DAZ aktuell

Misteltherapie in Gefahr, aber nicht vor dem Aus

BERLIN (ks). Das Bundessozialgericht (BSG) hatte am 11. Mai 2011 entschieden, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in rechtmäßiger Weise beschlossen hat, die Erstattung von Mistelpräparaten durch die gesetzlichen Krankenkassen auf die palliative Behandlung zu begrenzen. Ein grundsätzliches "Aus" für die Misteltherapie bedeutet dies jedoch nicht. Darauf hat der Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland e. V. (DAMiD) hingewiesen, nachdem nun die Urteilsgründe vorliegen.

Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V führt der G-BA in der "OTC-Ausnahmeliste" schwerwiegende Erkrankungen auf, für deren Behandlung nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Therapiestandard zur Verfügung stehen. Soweit der Therapiestandard nur für eine bestimmte Zielsetzung besteht – kurativ-adjuvant oder palliativ – , schränkt der G-BA die Ausnahme vom Verordnungsausschluss dementsprechend ein. Im Rahmen dieser Richtlinienregelungen hat der G-BA dem Gesetze nach der Therapievielfalt Rechnung zu tragen, mithin die Eigenheiten der besonderen Therapierichtungen zu berücksichtigen. Daher sind auch homöopathische oder anthroposophische Arzneimittel ausnahmsweise verordnungsfähig, wenn sie als Therapiestandard für diejenigen Indikationsgebiete angezeigt sind, die der in der OTC-Übersicht gelisteten Indikation entsprechen. Und zwar einschließlich der dort beschriebenen Therapieziele, wie nun das BSG bestätigte.

Im Dezember 2004 hatte der G-BA in der OTC-Ausnahmeliste den Passus "und Anwendungsvoraussetzungen" hinter dem Wort "Indikationsgebiete" eingefügt. Damit wollte er klarstellen, dass therapeutische Zielsetzungen, die für die allopathischen Arzneimittel normiert sind, auch für anthroposophische und homöopathische Arzneimittel gelten. Diese Änderung der Arzneimittelrichtlinie beanstandete das Bundesgesundheitsministerium (BMG) im Rahmen seiner Rechtsaufsicht über den G-BA. Die Anwendungsbeschränkungen auf anthroposophische und homöopathische Arzneimittel zu übertragen, widerspreche den Regeln dieser besonderen Therapierichtungen, sodass der therapeutischen Vielfalt nicht Rechnung getragen sei, argumentierte das Ministerium. Welche Anwendungsbeschränkungen dem Therapiestandard entsprächen, sei nach den bereichsspezifischen Regeln der jeweiligen Therapierichtung zu entscheiden. Und nun kam auch die Mistel ins Spiel: Nach dem Selbstverständnis der anthroposophischen und der homöopathischen Therapierichtungen dürfe die Verordnung von (Mistel-)Präparaten bei malignen Tumoren nicht auf palliative Therapien beschränkt sein, so das BMG. Der G-BA zog gegen den Aufsichtsbescheid des Ministeriums vor Gericht und obsiegte letztlich vor dem BSG.

Die Kasseler Richter halten es für rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der G-BA die Ausnahmen vom Verordnungsausschluss bei anthroposophischen und homöopathischen Arzneimitteln nicht weiter fasst als bei allopathischen Arzneimitteln. Der G-BA sei nicht verpflichtet, derartige Mistelpräparate von der Beschränkung auf den Einsatz "nur in der palliativen Therapie" auszunehmen. Die Auffassung des BMG führe dagegen zu einer im Gesetz so nicht angelegten Begünstigung von Anthroposophika und Homöopathika gegenüber allopathischen Medikamenten. Der therapeutischen Vielfalt könne nur im Rahmen der Vorgaben des § 34 Abs. 1 Satz 2 Rechnung getragen werden.

Wie der DAMiD nun betont, bedeutet das Urteil kein grundsätzliches "Aus" für die Misteltherapie. Nach wie vor seien Mistelpräparate in der palliativen Therapie (das heißt einer in der Regel metastasierten und nicht operablen Tumorerkrankung) ungefährdet verordnungsfähig. Die anthroposophischen Mistelpräparate (abnobaVISCUM, Helixor, Iscador, Iscucin) seien aber auch weiterhin für die adjuvante Behandlung zugelassen – jedoch sei die Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV in der adjuvanten Situation nach dem Urteil durchaus akut gefährdet. Damit wäre das in Deutschland gültige Gebot, die therapeutische Vielfalt zu achten, geschwächt, moniert der Verband. So weist das BSG in seinem Urteil auch darauf hin, dass Ärzte, die die Misteltherapie nach der Veröffentlichung des Urteils auf Kassenrezept verordnen, sich nicht mehr auf einen Vertrauensschutz berufen können. Der DAMiD betont jedoch, dass Patienten nach wie vor die Möglichkeit hätten, eine Kostenübernahme der adjuvanten Misteltherapie mit der jeweiligen Krankenkasse im Einzelfall abzuklären und sich bestätigen zu lassen.

Geschlagen geben sich die Anthroposophen durch das Urteil nicht. DAMiD-Vorstand Dr. med. Matthias Girke gibt sich kämpferisch: "Die Wirksamkeit der Mistel wurde in zahlreichen Studien belegt und durch die praktische Erfahrung von Ärzten und Millionen von Patienten bestätigt. Die Mistel ist eben aus gutem Grund das am weitesten verbreitete komplementärmedizinische Arzneimittel in der Krebstherapie. Deshalb werden wir uns intensiv dafür einsetzen, dass Mistelpräparate zukünftig wieder unstreitig auch in der adjuvanten Therapie erstattungsfähig sein werden."



DAZ 2011, Nr. 39, S. 51

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