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Feuilleton
Vor 80 Jahren starb Hermann Thoms
Das Licht der Welt hatte Thoms am 20. März 1859 im mecklenburgischen Neustrelitz erblickt. Der Sohn eines Beamten besuchte das dortige Realgymnasium bis zur Obersekundareife, die damals Voraussetzung für die Erlernung des Apothekerberufs war. Zu diesem Zwecke begab sich Hermann Thoms 1876 in das etwa 40 km entfernte, von seinen Windmühlen auf den umliegenden Hügeln geprägte Städtchen Woldegk, wo der Apotheker W. Riebel für drei Jahre sein Lehrherr wurde. Anschließend arbeitete Thoms als Gehilfe in Gießen und Koblenz. 1882 immatrikulierte er sich an der Universität Jena und besuchte Vorlesungen bei Eduard Reichardt (1827 – 1891) und Anton Geuther (1833 – 1889); zugleich wurde er Mitglied eines Pharmazeutisch-Naturwissenschaftlichen Vereins, der unter seiner Leitung zur Verbindung "Pharmacia" mutierte, um dann in die Turnerschaft "Normannia" überzugehen. Die pharmazeutische Staatsprüfung bestand Thoms 1884 mit dem Prädikat "sehr gut". Danach genügte er in Würzburg seiner Militärdienstpflicht als sogenannter "Einjährig-Freiwilliger" und vertiefte dort bei Johannes Wislicenus (1835 – 1902) seine chemischen Kenntnisse.
Nach Jena zurückgekehrt, wurde Thoms Assistent von Reichardt. In dessen agrikulturchemischem Laboratorium stellte er Untersuchungen "Ueber den Bitterstoff der Kalmuswurzel" an und wurde nach Einreichung einer gleichnamigen Dissertation 1886 in Erlangen promoviert. Gegen die Ergebnisse dieser Untersuchungen polemisierte nun sein einstiger Lehrer Geuther, der sie in den "Annalen der Chemie" für "in allen Punkten als unrichtig" geißelte. Dagegen erwiderte Thoms in der "Pharmaceutischen Centralhalle", der von ihm gefundene Bitterstoff "Acorin … (ist) nicht wie Geuther zu finden glaubte, ein sauer reagierender, stickstoffhaltiger Körper…, sondern (repräsentiert) meinen erstveröffentlichten Versuchen gemäß einen neutral reagierenden, stickstofffreien Bitterstoff". Dieser Widerspruch gegen einen Ordinarius hatte Folgen: An die Fortsetzung seiner akademischen Karriere brauchte Thoms vorerst nicht mehr zu denken.
Karriere als Autor …
So kehrte Thoms zum Apothekerberuf zurück, arbeitete zuerst in Berlin und ab 1887 in Weimar. 1889 zog er wieder in die Reichshauptstadt und trat in die Chemiefabrik von J. D. Riedel ein, wo er das Labor und bald auch noch die Produktion leitete. Daneben war er publizistisch tätig und erwarb sich dabei den zweifelhaften Ruf eines Vielschreibers. Seit 1886 schrieb er Beiträge für die von ihm herausgegebene "Real-Enzyklopädie der Gesamten Pharmazie", seit 1889 war er Redakteur der Pharmaceutischen Centralhalle und ab 1893 für zwei Jahre verantwortlicher Redakteur der Apotheker-Zeitung.
Neue Erkenntnisse in der Pharmazie unterbreitete Thoms monatlich interessierten Kollegen und Apothekern in Berlin. Dieser Kreis gründete im November 1890 die Pharmazeutische Gesellschaft (heute: DPhG), der Thoms – mit einer dreijährigen Unterbrechung – bis zu seinem Tode vorstand. 1894 holte er extern das Abitur nach, um sich im Januar 1895 mit der Abhandlung "Über die Aufgaben und Grenzen der wissenschaftlichen Pharmacie" an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin habilitieren zu können.
… und als Wissenschaftler
Seine Lebensaufgabe erblickte er nun in der Gründung eines Pharmazeutischen Instituts an der Berliner Universität. Für dieses Vorhaben gewann der frisch gebackene Privatdozent, der seine Übungen nur im Fleischerschen Laboratorium der Landwirtschaftlichen Hochschule durchführen konnte, die Unterstützung von Friedrich Althoff (1839 – 1908), der als Ministerialdirektor im preußischen Kultusministerium für das Hochschulwesen verantwortlich war. Allerdings ernannte dieser Thoms nur zum kommissarischen Leiter des im Oktober 1902 eingeweihten Pharmazeutischen Instituts und ließ für die Stelle des Ordinarius und Direktors Rufe an auswärtige Wissenschaftler ergehen, von denen sich der in Leipzig lehrende Ernst Beckmann (1853 – 1923) zur Annahme bereit erklärte, dann aber doch ablehnte. Angeblich hatte Thoms Ehefrau Luise geborene Schlotter (1859 – 1951) sich persönlich an Beckmann gewandt und ihn zur Ablehnung bewogen.
Nach der Institutseröffnung ehrten die Studenten Thoms mit einem Fackelzug, worauf Althoff ihm vorwarf, er hätte diese studentische Manifestation verhindern müssen. Doch Thoms erwiderte: "Das konnte ich nicht, denn ich wusste nichts von der geplanten Ehrung. Und hätte ich etwas gewusst, so hätte ich sie auch nicht verhindert, denn ich habe mich darüber gefreut." Mit diesem offenen Bekenntnis beeindruckte Thoms den Ministerialdirektor und gewann allmählich sein Wohlwollen. Wegen Widerständen unter den Kollegen musste Thoms bis 1906 auf seine endgültige Bestätigung als Direktor des Pharmazeutischen Instituts warten und wurde erst 1920 zum ordentlichen Professor ernannt; seit 1918 konnte er sich mit dem Titel "Geheimer Regierungsrat" schmücken.
Als Wissenschaftler deckte Thoms ein breites Spektrum pharmazeutischer Themen ab, das von der Apothekengesetzgebung bis zu den Volksheilmitteln reichte; dabei war sein Arbeitsschwerpunkt zeitlebens die Phytochemie. Er war ein sehr fruchtbarer Lehrer und gewann insbesondere durch die Berufung einiger seiner Schüler aus dem In- und Ausland in angesehene Positionen immer mehr Anerkennung. Er wurde vielfach geehrt und als "Meister der wissenschaftlichen Pharmazie" gefeiert. 1923 reiste er auf Einladung ehemaliger Schüler mit seiner Frau in die USA, nach Japan, wo er unmittelbar nach dem verheerenden Kanto-Erdbeben ankam, und China; zwei Jahre später berichtete das Ehepaar über die Erlebnisse in dem Buch "Weltwanderung zweier Deutscher".
Auf Thoms Betreiben entstand 1924 die "Friedrich-Althoff- Gesellschaft zur Förderung der chemisch-pharmazeutischen Literatur", die in der folgenden Wirtschaftskrise u. a. dem "Archiv der Pharmazie" das Überleben sicherte. Als Thoms am 1. Juli 1926 sein 50-jähriges Berufsjubiläum feierte, brachten Schüler und Studenten das Grundkapital der "Hermann-Thoms-Jubiläumsstiftung" auf, die Stipendien gewähren und wissenschaftliche Vorhaben fördern sollte.
Im Rahmen der Feier zum 25-jährigen Bestehen des Pharmazeutischen Instituts wurde der 68-jährige Thoms 1927 emeritiert und behielt – wie damals üblich – ein eigenes Labor im Institut. Im Wintersemester 1928/29 hielt er vor Studenten aller Fakultäten 14 Vorlesungen über "Betäubungsmittel und Rauschgifte", in denen er Alkohol, Coffein, Nicotin, Anästhe tika, Sedativa und Hypnotika, Opium, Morphin, Haschisch und Meskalin sowie die staatliche Suchtbekämpfung abhandelte. 1929 brachte Thoms ein gleichnamiges Buch heraus, in dem er auch die (laut Ernst Siemerling, Kiel) verhältnismäßig große Zahl der unter den Medizinalperso nen anzutreffenden [Opioid-] Süchtigen" erwähnte (s. Abb.).
Nachruf und Nachruhm
Nachdem er die 9. Auflage seiner "Grundzüge der pharmazeutischen und medizinischen Chemie" beendet hatte, starb Thoms am 28. November 1931 an einem "Herzschlag". Im Nachruf der "Apotheker-Zeitung" hieß es: "Er hat das Ende gefunden, das er sich gewünscht hat. Kurz, ohne Leiden, mitten in der Arbeit […] Ja, Hermann Thoms war gesegnet. Eine stattliche, imponierende Erscheinung, ein bedeutend geformter Kopf hoben ihn schon äußerlich hervor; eine unerschütterliche Gesundheit hatte ihm die Natur mitgegeben, die jeder, wirklich jeder Arbeitslast gewachsen war; ihm war ein glückliches, heiteres Naturell beschert, an dem der kleinliche Ärger des Alltags abprallte; hohe geistige Gaben, Lebensklugheit, zähe Energie hatte er auf den Lebensweg mitbekommen, oder durch Selbstzucht erworben; nicht zuletzt war ihm ein edles, gütiges und wohlwollendes Herz eigen, ein für alles Schöne empfängliches Gemüt."
1937 hatte der Reichsapothekerführer Albert Schmierer die Hermann-Thoms-Gedenkmünze gestiftet; daran anknüpfend, stiftete die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft 1959 zum 100. Geburtstag von Thoms die Hermann-Thoms-Medaille, um mit ihr Personen zu ehren, die sich um das Gesamtgebiet der Pharmazie verdient gemacht haben. Bei der ersten Verleihung (an Prof. Dr. Roland Schmiedel, 1963) urteilte Prof. Dr. Hans Kaiser (1890 – 1977) über Hermann Thoms: "Es gibt sicher noch bedeutendere reine Wissenschaftler unter den deutschen Hochschullehrern der Pharmazie, aber bestimmt keinen größeren Diplomaten."
Andreas Hentschel M.A.
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