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Praxis
Enterale Ernährung auf Rezept?
Grundlage für die Verordnungsfähigkeit von Lebensmitteln ist § 31 Abs. 5 SGB V, konkretisiert in der Arzneimittel-Richtlinie, insbesondere Kap. II §§ 18 – 26.
Hier heißt es, dass Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und diätetische Lebensmittel prinzipiell keine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung sind.
Ausnahmeregelung klärt Erstattungsfähigkeit
Die Richtlinie nennt aber Ausnahmen: Produktgruppen, die in "medizinisch notwendigen Fällen ausnahmsweise verordnungsfähig" sind und somit einen Sonderstatus innehaben. Zu diesen Produktgruppen zählen:
Aminosäuremischungen (zusammengesetzt aus freien Aminosäuren)
Eiweißhydrolysate (durch Hydrolyse aus Gesamtprotein gewonnene Aminosäuremischung)
Elementar diäten (sog. Trink nahrung)
Sondennahrungen
Hierbei handelt es sich um Standardprodukte, die der Definition "Bilanzierte Diät" des § 1 Abs. 4a Diätverordnung entsprechen. Verordnungsfähige Produkte sind also in Bezug auf Kohlenhydrate, Proteine, Fette sowie Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente derart zusammengesetzt, dass sie den Vorgaben der Diätverordnung entsprechen. Elementardiäten und Sondennahrungen sind darüber hinaus als alleinige Nahrungsquelle geeignet.
Kennzeichnung in ABDA-Datenbank
In der ABDA-Datenbank sind verordnungsfähige Produkte in der Regel durch die Angabe "Lebensmittel (Diätetikum gemäß § 31 SGB V)" besonders gekennzeichnet.
Beispiele für verordnungsfähige Produkte sind Fresubin® Energy, Fresubin® 2 kcal Drink, Fortimel® Compact, Resource® 2.0+fibre, Resource® Soup und Nutricomp® energy.
Bei den genannten Produkten handelt es sich um hochkalorische Trinknahrungen (≥ 1,5 kcal/ml), die bei erhöhtem Energie- und Nährstoffbedarf indiziert sein können. Altersbedingte Mangelernährung, Kau- und Schluckbeschwerden, Kachexie aufgrund einer konsumierenden Erkrankung oder Flüssigkeitsrestriktion (z. B. bei Patienten mit Herzinsuffizienz) sind mögliche Anwendungsgebiete.
Zur Verfügung stehen darüber hinaus normo- bzw. isokalorische Produkte (Energiegehalt 1 kcal/ml) für Patienten mit normalem Energiebedarf. Verordnet werden können beispielsweise Fortimel® Drink, Resource® Meritene oder Fresubin® Original.
Für die verordnungsfähigen Präparate liegen normalerweise Vertragspreise vor, die je nach Bundesland variieren können. Ob eine Genehmigungspflicht besteht, ist nicht für alle gesetzlichen Krankenkassen pauschal zu beantworten.
Indikationsbezogene Verordnungsfähigkeit
Die Verordnungsfähigkeit von Spezialprodukten, die krankheitsadaptiert für bestimmte Indikationen angewendet werden, ist separat geregelt. Diese sind durch ihre Zusammensetzung abgestimmt auf die individuellen Ernährungsbedürfnisse von Patienten mit besonderen Stoffwechselsituationen.
Entsprechende Indikationen sind beispielsweise:
Niereninsuffizienz (verordnungsfähig z. B. Renilon®)
Kuhmilchproteinallergie (nur für Säuglinge und Kleinkinder)
multiple Nahrungsmittelallergien
Fettverwertungsstörungen, Mal assimilationssyndrome (z. B. Kurzdarmsyndrom)
Defekte im Aminosäurestoffwechsel (z. B. Phenylketonurie, verordnungsfähig z. B. P-AM infant®) sowie im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel (verordnungsfähig z. B. Monogen MCT®)
Epilepsie, wenn trotz optimierter antikonvulsiver Therapie die Anfallskontrolle nicht ausreicht (verordnungsfähig z. B. Ketocal® infant für Säuglinge und Kinder bis zum 3. Lebensjahr)
Nicht verordnungsfähige Produkte
Von der Verordnung auf Kassenrezept ausgeschlossen sind Spezialprodukte für chronische Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Ateminsuffizienz, Dekubitusprophylaxe oder -behandlung, Diabetes mellitus, Geriatrie, zur Stützung des Immunsystems und für Tumorpatienten. Hypokalorische Lösungen mit einer Energiedichte von weniger als 1 kcal/ml sind aufgrund ihrer Zusammensetzung ebenso nicht verordnungsfähig wie übermäßig mit Mineralstoffen, Spurenelementen und Vita minen angereicherte Produkte. Nicht verordnungsfähig sind z. B. Diasip® als Spezialprodukt für Patienten mit Diabetes mellitus, Cubitan® zur Dekubitusprophylaxe/-behandlung, Supportan® speziell für Tumorpatienten, Oral Impact® zur Unterstützung des Immunsystems oder Fresubin® hepa für Patienten mit Lebererkrankungen.
Weiterhin nicht zulasten der GKV verordnungsfähig sind Andickungsmittel (z. B. Resource® ThickenUp) sowie Produkte zur Energieanreicherung der Nahrung (z. B. Maltodextrin Pulver).
Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen zudem nicht die Kosten für speziell mit Ballaststoffen oder mittelkettigen Triglyceriden (MCT-Fette) angereicherte Nahrung, sofern sie teurer als die entsprechende Standardnahrung ist.
DiätverordnungErster Abschnitt, Allgemeine Vorschriften §1 Abs. 4a (4a) Im Sinne dieser Verordnung sind diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diäten) Erzeugnisse, die auf besondere Weise verarbeitet oder formuliert und für die diätetische Behandlung von Patienten bestimmt sind. Sie dienen der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten […] für deren diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden nicht ausreichen. Bilanzierte Diäten werden unterteilt in 1. vollständige bilanzierte Diäten, die […] die einzige Nahrungsquelle […] darstellen können 2. ergänzende bilanzierte Diäten, die sich nicht für die Verwendung als einzige Nahrungsquelle eignen. |
Wirtschaftliche Verordnung für medizinisch notwendige Fälle
Ob die medizinische Notwendigkeit für die Verordnung enteraler Ernährung gegeben ist, entscheidet der behandelnde Arzt.
Die Kosten für die Produkte gehen wie Arzneimittel in das Arzneimittelausgabenvolumen ein und werden auf die Richtgröße jeder Praxis angerechnet. Sie unterliegen damit auch der Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Da Produkte zur enteralen Ernährung Arzneimitteln gleichgestellt sind, ist die Angabe der Diagnose auf dem Rezept nicht erforderlich.
Zuzahlungsregeln
Grundsätzlich gelten die gleichen Bestimmungen wie für Arzneimittel. Die Zuzahlung für enterale Ernährung berechnet sich je verordneter Rezeptzeile. 10% des Abgabepreises sind die Regel, mindestens gezahlt werden 5 € und höchstens 10 €. Es sind nicht mehr als die Kosten des Produkts zu entrichten.
Keine Leistungspflicht für "Lorenzos Öl"Im Falle von "Lorenzos Öl" handelt es sich um eine 4:1-Mischung der Glycerinester Glycerol-Trioleat und Gylcerol-Trierucat – jeweils potente Inhibitoren des Fettsäureverlängerungssystems. Der Kläger litt an Adrenomyeloneuropathie (AMN), einer angeborenen Störung des Fettstoffwechsels. Dabei sammeln sich aufgrund eines gestörten Abbaus überlangkettige Fettsäuren (VLCFA) im Körper an, was bei der langsam progressiv verlaufenden AMN vorwiegend zu einer Degeneration der langen Rückenmarksbahnen führt. Das Gericht befand jedoch, dass beim Kläger keine notstandsähnliche Situation mit Zeitdruck, wie sie für einen akuten Behandlungsbedarf typisch ist, vorliege. Seine Lebenserwartung sei nicht wesentlich gemindert, ein nicht zu kompensierender Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion drohe ebenfalls nicht. Auf eine erweiterte, grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts wie im Falle lebensbedrohlicher Erkrankungen wurde demnach verzichtet. Lorenzos Öl ist als Fertigarzneimittel - mangels in Deutschland oder EU-weit vorhandener Arzneimittelzulassung - nicht verordnungsfähig. Wenn man das Produkt alternativ als Lebensmittel ansieht, scheitert der Leistungsanspruch daran, dass es weder Aminosäuremischung noch Eiweißhydrolysat ist, nicht der Sondennahrung dient und auch nicht die Eigenschaften einer Elementardiät aufweist. (Az.: B 1 KN 3/07 KR R) |
LiteraturKVWL: InVo, Information zu Verordnungen in der GKV http://www.kvwl.de/arzt/verordnung/arzneimittel/info/invo/enterale_ernaehrung_invo.pdfKVNO: Tipps zur Verordnung enteraler Ernährung http://www.kvno.de/10praxis/40verordnungen/05verordnungsinfo/20arznarch09/arin0908/enterale_ernaehrung/index.htmlHomepages der Anbieter: www.fresenius-kabi.com, www.nutricia.de, www.nestlenutrition.com, www.shs-heilbronn.de, www.ernaehrung.bbraun.de Mitteilungen der KBV, Dt. Ärzteblatt 2005, 102(48): A-3363 / B-2840 / C-2660 http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=heft&id=49374Koletzko S et al (2009) Vorgehen bei Säuglingen mit Verdacht auf Kuhmilchproteinallergie. Monatsschr Kinderheilkunde 157:687-691Gesundheitsinformation des IQWiG, www.gesundheitsinformation.de BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 16.12.2008, Az.: B 1 KN 3/07 KR RG-BA: Arzneimittelrichtlinien http://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/#3/Verordnung über diätetische Lebensmittel (Diätverordnung) http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/di_tv/gesamt.pdf
Autorinnen
Anna Hinrichs, Stanislava Dicheva, Insa Heyde, Heike Peters, Apothekerinnen und Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen, Mary-Sommerville-Straße 5, 28359 Bremen
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