Feuilleton

Botanische Buchillustration vor 1800

Ausstellung der Franckeschen Stiftungen in Halle

Bibliophile Kostbarkeiten zum Thema "Gart der Gesundheit" zeigen die Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale in einer Ausstellung bis zum 25. März. Unter den 70 Büchern und Grafiken sind viele Leihgaben der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle sowie des Museums Otto Schäfer in Schweinfurt und des dortigen Stadtarchivs.
Wegerich ("Wegebreide") im "Herbarius", gedruckt von Peter Schöffer d. Ä., Mainz 1484. Der "Herbarius" war das erste in Deutschland gedruckte Kräuterbuch und Vorläufer des "Gart der Gesundheit".

Naturgetreue Darstellungen – ein uralter Wunsch

Um Pflanzen sicher klassifizieren zu können, sind neben präzise formulierten Texten naturgetreue Abbildungen unverzichtbar. Bis zur Erfindung der Drucktechnik war es üblich gewesen, botanische Abhandlungen mit Malereien zu illustrieren. Diese stellten allerdings nur selten die Ansprüche der Autoren zufrieden. Schon Plinius d. Ä. (23 – 79 n. Chr.) hatte im 25. Buch seiner "Naturalis historia" die "Fahrlässigkeit der Kopisten" bemängelt. Es habe auch "wenig Sinn, die Pflanzen nur in einer Altersstufe abzubilden, da sie in den verschiedenen Jahreszeiten ihr Aussehen verändern", hatte schon der römische Gelehrte erkannt.

Beinahe anderthalb Jahrtausende später übernahmen Otto Brunfels (1488 – 1534) und Hieronymus Bock (1498 – 1554) die Kritik des Plinius wörtlich in ihre Kräuterbücher, obgleich die Abbildungen in ihren Werken bereits ein hohes künstlerisches Niveau aufweisen. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts lösten hölzerne Druckstöcke, mit denen Hunderte identische Abbildungen hergestellt wurden, die Buchmaler ab. Die Qualität der Darstellungen war indessen nicht allein vom handwerklichen Geschick der Holzschneider abhängig, sondern insbesondere von den gezeichneten Vorlagen. Häufig stand den Zeichnern kein Pflanzenmaterial als Vorlage zur Verfügung, sondern sie waren allein auf verbale Schilderungen angewiesen, die nicht selten ihre Fantasie beflügelten und zur Darstellung realitätsferner Gebilde führten.


"Weibliche" Alraune im "Gart der Gesundheit", Mainz 1485.

"Gart der Gesundheit"

So spiegelt die Abbildung einer "weiblichen" Alraune im "Gart der Gesundheit", dem ältesten in deutscher Sprache gedruckten Kräuterbuch (Mainz 1485), deutlich die aus dem Mittelalter überlieferte Sichtweise wider. Die Wurzel ist anthropomorph dargestellt, während die Blätter und Früchte dieses Nachtschattengewächses recht naturgetreu wiedergegeben sind. Einer der Illustratoren war Erhard Reuwich (um 1450 – 1505) aus Utrecht. Dieser reiste 1483 mit dem Auftraggeber des "Gart der Gesundheit", dem Mainzer Domherren Bernhard von Breidenbach (um 1440 – 1497), nach Palästina, wo er auch mediterrane Pflanzen für das Kräuterbuch zeichnete. Als Reuwich nach Mainz zurückkehrte, war das Werk aber bereits erschienen. Den Text hatte der Frankfurter Stadtphysikus Johann Wonnecke von Kaub (1430 – 1503/4) verfasst.

Die "Väter" der abendländischen Botanik

Wonnecke und seine Zeitgenossen stützten sich ganz auf das überlieferte Wissen antiker und arabischer Mediziner und Naturforscher. Erst Otto Brunfels, Hieronymus Bock und Leonhart Fuchs (1501 – 1566) begründeten eine eigenständige Botanik, in deren Mittelpunkt nicht mehr allein der medizinische Nutzen der Pflanzen stand. Die "Herbarum vivae eicones ad naturae imitationem" (Straßburg 1531 – 1532) von Brunfels gelten auch als das Werk, das der botanischen Grafik als wissenschaftlich verlässlichem Anschauungsmaterial zum Durchbruch verhalf. Er beauftragte handwerklich hochbegabte Holzschneider, nach Vorlagen von Hans Weiditz (1500 – 1536, ein Schüler des Augsburger Malers, Zeichners und Holzschneiders Hans Burgkmair d. Ä.) Druckstöcke herzustellen. Die bis dahin in gedruckten botanischen Büchern in dieser Qualität noch nie dargestellten Abbildungen wirken naturgetreu und verraten gleichermaßen eine künstlerische Sichtweise: Ähnlich wie für eine Momentaufnahme übernahm Weiditz für seine Zeichnungen nach lebendem Pflanzenmaterial jedes welke Blatt, Fraßspuren und andere aus wissenschaftlicher Sicht eher nebensächliche Details.

"Kuchenschell" (Pulsatilla) im Kräuterbuch "Herbarum vivae eicones ad naturae imitationem" von Otto Brunfels, Straßburg 1531/32. Die Darstellung ist gleichermaßen wissenschaftlich präzise und ästhetisch.

Fuchs und Bock nahmen dann auch Pflanzen aus der soeben entdeckten Neuen Welt in ihre Kräuterbücher auf. Als Mitte des 16. Jahrhunderts Europa geradezu mit Abhandlungen über die Pflanzenwelt fremder Länder überflutet wurde, waren es Pierandrea Mattioli (1501 – 1577), Matthias de l’Obel (1538 – 1616), Jacob Theodor Tabernaemontanus (1522 – 1590), Caspar Bauhin (1560 – 1624) und andere Autoren, die sich zusehends auch mit exotischen Pflanzen beschäftigten und diese in ihre Werke aufnahmen.

Weil die Autoren spätestens jetzt nicht mehr auf antike Texte zurückgreifen konnten, waren sie zusehends auf eigene vergleichende Studien angewiesen. Unbekannte Spezies mussten neu beschrieben und neben den gesicherten Basisdaten auch eigene Erfahrungen und Beobachtungen eingebracht werden. Interessierte Leser konnten die Texte mit den Angaben anderer Autoren kritisch vergleichen und gegebenenfalls unter Nutzung anderer Quellen ergänzen.

Der immens wachsende Bedarf nach vergleichbaren und überprüfbaren Kriterien war für Bauhin Anlass, ein Klassifikationssystem zu entwerfen, das sich an der natürlichen Verwandtschaft der Pflanzen orientierte. Der fundierte Kenner der gesamten damals bekannten Flora von ganz Europa (5640 Spezies) unterschied dabei erstmals zwischen Spezies und Gattung.


"Ampelographia" des Philipp Jacob Sachs von Lewenheimb, Breslau 1661. Titelblatt der Monografie über den Weinstock und seine Produkte. In der Mitte wächst ein aufrechter Weinstock (vitis erecta), den es eigentlich nicht gibt, auf Mutter Erde (terra mater), beschienen von Vater Sonne (sol pater). Andere Wuchsformen sind vitis saxatilis, vitis prostrata, vitis arbustiva, vitis pergolana und vitis pedata. Nach der Lese (vindemia) und Kelterung der Trauben (oben links) folgt der Ausbau des Weins im Weinkeller (apotheca doliorum; oben rechts). Die Aufschriften auf den Fässern verweisen auf die Provenienzen Tokaj, Ungarn, Franken, Rhein, Frankreich, Spanien, Kanaren, Griechenland, Malvasier und Falerner. Ein Veredelungsprodukt ist die "Quintessenz des Weins", der Weingeist (unten links), ein wichtiges Nebenprodukt der Weinstein (tartarus, unten rechts). Vor dem Zugang zu einer Laube hängt das Symbol der Leopoldina, ein Ring mit einem aufgeschlagenen Buch (Mitte rechts).

Ärzte als Naturforscher

1661 erschien die "Ampelographia sive vitis viniferae eiusque partium consideratio physico-philologico-medico-chymica" als erste Publikation der Academia Naturae Curiosorum (seit 2008 Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften). Der bemerkenswerte Umfang von 670 Seiten spiegelt den außergewöhnlichen Fleiß ihres Verfassers, Philipp Jacob Sachs von Lewenheimb (1627 – 1672), wider. Für zeitgenössische Autoren war die Akribie, die der Breslauer Stadtphysikus bei der Erforschung des Weinanbaus und der Weinkunde bewiesen hatte, vorbildlich. In der gesamten Geschichte der Akademie sollte aber nie wieder eine Abhandlung ähnlichen Umfangs erscheinen.

Die Academia Naturae Curiosorum war 1652 in Schweinfurt durch vier Ärzte gegründet worden. Ihr Spiritus rector und erster Präsident war Johann Lorenz Bausch (1605 – 1665), der in Italien Akademien als Vereinigungen von Wissenschaftlern und Künstlern kennengelernt hatte; Mitgründer waren seine Kollegen Johann Michael Fehr (1610 – 1688), Georg Balthasar Metzger (1623 – 1687) und Georg Balthasar Wohlfahrt (1607 – 1674). In den Statuten legten sie fest, dass jeder der Akademie angehörende Arzt Monographien von Drogen aus dem Pflanzen-, Mineral- und Tierreich "ad normam et formam Academiae" (nach durch die Akademie vorgegebenen Kriterien) verfasst, die zusammen eine Enzyklopädie der Arzneimittel ergeben sollten. Von jedem Mitglied wurden jährlich zwei Abhandlungen erwartet – doch konnten die Ärzte diesen hohen Anspruch dann doch nicht erfüllen.

In Frankreich und Großbritannien war es bereits seit 1665 üblich, wissenschaftliche Abhandlungen im "Journal des sçavants" bzw. den "Philosophical transactions of the Royal Society of London" zu publizieren und zu diskutieren. Nach diesen Vorbildern und einem Vorschlag von Lewenheimbs – seit 1658 Mitglied der Akademie – erschien ab 1670 die erste naturwissenschaftlich-medizinische Zeitschrift Deutschlands, die "Miscellanea curiosa sive Ephemeridum medico-physicarum Germanicarum Academiae Caesareo-Leopoldinae Naturae Curiosorum" – kurz: die Ephemeriden.

Ärzte aus ganz Europa veröffentlichten in den Ephemeriden ihre "Observationes" (Beobachtungen). Die Beiträge wurden häufig durch ein Scholion (griech. kurzer Kommentar) anderer Gelehrter ergänzt. Ab dem dritten Erscheinungsjahr wurden auch längere Abhandlungen sowie lateinische Übersetzungen von nationalsprachigen Arbeiten veröffentlicht. Die Zeitschrift und andere Publikationen aus den frühen Jahren der Leopoldina gaben insbesondere der Erforschung von Arzneipflanzen durch den wissenschaftlichen Austausch auf breiter Ebene wichtige Impulse.

"Scientia amabilis"

Die Verleger wissenschaftlicher Literatur beschäftigten zunehmend technisch versierte und spezialisierte Illustratoren, die Realitätstreue und künstlerische Sichtweise miteinander verbanden. Wen wundert’s, dass der Arzt Carl von Linné im Jahr 1767 die Botanik zur "Scientia amabilis", zur "liebenswerten Wissenschaft", erklärte.


Ausstellung


Franckesche Stiftungen, Historisches Waisenhaus

Franckeplatz 1, 06110 Halle

Tel. (03 45) 2 12 74 00

www.francke-halle.de

Geöffnet: dienstags bis sonntags 10 – 17 Uhr

Katalog: 208 Seiten, 19 Euro, ISBN 978-3-447-06464-4


Reinhard Wylegalla



DAZ 2012, Nr. 11, S. 100

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