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Ein teures Geschenk für Ärzte und Apotheker

BERLIN (ks). Die Regierungskoalition hat das Arzneimittelkonzept von ABDA und KBV in einem Änderungsantrag zum Versorgungsstrukturgesetz aufgegriffen. Während die KBV die beabsichtigte Möglichkeit für Modellvorhaben begrüßte, kam seitens der Pharmaindustrie und der Krankenkassen scharfe Kritik an dem Vorhaben.
Foto: ABDA
ABDA/KBV-konzept Das Modellvorhaben soll zeigen, dass die Arzneimitteltherapiesicherheit verbessert wird. Pharmaverbände und GKV-Spitzenverband stehen dem Modell ablehnend gegenüber. Und die Grünen sehen schon eine Positivliste. Doch hier korrigierte das Ministerium: Keine Positivliste, sondern ein generischer Medikationskatalog.

Das ABDA/KBV-Konzept besteht bekanntlich aus drei Säulen: Dem Medikationsmanagement vor allem für chronisch Kranke, der Wirkstoffverordnung und einem Medikationskatalog. Der Medikationskatalog soll dabei insbesondere für Indikationsgebiete der Grundversorgung Leitwirkstoffe und Reservewirkstoffe empfehlen. Der Arzt verordnet die Arzneimittel dann auf Basis der Wirkstoffe, die auf den Packungen im Vergleich zum Produktnamen deutlich sichtbarer gedruckt sein müssen. Apotheker und Ärzte haben gemeinsam dafür gekämpft, dass ihr Vorschlag Eingang in das Versorgungsstrukturgesetz findet – und sie sind tatsächlich erhört worden (siehe AZ Nr. 37/2011, S. 1).

Diese Woche geisterte der geplante Änderungsantrag der Regierungsfraktionen unter dem Reizwort "Positivliste" durch die Tagespresse – gemeint ist damit der Medikationskatalog. Das Bundesgesundheitsministerium bemühte sich, diesem Eindruck entgegenzutreten: "Das ist keine behördliche Festlegung, sondern ein von Vertragspartnern freiwillig vereinbarter, generischer Medikationskatalog, der eine leitliniengerechte Versorgung ermöglichen soll", heißt es in einer Erklärung des Ministeriums. Damit erhalte die Selbstverwaltung eine Chance, den Nutzen ihres Modells für die Allgemeinheit unter Beweis zu stellen. Dazu gehöre auch eine Vereinbarung über eine leitliniengerechte Arzneimitteltherapie und die Verständigung auf bevorzugte Wirkstoffe. Von einer Positivliste könne keine Rede sein, so das BMG. Die Presse ließ sich von dieser Ansage allerdings nicht von ihrer Wortwahl abbringen.

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KBV-Vorstand Müller: Das Konzept wird sich beweisen.

KBV: Modell wird sich in der Praxis beweisen

Während von der ABDA bis letzten Dienstag keine Stellungnahme zum Änderungsantrag vorlag, begrüßte die KBV das Vorhaben der Regierungskoalition. KBV-Vorstand Dr. Carl-Heinz Müller: "Wir sind der festen Überzeugung, dass sich das Konzept in Modellvorhaben beweisen wird. Wir gehen davon aus, dass die Politik das Konzept anschließend in die Regelversorgung übernimmt". Allerdings müsste die Politik nach Auffassung der KBV noch Änderungen am Antrag unternehmen. Müller: "Es sollte mehr als ein Modellvorhaben dazu möglich sein, wie es im Antrag steht, damit wir in einem innovativen Prozess – auch durch den Wettbewerb mehrerer Modelle – genügend Erfahrungen sammeln können. Die Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit darf nicht auf Jahre hinausgeschoben werden." Auch die von der KBV geforderte Ablösung der Richtgrößenprüfung sehe der Antrag zwar für die Modellregion vor. Sie sei aber gegenwärtig nicht umsetzbar (dies verhindere § 106 Abs. 3b SGB V). Nötig sei eine Lösung, die die Vertragsärzte nicht noch zusätzlich belaste.

Die KBV zeigte sich überzeugt: "Mit unserem Konzept verlassen wir die ausgabenbezogene Steuerung und ersetzen diese durch eine leitlinien- und indikationsbezogene sowie wirtschaftliche Arzneimittelversorgung." Ärzte, die überwiegend die Leitwirkstoffe verordnen, verhielten sich im Endeffekt auch wirtschaftlich. Dafür sollen sie von Richtgrößenprüfungen und Regressen erlöst werden. Müller: "Jetzt wäre die Chance da, umzusteuern, doch der Gesetzgeber geht das Problem leider nur halbherzig an."

GKV: Inakzeptable Geschenke

Klare Ablehnung erfährt das Modell allerdings beim GKV-Spitzenverband sowie den Pharmaverbänden. "Dies ist ein Geschenk für Ärzte und Apotheker, das nur darauf abstellt, die Einnahmen beider Berufsgruppen zu maximieren", echauffierte sich der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Johann-Magnus von Stackelberg. Es sei "geradezu absurd, dass über ein für die Kassen verpflichtendes Modellvorhaben die wirtschaftliche Wirkstoffverordnung und -abgabe getestet werden soll",. Dazu seien bereits heute alle Instrumente vorhanden – der Gesetzgeber müsse Ärzte und Apotheker nur verpflichten, diese im Sinne einer guten und preiswerten Versorgung zu nutzen.

Industrie wettert gegen Kochbuchmedizin

Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, sieht zwar durchaus Gutes an dem Projekt: "ABDA und KBV wollen Patienten in Zukunft noch besser beraten und dadurch die Therapietreue und die Arzneimitteltherapiesicherheit verbessern. Das begrüßen und unterstützen wir." Dagegen hält er nichts vom "Vorschlag von Medikationskatalogen und Listenmedizin". Bretthauer: "Nur eine auf den einzelnen Patienten abgestimmte, individuelle Beratung kann die Therapietreue verbessern. Dafür aber braucht es gerade die ärztliche Therapiefreiheit und keine pauschale Listenmedizin."

Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) warnte vor "Kochbuchmedizin" durch das ABDA/KBV-Modell. Mit dem Modell gebe der Arzt seine therapeutische Freiheit aus der Hand, um sich von der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu befreien, lautet der Vorwurf des Verbandes. Der Patient werde lediglich "nach Liste behandelt". Prof. Dr. Barbara Sickmüller, stellvertretende BPI-Geschäftsführerin: "Es ist nicht nachvollziehbar, wie Ärzte und Apotheker auf die Idee kommen können, in Zeiten, in denen jedem Menschen klar ist, dass sich Medizin individualisiert, nunmehr die Pauschalantwort für jeden Patienten fixieren zu wollen. Noch weniger verständlich ist es, wenn die Politik auf solche Vorschläge hereinfällt."

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Biggi Bender Sie sieht schon einen ersten Erfolg auf dem Weg zu einer Positivliste.

Biggi Bender freut sich auf Positivliste

Angespitzt auf den Begriff der "Positivliste" meldete sich überdies die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Biggi Bender, zu Wort. Sie sieht in der Einbeziehung des ABDA/KBV-Arzneimittelkonzeptes in das neue Versorgungsstrukturgesetz einen ersten Erfolg auf dem Weg zu einer solchen Positivliste. "Seit fast 20 Jahren kämpfen vernünftige Gesundheitspolitikerinnen und -politiker, engagierte Patientenvertreterinnen und -vertreter sowie die Ärzteschaft für eine Arzneimittel-Positivliste", sagte Bender. Bisher sei jeder Anlauf von Union und FDP im Schulterschluss mit der Pharmaindustrie sabotiert worden. "Sollte sich Schwarz-Gelb entschließen, diese Verweigerungshaltung endlich aufzugeben und die Positivliste zumindest zu erproben, wäre das ein Hoffnungsschimmer." Wichtig werde aber sein, das Modellprogramm mit eindeutigen Zielvorgaben zu verknüpfen. Dazu müssten neben der Verbesserung der Qualität und der Transparenz der Arzneimittelversorgung auch Wirtschaftlichkeitsziele gehören. Bender: "Die Positivliste darf nicht als Trojanisches Pferd missbraucht werden, um die mit den Arzneimittel-Rabattverträgen verbundenen Einsparungen wieder an die Pharmaindustrie zurückfließen zu lassen."



DAZ 2011, Nr. 37, S. 28

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