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Aus der Hochschule
Phytotherapeutika in der aktuellen Forschung
Knapp 50 Doktorandinnen und Doktoranden fanden sich in Münster ein, vornehmlich Pharmazeuten, aber auch Mediziner und Biologen, die sich – manchmal leidenschaftlich – mit der Erforschung von Arzneipflanzen befassen. Spannend war die interdisziplinäre Beleuchtung von Fragestellungen aus den unterschiedlichen Sichtweisen der Phytochemie, der tierexperimentellen und molekularen Pharmakologie sowie aus der Klinik.
Phytochemie
In dem Vortragsblock zur Phytochemie wurden zunächst Extrakte und isolierte Naturstoffe aus Augentrost (Euphrasia officinalis) als antiproliferative Agenzien gegenüber mikrovaskulären Endothelzellen vorgestellt, die zur Therapie der Makuladegeneration angewendet werden könnten.
Pflanzliche Drogen zur Durchspülungstherapie bei Entzündungen der ableitenden Harnwege besitzen antiadhäsive Eigenschaften gegenüber uropathogenen E. coli, d. h. sie hemmen die Anheftung der Bakterien an das Blasenepithel; interessanterweise blockieren einige Drogenextrakte die entsprechenden Rezeptoren der Bakterien, während andere Drogenextrakte die Bindungsstellen auf dem Blasenepithel besetzen. Die Kombination beider Extrakttypen führt zu signifikanten synergistischen Effekten.
Mehrere Mitarbeiter einer Düsseldorfer Arbeitsgruppe haben aus dem Gewebe gängiger Arzneipflanzen (z. B. Mentha, Aloe) endophytische Pilze isoliert, taxonomisch bestimmt, kultiviert und deren Sekundärstoffe isoliert und charakterisiert. Darunter waren strukturell sehr ungewöhnliche Verbindungen, die in vitro getestet wurden und interessante Wirkungen zeigten.
Eine Präsentation beschäftigte sich mit der Pathogenese der allergischen Kontaktdermatitis; dabei wurden unterschiedliche Sesquiterpenlactone hinsichtlich ihres Einflusses auf die Zell-Zell-Kommunikation zwischen Keratinozyten und anderen beteiligten Hautzellen untersucht. Sie induzieren proinflammatorische Zytokine sowie einen noch unbekannten löslichen Faktor, der die für das Zustandekommen einer Immunreaktion notwendige Entzündungsreaktion triggert.
In-vitro-Pharmakologie
Im Themenkomplex Pharmakologie konnte für das in Ginkgoextrakten enthaltene Bilobalid in vivo (Ratte) ein neuartiger Wirkmechanismus aufgezeigt werden, der seine neuroprotektiven Effekte bei Ischämien erklären könnte: Bilobalid vermindert durch Beeinflussung der Mitochondrien die intrazellulären Glucose- und Glutamatkonzentrationen.
Ein weiterer Vortrag beschrieb die Etablierung und Validierung eines neuartigen Modells (Ratte) zur Untersuchung von potenziellen Analgetika bei chronischen Schmerzzuständen.
Dass auch komplex zusammengesetzte Phytopharmaka bezüglich der isolierten und der synergistischen Wirkungen ihrer Komponenten gut charakterisiert werden können, zeigte eine Studie über STW5 (Iberogast®); sie belegte klar den Einfluss der einzelnen Extrakte auf das intestinale Entzündungsgeschehen und die Überlegenheit der Kombination.
Durch die Kombination von In-vitro- und In-vivo-Daten (Ratte) gelang es zu zeigen, dass ein charakterisierter Extrakt aus Sophora flavescens folgende antidiabetische Effekte hat: erhöhte Insulinsekretion und ‑konzentration (Blut), reduzierte Blutglucosekonzentration, reduzierte inflammatorische Effekte. Ein Teil der Wirkungen konnte auf die Inhaltsstoffe Sophojaponicin und Kurarinon zurückgeführt werden.
In einer Studie zur Struktur-Wirkungs-Beziehung von tanninhaltigen Extrakten mit inhibitorischer Wirkung gegen das Influenza-A-Virus (H1N1) wurde gezeigt, dass die Wirkung auf einer Hemmung des Andockens des Viruspartikels an die Zielzelle beruht (Antiadhäsion), welche wiederum auf eine Interaktion von Inhaltsstoffen mit viralem Hämagglutinin zurückzuführen ist. Als wirksame Inhaltsstoffe wurden oligomere Proanthocyanidine definiert, die ein Pyrogalloyl-Strukturelement in Position O-3 oder im B-Ring aufweisen. Optimal wirksam war Procyanidin-B2-digallat.
Phytotherapie
Zum Einsatz von Phytotherapeutika im Krankenhaus wurde eine Versorgungsstudie seitens der Ruhr-Universität Bochum präsentiert. Demnach wünschen über 80% der befragten Patienten die Behandlung mit Phytotherapeutika. Aus der Statistik der eingesetzten Präparate ließen sich allerdings nicht die jeweils zugrunde liegenden Indikationen ableiten.
Dass pflanzliche Zubereitungen auch schaden können, wurde anhand eines fulminanten Leberversagens nach Einnahme hoch konzentrierter Grünteekapseln eindrucksvoll belegt. Die Konsequenzen aus diesem Fall wurden sehr kontrovers und heiß diskutiert.
Phytochemische Analytik
Auch zur Analytik gab es einige sehr spannende Präsentationen. So wurden z. B. mehrere ungewöhnliche Diterpene vom Labdantyp im Herzgespannkraut (Leonurus cardiaca) erstmals beschrieben.
Für die Praxis sehr wichtig erscheint die Etablierung, Kalibrierung und Validierung einer effizienten FT-IR-Methode zur Quantifizierung von Isoflavonen in Nahrungsergänzungsmitteln; aufgrund ihrer Einfachheit ist sie den üblichen HPLC-Verfahren deutlich überlegen.
Weiterhin wurde eine effiziente HPLC-Methode vorgestellt, die es erlaubt, in einem einzigen, nach ICH validierten Verfahren die gesamten oligomeren Proanthocyanidine in verschiedenen Drogenspezies (Johanniskraut, Weißdornblätter mit Blüten) individuell zu quantifizieren. Diese Methode wurde auch zur Charakterisierung von Extrakten in Fertigarzneimitteln eingesetzt.
Eine weitere Sitzung beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit Naturstoffen als Leitstrukturen für die Entwicklung neuer Arzneistoffe. Erfolg versprechend erscheinen insbesondere Sesquiterpenlactone als Hemmstoffe des Transkriptionsfaktors c‑Myb, der bei bestimmten Leukämien signifikant hochreguliert ist. Auch bestimmte Inhaltsstoffe in Extrakten aus Walnussblättern und ‑früchten können c-Myb hemmen.
Eine Vielzahl von Postern rundete die Veranstaltung ab. Insgesamt bot sich ein aktuelles, spannendes Programm mit intensiven Diskussionen, und einmal mehr hat sich gezeigt, dass der Nachwuchs es hervorragend versteht, eigene Ergebnisse exzellent zu präsentieren, zu diskutieren und neue Ideen und Gedanken zu generieren.
Organisiert wurde die Tagung von den Professoren A. Hensel, T. J. Schmidt (Pharmazeutische Biologie und Phytochemie, Universität Münster), K. Nieber (Pharmakologie, Universität Leipzig) und A.-M. Beer (Naturheilkunde und Gesundheitsprävention, Ruhr-Universität Bochum). Die organisatorische und technische Abwicklung lag in den bewährten Händen der "Event-Managerinnen" M. Plesse und E. Thiele.
Die Tagung wurde dankenswerterweise durch die Gesellschaft für Phytotherapie gefördert und durch die Firmen Boehringer Ingelheim, Cassella-med (Klosterfrau Healthcare Group), Diapharm, Dr. Willmar Schwabe, Eppendorf, Pflüger Arzneimittel, PhytoLab, Steigerwald Arzneimittel und Walther Schoenenberger Pflanzensaftwerk unterstützt. – Das 4. Young Researcher Meeting soll im Jahr 2014 stattfinden.
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Prof. Dr. Andreas Hensel
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