände zwar bescheiden, für die damals noch junge Wissenschaft der Entomologie war das Werk indessen von herausragender Bedeutung.

In Merians Illustrationen spielen die Insekten nicht mehr – wie in Blumen- und Früchtestillleben des Frühbarock üblich – eine untergeordnete, eher dekorative Rolle. Der Künstlerin gelang es, Raupen, Falter, Käfer und andere kleine Tiere als Hauptakteure mit wissenschaftlicher Aussagekraft in ihrem artspezifischen Umfeld darzustellen. Neu war für die damalige Zeit, dass "die surinamischen Raupen und Würmer in allen ihren Verwandlungen nach dem Leben abgebildet sind und beschrieben werden […] wobei sie auf die Gewächse, Blumen und Früchte gesetzt werden, auf denen sie gefunden wurden". Darüber hinaus "werden hier auch Frösche, wundersame Kröten, Eidechsen, Schlangen, Spinnen und Ameisen gezeigt und erklärt".


Zweig von Maniok (Manihot esculenta), einer alten, vermutlich aus dem nördlichen Amazonasbecken stammenden Kulturpflanze, mit Gecko (?), Raupe, Kokon und Imagines eines Nachtfalters.

"Kunstgriffe" als Zugeständnis an den Geschmack

Merian verhehlt indessen nicht, dass sie zuweilen "Kunstgriffe" anwandte, um auch ästhetische Ansprüche zu erfüllen. So zum Beispiel in der Tafel mit dem unscheinbaren, im tropischen Südamerika heimischen Eulenfalter Phobetron hipparchia , der samt Larve und Kokon ein angefressenes Blatt einer Zitronatzitrone (Citrus medica) besiedelt. Auf der gelben Frucht sitzt ein auffällig gefärbter Harlekinbock (Acrocinus longimanus), der aber in seinem natürlichen Habitat an Baumstämmen oder auf dem Boden des tropischen Regenwalds nur schwer zu erkennen ist, da er sich von dem Untergrund nicht optisch abhebt und sich scheinbar auflöst (Somatolyse). Seine Larven ernähren sich ausschließlich vom Holz umgestürzter Maulbeer- und Hundsgiftgewächse und stehen somit in keiner Beziehung zu Citrus -Arten, die aus Ost- und Südasien stammen, teilweise schon im Altertum im Mittelmeerraum kultiviert wurden und erst durch die Europäer in die Neue Welt gelangten.

Merian gibt freimütig zu, dass sie die Herkunft dieses Insekts nicht kenne und "den schönen schwarzen mit roten und gelben Flecken verzierten und auf der Frucht sitzenden Käfer […] wegen seiner Seltenheit hier hinzugesetzt [habe], um den Stich auszufüllen und zu schmücken". Erst 1758 hat Carl Linné (1707 – 1778) den Harlekinbock wissenschaftlich beschrieben.


Zweig der Zitronatzitrone (Citrus medica), einer ursprünglich aus Indien stammenden Kulturpflanze, mit Larve, Kokon und Imago des Nachtfalters Phobetron hipparchia und Harlekinbock; Größe ca. 25%.

Ohne männlichen Schutz nach Amerika gesegelt

Der Wunsch, die noch weitestgehend unbekannte Insektenfauna Surinams zu erforschen, war spät in Merian erwacht. Sie hatte sich nach 20-jähriger Ehe von ihrem Mann, dem Nürnberger Maler Johann Andreas Graff (1637 – 1701), getrennt und war 1685 mit ihrer Mutter und den beiden Töchtern nach Westfriesland gezogen, wo die Frauen in der Kolonie einer frühpietistischen Sekte (Labadisten) eine neue Heimat fanden. 1691 zog Merian nach Amsterdam, um dort im weltoffenen Klima ungehindert ihren naturwissenschaftlichen Ambitionen nachzugehen.

Im Vorwort zur "Metamorphosis" schilderte Merian ihre Motivation, in den Tropen ihre eigenen Beobachtungen anzustellen: "In Holland sah ich voller Verwunderung, was für schöne Tiere man aus Ost- und West-Indien kommen ließ […] In jenen Sammlungen habe ich diese und zahllose andere Insekten gefunden, aber so, dass dort ihr Ursprung und ihre Fortpflanzung fehlten, das heißt, wie sie sich aus Raupen in Puppen und so weiter verwandeln. Das alles hat mich dazu angeregt, eine große und teure Reise zu unternehmen und nach Surinam zu fahren, um dort meine Beobachtungen fortzusetzen."

Im Sommer 1699 ging sie mit ihrer jüngeren Tochter Dorothea Maria (1678 – 1743) an Bord eines Kauffahrteiseglers. Damals war es für Frauen nicht nur "höchst unschicklich", ohne männliche Begleitung eine mehrwöchige Seereise zu unternehmen. Ebenso ungewöhnlich war es, im Dienst der Wissenschaft ein strapaziöses und unstetes Leben in Äquatornähe zu führen, anstatt dort durch die Bewirtschaftung einer Plantage oder mit Handelsgeschäften möglichst schnell zu Wohlstand zu gelangen.

Im Regenwald beobachtete Merian Insekten, fertigte Skizzen an und sammelte Belegmaterial. Ihre Einteilung der Schmetterlinge in "Kapellen" und "Eulen" (Tag- bzw. Nachtfalter) ist heute noch gültig. In ihren Texten ging die Forscherin auch auf den Geschmack und die Zubereitung einzelner Pflanzen und Früchte sowie deren Verwendung als Heilmittel ein. Womit deutlich wird, dass sie alles andere als eine "weltfremde Wissenschaftlerin" war, wie viele Siedler vermutlich aus Verärgerung über ihre kritischen Anmerkungen zur Sklaverei behaupteten.

Nachdem sie eine Malaria überstanden hatte, kehrte Merian im Herbst 1701 nach Amsterdam zurück. Obwohl sie noch von der Krankheit geschwächt war, begann die mittlerweile 54-Jährige mit den Vorbereitungsarbeiten für das "Surinam-Buch". Ende 1702 übergab sie ihre Pergamentmalereien und ihre Texte, die der Leiter des Botanischen Gartens in Amsterdam, Caspar Commelin (1668 – 1731), mit wissenschaftlichen Notizen ergänzt hatte, der Druckerei.

Der Prachtband erfuhr unter Wissenschaftlern höchste Anerkennung. Merian arbeitete indessen unermüdlich weiter. Unter anderem gab sie das "Raupenbuch" neu heraus und bereitete sogar noch eine Fortsetzung vor. Erst ein Schlaganfall zwei Jahre vor ihrem Tod lähmte ihren Schaffensdrang. Als sie am 13. Januar 1717 69-jährig starb, war sie eine weltweit hoch geschätzte Naturforscherin. Ihr Lebenswerk wurde durch die Tochter Dorothea vollendet: Noch im selben Jahr gab sie den dritten Teil des "Raupenbuches" heraus.


Reinhard Wylegalla


Museum


Germanisches Nationalmuseum

Kartäusergasse 1, 90402 Nürnberg

Tel. (09 11) 1 33 10, Fax 1 33 12 00

www.gnm.de

Geöffnet: dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 21 Uhr



DAZ 2012, Nr. 17, S. 92

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