Interpharm 2012

Neue Wirkstoffe: Nur neu oder auch ein Fortschritt?

Wirkliche Innovationen verbessern die Therapie

Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz und Prof. Dr. Dieter Steinhilber von der Goethe-Universität Frankfurt stellten in ihrem Doppelvortrag neue Wirkstoffe vor, die bald den Arzneimittelbestand bereichern könnten. Neben neuen onkologischen Wirkstoffen sind das auch Wirkstoffe zur Behandlung der überaktiven Blase, zur Therapie der Mukoviszidose und zur antiepileptischen Therapie.
Innovationen in der Pipeline stellten Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz (links) und Prof. Dr. Dieter Steinhilber vor. Foto: DAZ/Darren Jacklin


Mirabegron

Erster β3-Rezeptoragonist

Als ersten Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse stellten die Referenten den β3-Rezeptoragonist Mirabegron (Betanis®) vor. Er wird in der Therapie der überaktiven Blase eingesetzt und verspricht hier einen wirklichen Fortschritt. Das Problem bei den in Deutschland bisher zur Verfügung stehenden Anticholinergika ist zum Beispiel die als unerwünschte Wirkung auftretende Mundtrockenheit. β-Adrenozeptoren sind weit verbreitet und spielen auch bei der Relaxation glatter Muskulatur eine Rolle, β3-Rezeptoren besonders bei der Steuerung der Füllung der Blase. In einer Phase-III-Studie konnte der selektive β3-Rezeptoragonist Mirabegron bei Patienten, die unter Dranginkontinenz, gemischter Inkontinenz oder erhöhter Miktionsfrequenz ohne Inkontinenz litten über zwölf Wochen wichtige Parameter wie die Zahl der Inkontinenzepisoden und die Miktionsfrequenz signifikant im Vergleich zu Placebo verbessern. Die Inzidenz von unerwünschten Wirkungen lag unter Mirabegron auf Placeboniveau. 2011 wurde für den neuen Wirkstoff in Europa und in den USA ein Zulassungsantrag gestellt, in Japan ist er als Betanis® seit Juli 2011 zugelassen.


Perampanel

Neues Antiepileptikum

Ebenfalls schon im Zulassungsprozess bei den Behörden in den USA und Europa befindet sich ein hochselektiver, nicht kompetitiver AMPA-Glutamatrezeptor-Antagonist. Perampanel (Fycompa®) wird für die adjuvante Behandlung partieller Anfälle bei Epilepsiepatienten entwickelt. AMPA (alpha-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazol-Propionsäure)-Rezeptoren kommen in exzitatorischen Neuronen vor. Sie übertragen durch den Neurotransmitter Glutamat angeregte Signale und spielen wahrscheinlich bei Erkrankungen des Zentralnervensystems eine Rolle, die durch überschüssige neuroexzitatorische Signalbildung gekennzeichnet sind, wie Epilepsie, neurodegenerative Erkrankungen, Bewegungsstörungen, Schmerz und psychiatrische Störungen. Perampanel hat in Studien der Phasen II und III antikonvulsive Wirkungen gezeigt. Es muss nur einmal täglich eingenommen werden und reduziert als Zusatzbehandlung gegeben zuverlässig komplex-fokale und sekundär generalisierte Anfälle. Die Referenten bezeichneten Perampanel als einen wichtigen Schritt hin zu einer verbesserten Epilepsietherapie, zumal etwa ein Drittel der Epilepsiepatienten unter den heute zur Verfügung stehenden Wirkstoffen als therapieresistent gilt.


Ivacaftor

Erstmals kausaler Ansatz zur Therapie der Mukoviszidose

Mit Ivacaftor (Kalydeco®) wird demnächst erstmals ein kausaler Therapieansatz zur Behandlung der Mukoviszidose zur Verfügung stehen: In den USA hat die FDA Anfang des Jahres eine Zulassung erteilt, eine Entscheidung über den auch bei den europäischen Behörden eingereichten Zulassungsantrag steht noch aus. Bei der zystischen Fibrose, einer genetisch bedingten, autosomal-rezessiv vererbten Stoffwechselerkrankung, bei der es durch die Fehlfunktion von Chloridkanälen zu einer veränderten Zusammensetzung der Sekrete exokriner Drüsen kommt. Die Folgen des zähflüssigen Schleims in den Bronchien können chronischer Husten, häufig wiederkehrende Lungeninfekte und schwere Lungenentzündungen sein. Die Ursache sind verschiedene Mutationen am langen Arm des Chromosoms 7. Das betroffene Gen codiert für das Protein CFTR (Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator), das in der Zellmembran als Chloridkanal fungiert. Durch die Veränderung des Gens kommt es zu einer Fehlfunktion von Chloridkanälen. Das oral applizierbare Ivacaftor kann deutlich die CFTR-Funktion bei Patienten, die die entsprechenden Mutationen tragen, erhöhen und die Lungenfunktion verbessern. Ein Therapieansatz, den die Referenten als revolutionär bezeichneten.


ck



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DAZ 2012, Nr. 12, S. 90

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