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- DAZ 49/2011
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Feuilleton
Nussknacker
Haselnüsse waren schon für die Jäger und Sammler der Mittelsteinzeit begehrte Nahrungsmittel. Um aber an die wohlschmeckenden und an ungesättigten Fettsäuren und Vitaminen reichen Kerne zu gelangen, mussten sie die harten Schalen zerstoßen, wozu sie vermutlich Faustkeile benutzten. Älter ist die Methode, Nüsse mit unbearbeiteten Steinen nach dem Prinzip Hammer und Amboss zu knacken, wie es auch bei Schimpansen zu beobachten ist. Laut Forschern am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie ist diese Methode bei Schimpansen seit mindestens 4300 Jahren üblich.
Die bei Neapel gelegene Stadt Abella gelangte in der Antike durch den Haselnussanbau zu beträchtlichem Wohlstand (von ihr ist das Art-Epitheton von Corylus avellana abgeleitet). Damals waren in Europa auch schon Walnüsse bekannt. Die Griechen hatten zwischen dem 7. und 5. vorchristlichen Jahrhun dert Walnussbäume aus Klein asien eingeführt, und später fanden auch die Römer Geschmack an den "Eicheln des Jupiter" (Jovis glans > Juglans). Seit dem 8. Jahrhundert werden "Walschbäume" ("welsch" = französisch) auch in Mitteleuropa kultiviert, denn Karl der Große (748 – 814) ordnete an, sie auf seinen Landgütern zu pflanzen.
Mehr als ein Werkzeug
Die Erfindung eines speziellen, zangenartigen Werkzeugs zum Nüsseknacken wurde dem Philosophen Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) zugeschrieben. Zu seinen Lebzeiten kannte man aber in Ägypten und dem Nahen Osten schon recht kunstvolle Nussknacker, wie Grabfunde belegen. Sie wurden aus Bronze gegossen, zum Beispiel in Form von ineinander gelegten Händen (4. Jh. v. Chr.). Seither waren der Fantasie bei der Gestaltung von Nuss knackern keine Grenzen gesetzt. So sind aus dem Frühmittelalter silberne "nuzbrehha" (althochdeutsch für "Nussbrecher") bekannt, die nach dem Vorbild fränkischer Gewandspangen gestaltet wurden.
Seit dem 16. Jahrhundert wurde zusehends Holz für die Herstellung dekorativer Nussknacker verwendet. Leonardo da Vinci (1452 – 1519) soll sogar eine Werkbank zum Drechseln figürlicher Nussknacker konstruiert haben. Vom englischen König Heinrich VIII. (1491 – 1547) ist bekannt, dass er seine zweite Ehefrau mit einer kunstvoll geschnitzten Figur zum Nüsse knacken erfreute.
Mit der Zeit konnte sich auch das Bürgertum figürliche Nussknacker leisten. Insbesondere in der Rhön, in den bayerischen Voralpen (Berchtesgaden, Ober ammergau) und anderen waldreichen Gegenden Deutschlands entstanden Bildschnitzerzentren, in denen unter anderem auch Nussknacker hergestellt wurden. Oft von sakralen Plastiken Tilman Riemenschneiders und anderer Künstler inspiriert, waren sie erst bei näherem Hinschauen als profane Werkzeuge erkennbar.
Im Süden Thüringens, im sächsischen Erzgebirge sowie im Südtiroler Grödnertal orientierten sich die Spielzeug- und Nussknackerhersteller hingegen mehr an Vorbildern aus dem Alltagsleben. Im 18. Jahrhundert wurde die deutsche Nussknacker-Szene geradezu "multikulturell": Wurden im bayerischen Oberammergau orientalische Figuren zu Favoriten, so kreierte man in den Südtiroler Werkstätten nun lustige Gesellen, mit denen sich das einfache Volk identifizierte. Im Erzgebirge entstanden Könige, Soldaten, Gendarmen und andere Repräsentanten der Obrigkeit, deren grimmige Gesichter und "bissfeste" Zähne die Betrachter "das Fürchten lehrten".
Nussknackerkönig und andere Charakterfiguren
Holzgewordene Karikaturen von Napoleon, Bismarck und anderen politischen Größen des 19. Jahrhunderts belegen, dass mancher Nussknacker zur politischen Meinungsäußerung diente. Um 1870 schuf die Seiffener Spielzeugmacherfamilie Füchtner den "Nussknackerkönig", der als Markenzeichen original erzgebirgischer Spielzeugmacherkunst in die Geschichte eingehen sollte. Seine Vorbilder waren der Thüringer Nussknacker und die Hauptfigur aus dem Weihnachtsbuch "König Nussknacker und der arme Reinhold", das der Frankfurter Arzt und Kinderschriftsteller Dr. Heinrich Hoffmann ("Struwwelpeter") 1851 herausgegeben hatte.
War der Nussknackerkönig aufgrund seiner Popularität jahrzehntelang das einzige Produkt der Werkstatt Füchtner, so wurde auch hier ab 1925 das Sortiment erweitert. Auch andere erz gebirgische Werkstätten – heute existieren noch rund 160 Betriebe – entwickelten originelle Nussknackertypen mit unverwechselbaren Profilen. Die hölzernen Gesellen sind längst begehrte Dekorations- und Sammelobjekte und werden nicht nur zur Weihnachtszeit weltweit vermarktet.
Kreativen Designern ist es indessen zu verdanken, dass die Aristotelische Nusszange und andere funktionale Varianten nicht in Vergessenheit geraten sind. In der Ausstellung reicht das Spektrum von Hebelnussknackern in Form von Hunden und Eichhörnchen über verschiedene Nussschrauben bis zu Zangen im Bauhausstil und in Krokodilform. Ein vom Kama Sutra inspirierter Nussknacker und eine Zange mit "femininem Design" verraten, dass das Nüsseknacken zuweilen sogar eine erotische Angelegenheit sein kann.
Reinhard Wylegalla
AusstellungBis zum 29. Januar 2012 im Schloss- und Spielkartenmuseum Altenburg Schloss 2 – 4, 04600 Altenburg Tel. (0 34 47) 51 27 12, Fax 51 27 33 www.residenzschloss-altenburg.de Geöffnet dienstags bis sonntags 9.30 bis 17 Uhr |
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