Arzneimittel und Therapie

Baut Vitamin E Knochensubstanz ab?

Vermehrte Osteoklasten-Bildung im Tierversuch

Das fettlösliche Vitamin E (Tocopherole) gehört zu den essenziellen Vitaminen, die mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. Es schützt mehrfach ungesättigte Fettsäuren in Membranlipiden, Lipoproteinen und Depotfett vor einer Zerstörung durch Oxidation. Einen besonders hohen Gehalt weisen pflanzliche Öle wie Weizenkeimöl, Sonnenblumenöl, Palmöl und Olivenöl auf. Zu einem unerwarteten Ergebnis kommt jetzt eine japanische Studie an Mäusen, nach der verstärkt Knochensubstanz abgebaut wurde, wenn die Tiere alpha-Tocopherol als Nahrungszusatz erhielten.

Vitamin E ist der Überbegriff für verschiedene fettlösliche Substanzen mit antioxidativen und nicht-antioxidativen Wirkungen. Die am häufigsten vorkommenden Vitamin E-Formen sind die Tocopherole und Tocotrienole. Die bekannteste Variante ist das alpha-Tocopherol, das antioxidativ und somit als Radikalfänger wirkt. Vitamin E senkt das Risiko für Krebserkrankungen, Herzinfarkt, unterstützt das Immunsystem und schützt die Gefäße vor Arteriosklerose. Der Mindestbedarf beim Menschen wird mit 4 mg/d, zuzüglich etwa 0,4 mg pro Gramm Zufuhr an mehrfach ungesättigten Fettsäuren, angegeben. Neben einer Erhöhung des Arteriosklerose-Risikos werden als Mangelerscheinungen unter anderem Konzentrations- und Leistungsschwäche sowie schlecht heilende Wunden genannt. Zur Erreichung eines protektiven Plasmaspiegels gibt es widersprüchliche Angaben.

Antioxidative und Wirkung auf Knochenstoffwechsel voneinander unabhängig

Zu einem überraschenden Ergebnis kommt jetzt eine Studie japanischer Wissenschaftler. Im Tierversuch erhöhten sich die Rate der Knochenbildung und die Gesamtknochenmasse bei genetisch veränderten Mäusen, die das Transportprotein für alpha-Tocopherol nicht mehr bilden und damit das Vitamin nicht mehr verwerten konnten. Umgekehrt wurde verstärkt Knochensubstanz abgebaut, wenn nicht genetisch veränderte Tiere Vitamin E als Nahrungszusatz erhielten. Nicht nur bei Mäusen, auch bei erwachsenen Menschen ist die Aktivität der Osteoblasten und Osteoklasten, die für den Knochenauf- bzw. -abbau zuständig sind, in einem weitgehenden Gleichgewicht. Diese Homöostase wird offensichtlich bei stark erhöhtem oder stark verringertem alpha-Tocopherol-Blutspiegel aufgehoben. Zu diesem Befund kamen die Wissenschaftler nur bei Gabe von alpha-Tocopherol, nicht bei Verwendung anderer Vitamin-E-Varianten, die ebenfalls antioxidativ wirksam sind. Beide Wirkungen sind somit unabhängig voneinander, vermuten die Wissenschaftler, die bei ihren Versuchen normale Tiere über acht Wochen mit zusätzlichem alpha-Tocopherol zur Nahrung fütterten. Im Vergleich zu den Kontrollen nahm die Knochenmasse der Tiere um 20% ab. Die Rate des Abbaus ging mit einer vermehrten Bildung reifer Osteoklasten einher.

Die zusätzlich verabreichte Vitaminmenge entsprach etwa jener Dosis, die viele Menschen mit Nahrungsergänzungsmitteln zu sich nehmen. Somit könnten möglicherweise auch die mit gängigen Nahrungsergänzungsmitteln aufgenommenen Mengen an Vitamin E für das menschliche Skelett schädlich sein. Da es andererseits aber auch Untersuchungen zu einer positiven Wirkung von alpha-Tocopherol auf die Knochenentwicklung gebe, sollten jetzt größere Studien am Menschen diesen offensichtlichen Widerspruch klären, so die Wissenschaftler.


Quelle

Fujita, K. et al.: Vitamin E decreases bone mass by stimulating osteoclast fusion. Nature Medicine 2012, DOI: 10.1038/nm.2659, Online-Vorabveröffentlichung vom 4. März 2012.


Dr. Hans-Peter Hanssen



DAZ 2012, Nr. 11, S. 36

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