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Medco Celesio: Wir laden alle Apotheken zum Mitmachen ein

BERLIN (lk). Premiere für das deutsche Gesundheitswesen: Im März nimmt das neue, mit Apothekern besetzte Call Center von Medco Celesio in Berlin seine Arbeit auf. Damit startet der Versuch des Joint Ventures zwischen der Stuttgarter Celesio AG und dem weltgrößten US-amerikanischen Gesundheitskonzern Medco, das in den USA erfolgreiche Modell des Patientenmanagements nach Deutschland zu importieren. Wie sieht das erste Geschäftsmodell der integrierten Versorgung aus? Wie können sich Apotheken daran beteiligen? Die DAZ sprach darüber mit Thorsten Beer, Mitglied der Geschäftsführung von Medco Celesio und mit Dr. Michael Lonsert, Vorstandsmitglied der Celesio AG.
Thorsten Beer, Mitglied der Geschäftsführung von Medco Celesio Foto: Celesio

DAZ: Das neue Joint Venture Medco Celesio sucht Apotheker für den Aufbau eines Service-Centers in Berlin. Was verbirgt sich hinter diesem Call Center?

Beer: Wir befinden uns zurzeit in der Aufbauphase unseres Service-Centers in Berlin mit Apothekern und pharmazeutischem Fachpersonal. Die Resonanz auf unsere Stellenanzeige war überaus positiv. Wir wollen mit dem Service-Center in circa sechs bis acht Wochen, also Ende Februar/Anfang März, die Arbeit für unser innovatives pharmazeutisches Beratungsprogramm ACS (Advanced Clinical Solutions) aufnehmen. Unser Angebot richtet sich an chronisch Kranke, deren Therapietreue wir erhöhen möchten, um dadurch ihren Gesundheitszustand zu verbessern und ihre Lebensqualität zu erhöhen. Zu Beginn konzentrieren wir uns auf drei Indikationsgebiete: Diabetes, Herz-Kreislauf- und Atemwegs-Erkrankungen (Asthma).


DAZ: Was soll das Service Center leisten?

Beer: Das Medco Celesio Service-Center in Berlin führt Beratungsleistungen im Auftrag von Krankenkassen, unseren Kunden, durch. Der erste Schritt unseres ACS-Modells besteht in der Ansprache der Patienten durch die Krankenkassen und nur durch die Krankenkassen. Der Patient entscheidet freiwillig, ob er daran teilnimmt und erteilt schriftlich seine Zustimmung. Die Datenschutzbestimmungen legen wir sehr eng aus, das ist uns wichtig. Nur dann kann die Analyse wichtiger Patientendaten erfolgen. Dazu zählen Diagnose, Verordnungen, Krankenhausaufenthalte etc. Auf dieser Basis werden wir mithilfe klinischer Algorithmen und evidenzbasierter Therapieprotokolle Versorgungslücken identifizieren. Insbesondere wenn der Patient seine Arzneimittel nicht zur rechten Zeit oder im richtigen Umfang einnimmt. Diese Analyse ermöglicht uns zudem Wechselwirkungen verschiedener Medikamente zu identifizieren, die möglicherweise von unterschiedlichen Ärzten verschrieben wurden, die nichts voneinander wissen.


DAZ: Wann kommen die Service-Center ins Spiel?

Beer: Das geschieht in der zweiten Phase. Wir haben mit der Krankenkasse BIG direkt gesund eine erste Kooperation vereinbart. Deren Versicherten bieten wir über das Service-Center Beratungshilfen an. So erhalten die Patienten einen zusätzlichen Service der ihnen einen besseren Umgang mit ihrer Krankheit ermöglicht.


DAZ: Was sollen die Apotheker im Service-Center konkret tun?

Beer: Die Patienten können dort anrufen und sich zusätzlichen Rat für den Umgang mit ihrer Krankheit holen. Wir wollen die Patienten beraten und dabei unterstützen, mit ihrer chronischen Erkrankung besser zu leben. Wir werden aber auch Patienten, deren Daten wir nach ihrer Zustimmung von den Krankenkassen erhalten haben, direkt ansprechen: zum Beispiel, wenn wir Versorgungslücken erkennen oder Unverträglichkeiten von Medikamenten sehen. In diesen Prozess wollen wir Apotheken und Ärzte vor Ort einbeziehen. Wir benötigen die Kompetenz von Apothekern und Ärzten. Unser Job ist es, die Leistungsträger im Gesundheitssystem zum Vorteil der Patienten besser miteinander zu vernetzen.


DAZ: Worin liegt der Vorteil?

Beer: Erfahrungen und Daten aus den USA mit diesen Modellen der vernetzten und sektorübergreifenden Versorgung belegen eindeutige Vorteile: Gerade bei chronisch kranken Patienten ergeben sich so verbesserte Therapieergebnisse. Gleichzeitig sinken aufgrund gestiegener Therapietreue die gesamten Therapiekosten. In den USA ergeben sich auf diese Weise Einsparpotenziale in Milliardenhöhe für das Gesundheitswesen, die wir auch für Europa erwarten.


DAZ: Wie bringen Sie Patienten, Apotheken und Ärzte zusammen?

Beer: Wir wollen helfen, das Informationsdreieck von Patient, Arzt und Apotheker zu schließen. Unsere Stärke liegt in der Analyse der Kassendaten. Diese Ergebnisse bieten wir Ärzten und Apotheken an zur Optimierung von Therapie und Medikation. So können sich die unterschiedlichen Sektoren mit unserem Programm besser zum Wohl des Patienten vernetzen. Das ist unser Geschäftsmodell.


DAZ: Wie sieht das konkret in der Praxis aus? Nennen Sie ein Beispiel.

Beer: Nehmen wir einen Diabetes-2-Patienten. Wir erkennen anhand der Daten der Krankenkasse, dass der Patient seine Arznei nicht regelmäßig einnimmt. Unser Service-Center tritt dann mit diesem Patienten telefonisch in Kontakt und erkundigt sich: Woran liegt die unregelmäßige Einnahme? Gibt es Nebenwirkungen? Hat der Patienten Bedenken wegen des Beipackzettels? Es gibt sehr viele Gründe. Idealerweise bringen wir diesen Patienten wieder auf den Therapiepfad zurück und schließen die Versorgungslücke. Der Vorteil liegt auf beiden Seiten: Die Lebensqualität des Patienten steigt und die Kasse spart Geld, denn es werden mögliche Folgekomplikationen und zusätzliche Krankenhausaufenthalte vermieden.


Dr. Michael Lonsert, Vorstandsmitglied der Celesio AG Foto: Celesio

DAZ: Hat der Arzneimittelhändler Celesio wirtschaftliche Interessen, die Patienten von einem bestimmten Arzneimittel zu überzeugen?

Lonsert: Mitnichten. Die Celesio-Geschäftsfelder Arzneimittelhandel und Apothekenbetrieb sind strikt von Medco Celesio getrennt. Es gibt keine Überlappungen, das Joint Venture ist ein neues, separates Geschäftsfeld, in dem wir gute Chancen für die Zukunft sehen.


DAZ: Welche Rolle spielen in Ihrem Geschäftsmodell die Apotheken?

Beer: Wir wollen mit den niedergelassenen Apothekern zusammenarbeiten. Das liegt uns sehr am Herzen.


DAZ: Werden Gehe-Apotheken bevorzugt?

Lonsert: Es gibt keine Exklusivrechte für Gehe-Kunden. Jede Apotheke kann mitmachen, ist willkommen. Es bedarf allerdings einer gewissen Form der Kooperationsbereitschaft der Apotheken. Wir planen beispielsweise Fortbildungsangebote für Apotheken, damit sie noch besser mit ihren Patienten umgehen und sie noch besser beraten können. Das bieten wir allen Apotheken an, die mitmachen möchten. Aus Erfahrungen in den USA wissen wir, dass sich auch so die Therapieergebnisse steigern lassen.


DAZ: Was sollen Medco Celesio Apotheker besser machen?

Beer: Idealerweise erhält auch die Apotheke mit Einwilligung der Patienten die uns vorliegenden Analysedaten. So kann der Apotheker viel intensiver auf die individuelle Medikation des Patienten eingehen, seine Beratung darauf abstellen. Gibt es Versorgungslücken, kann der Apotheker entsprechend reagieren, wenn der Patient zu ihm kommt. Die Erfahrungen aus den USA zeigen eindeutig, dass die enge Einbindung der Apotheken deutlich bessere Therapieerfolge bringt. Daher wollen wir eng mit den Apotheken in Deutschland zusammenarbeiten.


DAZ: Soll es für Medco Celesio Patienten eine Art Business-Klasse in der Apotheke geben?

Beer: Das wollen wir nicht. Es geht darum, den Apotheken generell mehr Informationen über unsere gemeinsamen Patienten zu liefern. Die hohe Beratungskompetenz und das hohe Ansehen der Apotheken sind für unser Geschäftsmodell unverzichtbar.


DAZ: Wann treten Sie mit Ihrem Kooperationsangebot an die Apotheken heran? Wann soll das losgehen?

Beer: Es ist verfrüht, dazu eine konkrete Zeitangabe zu machen. Wir sprechen hier über eine komplett neue und sehr komplexe Dienstleistung. Wir brauchen noch Zeit und müssen uns die Zeit auch nehmen. Dieser Schuss muss sitzen, das muss perfekt organisiert sein.

Lonsert: Wir betreten hier in Europa absolutes Neuland. Das müssen wir äußerst sorgfältig vorbereiten.Wir wollen und müssen mit höchsten Qualitätsstandards arbeiten.


DAZ: Wie sollen die Apotheken technisch an das Medco Celesio-Informationssystem angebunden werden?

Beer: Es gibt hier verschiedene Möglichkeiten, zum Beispiel die Ausgabe einer firmeneigenen Medco Celesio-Gesundheitskarte an die Patienten. Unsere Überlegungen hierzu sind noch nicht abgeschlossen. Es ist auch denkbar, die Patientendaten den am Modellprojekt beteiligten Apotheken und Ärzten direkt über einen geschützten Internetbereich auf den PC zu leiten.

Lonsert: Eine Möglichkeit besteht darin, dass die Apotheker von unserem Service-Center angerufen werden: "Wir haben mit Ihrem Patienten gesprochen." Der Patient hat beispielsweise ein Problem mit der Größe der Tablette. Damit geben wir dem Apotheker eine zusätzliche Information an die Hand und damit die Chance für eine bessere Beratung.


DAZ: Wie lautet der Markenname für das Medco Celesio Geschäftsmodell?

Beer: Es wird keinen einheitlichen Markennamen geben. Unser erster Kooperationspartner BIG direkt gesund nennt das "BIGMedCoach". Andere Krankenkassen werden andere Namen vergeben. Medco Celesio ist nur im Hintergrund tätig.

Lonsert: Möglich ist auch, dass wir Kassen nur mit einzelnen Modulen unseres Angebotes bedienen. Beispielsweise Kassen, die bereits eine gute telefonische Betreuung ihrer Patenten etabliert haben, benötigen unser Service-Center vielleicht nicht. Das machen die dann in eigener Regie. Wir nehmen die Rolle ein, die unser Kunde Krankenkasse benötigt.


DAZ: Wo liegt der Profit für Medco Celesio?

Beer: Unser Geschäftsmodell basiert vor allem auf Erlösen, die wir den Krankenkassen in Form von Pay for Performance liefern, das heißt, wir werden z. B. pro geschlossener Versorgungslücke bezahlt. In den USA können wir für jeden Dollar, der an uns gezahlt wird, dem Gesundheitssystem ein Vielfaches sparen.


DAZ: Wie viel Zeit benötigen Sie mit dem Modellprojekt, um mit validen Zahlen den ökonomischen Erfolg des Geschäftsmodells in Deutschland nachweisen zu können?

Beer: Wir geben grundsätzlich zu allen relevanten Zahlen keine Wasserstandsmeldungen ab. Aber so viel lässt sich sagen: Wir benötigen sicherlich ein Jahr, um Therapieverbesserungen mit relevanten Einsparungen belegen zu können. Wir haben einen langen Atem.


DAZ: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.



DAZ 2011, Nr. 4, S. 33

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