Rheumatische Erkrankungen

Rheumatoide Arthritis – aktualisierte Leitlinie

Frühzeitige und konsequente Therapie kann das Fortschreiten verhindern

Von Kirsten Lennecke

Mittel gegen Muskel- und Gelenkschmerzen werden im Apothekenalltag täglich gewünscht. Bei Schmerzen durch akute Überlastung oder als Zeichen einer altersabhängigen Knorpeldegeneration können allgemeine Maßnahmen und eine symptomatische Behandlung ausreichend sein. Sollte der Patient tatsächlich an einer rheumatoiden Arthritis leiden, ist eine schnelle spezifische Behandlung durch einen Rheumatologen erforderlich, um den Verlauf der Krankheit möglichst positiv zu beeinflussen.

Rheuma ist ein Sammelbegriff für eine große Anzahl von Erkrankungen, die entzündlich-rheumatische, infektiöse oder degenerative Ursachen haben können (Tab. 1).

Tab. 1: Sammelbegriff "Rheuma" – Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises

Ursachen
Krankheitsbilder
entzündlich-rheumatisch
rheumatoide Arthritis
juvenile chronische Arthritis
Spondyloarthopathien
ankylosierende Spondylitis (M. Bechterew)
Arthritis psoriatica
Sjögren-Syndrom
systemischer Lupus erythematodes (SLE)
progressive systemische Sklerose (Sklerodermie)
infektiös
Morbus Reiter
postenteritische Oligoarthritis
virusbedingte Arthritis
Borreliose (Lyme-Arthritis)
degenerativ
Arthrosis deformans der Hände
Gonarthrose (Arthrose des Kniegelenks)
Coxarthrose (Arthrose des Hüftgelenks)
Spondylarthrose (Arthrose der Wirbelsäule)
extraartikulär
Fibromyalgie

Der typische Beginn einer rheumatoiden Arthritis (RA) ist oft schleichend mit Morgensteifigkeit, Schwellung und schmerzhafter Bewegungseinschränkung eines oder mehrerer Fingergrund- und Fingermittelgelenke. Die Beschwerden treten oft symmetrisch an beiden Händen auf und variieren in der Stärke. Dabei sind die Gelenke überwärmt, geschwollen und schmerzen bei Druck. Ärzte sprechen vom "Begrüßungsschmerz": Beim Händeschütteln zur Begrüßung zeigt der Patient Zeichen von Schmerzempfindung (er verzieht das Gesicht, gibt vielleicht einen Ton von sich), weil seitlich Druck auf die Fingergrundgelenke ausgeübt wird, der als besonders schmerzhaft empfunden wird (Gaensslen-Zeichen). Gleichzeitig oder später können Kraftlosigkeit der Hände, Schmerzen und Schwellungen des Handgelenks und der Zehengrundgelenke auftreten. Zu 20% beginnt eine rheumatoide Arthritis atypisch mit asymmetrischen Schmerzen und Schwellung großer Gelenke, z. B. des Schultergelenks oder des Kniegelenks.

Typischerweise verläuft die rheumatoide Arthritis schubhaft mit Gelenkdestruktion über Jahre und Jahrzehnte. Dabei schreitet die Krankheit zentripetal voran und kann weitere Gelenke erfassen. Folge der unbehandelten Erkrankung sind rheumatische Gelenkdeformationen vor allem der Hände und Füße und Gelenkinstabilitäten der Wirbelsäule. Die betroffenen Patienten erleiden große Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und einen Verlust an Lebensqualität.

0,5 bis 1% der Bevölkerung, das heißt über 400.000 Menschen sind in Deutschland von rheumatoider Arthritis betroffen. Frauen sind mehr als doppelt so häufig betroffen wie Männer. Der Gipfel der Neuerkrankungen liegt bei Frauen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren, bei Männern im Alter von 65 bis 75 Jahren. Der Verlauf der Erkrankung ist bisher nur begrenzt vorhersagbar.

Trotz der geringen Inzidenz hat die rheumatoide Arthritis aufgrund der Schwere der Erkrankung und des chronischen Verlaufs eine erhebliche Bedeutung für jeden Betroffenen und für die Gesellschaft.

Empfehlung der Leitlinie


Patienten mit über mehr als sechs Wochen persistierenden Gelenkschwellungen in mehr als zwei Gelenken, meist in Begleitung von Morgensteifigkeit der Gelenke über 60 Minuten, sollten zur Diagnoseabklärung und Therapieeinleitung einen Rheumatologen aufsuchen. Hier liegt der Verdacht einer frühen rheumatoiden Arthritis vor.

Frühe Diagnose – Voraussetzung für eine erfolgreiche Remission

Während bisher nach einer Stufentherapie je nach Schweregrad der Beschwerden behandelt wurde, gilt in der neuen Leitlinie die Empfehlung, so früh wie möglich nach Diagnosestellung mit einer Basistherapie zu beginnen, um den Verlauf der Krankheit aufzuhalten. Deshalb ist eine möglichst frühe Diagnosestellung als Voraussetzung für den Behandlungsbeginn notwendig.

Zur Diagnosestellung werden körperliche Untersuchung und Laboruntersuchungen kombiniert.

Bei der körperlichen Untersuchung zeigen sich "prallelastische" Weichteilschwellungen der Gelenkkapseln, meist begleitet durch Rötung und Überwärmung des Gelenks. Diese Gelenkschwellungen finden sich meist symmetrisch an betroffenen Finger- oder Handgelenken, manchmal auch an mittleren und großen Gelenken.

Im Gegensatz dazu finden sich bei einer Arthrose Deformierungen und "knochenharte" Auftreibungen des Gelenkes (Osteophyten), die auf Druck nicht nachgeben. Bei sogenannten "aktivierten Arthrosen" entstehen durch Überbeanspruchung auch Gelenkergüsse, die sich aber bei Schonung innerhalb weniger Tage wieder resorbieren, während die Ergussbildung bei der Arthritis weitgehend unabhängig von der Belastung ist.

Laboruntersuchungen sichern die klinische Verdachtsdiagnose. Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis weisen meist serologische Entzündungszeichen auf, das heißt bei einer rheumatoiden Arthritis eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und einen erhöhten CRP-(C-reaktives-Protein)-Wert. Diese Werte sind unspezifische Zeichen einer Entzündung, das heißt, sie beweisen nicht die Diagnose rheumatoide Arthritis. Umgekehrt können zu Beginn einer rheumatoiden Arthritis diese Entzündungsmarker noch im unauffälligen Bereich liegen.

Spezifische Labortests untersuchen das Vorliegen von IgM-Rheumafaktoren (RF). Sie sind in 65 bis 80% der RA-Patienten, aber auch in bis zu 5% von Gesunden zu finden. Ein weiterer Test untersucht das Vorliegen von Antikörpern gegen citrullierte Peptide/Proteine (ACPA). Der Nachweis dieser Antikörper ist vergleichbar sensitiv wie der Rheumafaktor, aber mit über 95% deutlich spezifischer als der Rheumafaktor und eignet sich zur Abschätzung des Erkrankungsverlaufs einer beginnenden rheumatoiden Arthritis.

Bildgebende Verfahren, wie Röntgenuntersuchungen, Szintigrafie, Gelenksonografie und Kernspintomografie eignen sich zur Untersuchung des Gelenkzustands und dienen der Verlaufskontrolle.

Frühe Basistherapie

Untersuchungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben gezeigt, dass gerade zu Beginn einer rheumatoiden Arthritis die beobachtbare Gelenkzerstörung am schnellsten voranschreitet und am besten durch eine krankheitsmodifizierende Therapie zu beeinflussen ist. Ziel der frühen Behandlung ist eine Krankheitsremission. Sogenannte DMARDs (Disease Modifying Anti-Rheumatic Drugs) können die Krankheitsprogression stoppen. Wird eine Basistherapie innerhalb von sechs Monaten nach Beschwerdebeginn eingeleitet, kann die Langzeitprognose für den Patienten nach heutigem Kenntnisstand entscheidend verbessert werden. Die zurzeit auf dem Markt befindlichen DMARDs sind in Tabelle 2 aufgeführt.

Tab. 2: Disease Modifying Anti-Rheumatic Drugs (DMARDs)

Wirkstoff
Handelsnamen (Beispiele)
klassische DMARDs
Methotrexat
Lantarel® , Metex® , Methotrexat® , MTX®
Sulfasalazin
Azulfidine® RA, Pleon, Sulfasalazin®
Cyclosporin A
Ciclora® , Ciclosporin® , Immunosporin® ,
Sandimmun®
Azathioprin
Azafalk® , Azaimun® , Azamedac® , Azathioprin® , Imurek®
Hydroxychloroquin
Quensyl®
Chloroquin
Resochin® , Weimer quin®
parenterales Gold
Tauredon®
Leflunomid
Arava® , Leflunomid®
Biologicals
Abatacept
Orencia®
Adalimumab
Humira®
Anakinra
Kineret®
Certolizumab
Cimzia®
Etanercept
Enbrel®
Golimumab
Simponi®
Infliximab
Remicade®
Rituximab
Mabthera®
Tocilizumab
Ro-Actemra®

Empfehlung der Leitlinie


Die Therapie mit klassischen DMARDs sollte dauerhaft fortgesetzt werden. Eine regelmäßige Verlaufskontrolle des Therapieerfolgs ist notwendig, um zu gewährleisten, dass eine kontinuierliche Unterdrückung der Krankheitsaktivität erreicht wird. Eventuell ist eine Anpassung der Therapie erforderlich.

Methotrexat

In der Monotherapie der frühen rheumatoiden Arthritis (ERA) gilt Methotrexat (Lantarel®, MTX® Hexal) als Mittel der ersten Wahl. Es hat im Vergleich zu anderen einen schnelleren Wirkungseintritt innerhalb von ein bis zwei Monaten. Die Dosierung erfolgt einmal wöchentlich. Es werden als Initialdosis 7,5 bis 15 mg einmal pro Woche gespritzt. Die Dauerdosis beträgt 25 mg/Woche.

Es wird in Kombination mit Glucocorticoiden als Ersttherapie der rheumatoiden Arthritis eingesetzt. In ca. 20 bis 30% kann damit eine Remission erreicht werden.

Es wirkt als Folsäureantagonist hemmend auf die Purinsynthese schnell proliferierender Gewebe. Als Nebenwirkungen können Übelkeit und Erbrechen, Dermatitis und Stomatitis, Blutbildveränderungen, Leberschäden, vermehrte Infektanfälligkeit und Haarausfall auftreten. Zur Verbesserung der Verträglichkeit (Leberwerte) und Verringerung der Therapieabbruchrate wird MTX mit Folsäure kombiniert.

Bei Unverträglichkeit von MTX kann jedes andere klassische DMARD als Monotherapie eingesetzt werden. Nach den vorliegenden Studien sind alle DMARDs gleich geeignet.

Kombination mit Glucocorticoiden

Glucocorticoide wirken bei RA rasch symptomlindernd und entzündungshemmend und eignen sich, um die Zeit bis zum Wirkungseintritt der DMARDs zu überbrücken. Verwendet werden in Studien Dosierungen von 7,5 oder 10 mg Predisolon p. o. pro Tag. Der symptomatische Effekt ist dem der NSAR überlegen. Bei einzelnen entzündeten Gelenken kann auch eine intraartikuläre Injektion erfolgen.

Unter der Therapie mit Glucocorticoiden kann bald eine Verbesserung der Beweglichkeit erreicht werden. Bei Absetzen der Therapie geht dieser Effekt jedoch bald wieder verloren. Bisher konnte kein objektivierbarer Langzeiteffekt der Glucocorticoide nachgewiesen werden.

Bei regelmäßigem und häufigem Einsatz sind die bekannten unerwünschten Nebenwirkungen der Glucocorticoide, allem voran eine Veränderung der Knochendichte zu beachten. Bei einer Therapiedauer über drei Monate wird eine Osteoporoseprophylaxe mit Vitamin D empfohlen.

Empfehlung der Leitlinie


Sorgen Sie dafür, dass Ihre Patienten von der Diagnosestellung an mit klassischen DMARDs behandelt werden, um eine Verzögerung der Krankheitsprogression zu erzielen und damit die Langzeitprognose zu verbessern. Überzeugen Sie Ihren Patienten vom Nutzen der Therapie – gerade bei Bedenken bezüglich Nebenwirkungen von sogenannten Immunsuppressiva.

Kombination zweier klassischer DMARDs

Ein bis zwei Monate nach Beginn der Therapie mit MTX kann eine erste Wirkung erkannt werden, nach vier bis sechs Monaten ist die volle Wirkung erreicht. Eine regelmäßige Therapiekontrolle muss den Erfolg dokumentieren. Wenn das gewünschte Therapieziel Remission nach der vorgesehenen Zeit nicht erreicht ist, wird ein zweites klassisches DMARD in die Therapie eingeführt. Auch hier gibt es keine Empfehlung, welches zu bevorzugen ist. Hydroxychloroquin z. B. zeigt die beste Verträglichkeit bei allerdings auch nur moderater Wirksamkeit, während bei der Verwendung von parenteralem Gold (Tauredon®) die Abbruchraten wegen der Nebenwirkungen sehr hoch sind.

Kombination mit Biologicals

Aufgrund deutlich weniger Daten für Leflunomid und die Biologika sollten diese erst bei nicht ausreichendem Therapieerfolg der Kombination zweier klassischer DMARDs eingesetzt werden. Bei Patienten mit schlechter Prognose kommen sie schon als erster Kombinationspartner mit MTX infrage.

Die Zurückhaltung beim Einsatz der Biologicals erklärt sich dadurch, dass in einer Meta-Analyse mit TNF-alpha-Inhibitoren eine erhöhte Rate an schweren Infektionen und eine dosisabhängig erhöhte Rate an Malignomen gesehen wurde. Die Relevanz der Daten ist noch nicht endgültig geklärt, jedoch haben europäische und deutsche Zulassungsbehörden entsprechende Sicherheitshinweise bei Biologika angeordnet.

Bei Besserung des Krankheitszustands kann die Therapie nach und nach reduziert werden. Dafür wird unter laufender Symptomkontrolle zunächst das Glucocorticoid ausgeschlichen, dann das Biological abgesetzt und bei anhaltender Besserung auch das DMARD reduziert.

Symptomatische Therapie mit NSAR und Analgetika

Zur akuten Schmerzlinderung werden weiterhin NSAR, hauptsächlich Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen, seltener Celecoxib und Etoricoxib, eingesetzt. Sie verringern die Gelenksteife und verbessern die Beweglichkeit. Allerdings beeinflussen sie das Krankheitsgeschehen nicht langfristig. Bei gutem Ansprechen der rheumatoiden Arthritis auf DMARDs sollte die Therapie mit NSAR wegen möglicher gastrointestinaler und kardiovaskulärer Risiken soweit wie möglich reduziert werden.

Bei schweren Verläufen der rheumatoiden Arthritis kann in späten Stadien auch eine Schmerztherapie nach dem Stufenschema der WHO erforderlich werden.

Vorsichtig Sport treiben


Der Stellenwert, den regelmäßige körperliche Bewegung für Patienten in der Therapie bzw. im alltäglichen Leben einnehmen sollte, kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Sensibilisieren Sie die Patienten für einen sorgsamen Umgang mit vorgeschädigten Gelenken!

  • Viel gleichmäßige Bewegung bei wenig Belastung: Radfahren, Walken, Wassergymnastik, Schwimmen usw.
  • Füße durch regelmäßige Fußgymnastik beweglich halten und durch gutes Schuhwerk dem Fuß Halt geben.
  • Schuhwerk mit gut dämpfenden Absätzen und Sohlen tragen, um Stöße und Erschütterungen beim Gehen abzufedern.
  • Eventuell Körpergewicht reduzieren: Jedes Kilo weniger nützt den Gelenken vielfach!

Ermutigen Sie besonders Patienten mit Beschwerden in einem frühen Stadium, für sich ihr ganz persönliches Trainingsprogramm zu entwickeln und dieses in den täglichen Tagesablauf einzubauen, um das weitere Fortschreiten der Erkrankung hinauszuzögern.

Behandlung des ganzen Menschen

Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist eine umfassende Behandlung, die nicht nur die medizinischen, sondern auch die psychosozialen, arbeitsbezogenen und verhaltenstherapeutischen Aspekte umfasst. Wichtig für den Erhalt der Beweglichkeit ist die physikalische Therapie. "Keine Tablette ohne Krankengymnastik!" ist ein alter Grundsatz zur Behandlung sämtlicher rheumatischer Erkrankungen. Außer im akuten Schub ist eine aktive und passive Bewegungstherapie zur Stabilisierung der Hand- und Fingergelenke, sowie vor allem der Halswirbelsäule hilfreich. Mindestens einmal täglich sollte der betroffene Patient selbstständig sein Gymnastikprogramm absolvieren, um seine Beweglichkeit zu erhalten. Unsere Patienten brauchen auch dazu ständige Unterstützung und Motivation.



Quelle

Homepage der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie www.dghr.de

Schneider, M., et al.: Management der frühen rheumatoiden Arthritis. 3. Aufl., Springer-Verlag Berlin, 2011, veröffentlicht unter http://dgrh.de/fileadmin/media/Praxis___Klinik/Leitlinien/2011/gesamt_ll_ra_2011.pdf


Anschrift der Verfasserin

Apothekerin Dr. Kirsten Lennecke, Im Osterhöfgen 8, 45549 Sprockhövel



DAZ 2011, Nr. 42, S. 62

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