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- DAZ 34/2011
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Feuilleton
Lockfarben – Warnfarben – Signalfarben – Tarnfarben
Als äußerst bemerkenswert erscheinen mir die gravierenden Unterschiede der Verwendung von Lockfarben bei den Vögeln und bei den Menschen. Betrachten wir die schillernden Farben des Erpels neben den unauffälligen Alltagsfarben des bescheiden daherwatschelnden Entleins oder das prächtig leuchtende Gewand des Fasans neben der bräunlichen Tarnfarbe seiner Weibchen. Ebenso auffallend ist der farbliche Geschlechtsdimorphismus beim Gimpel oder Dompfaff. Wer von uns könnte aus dem Stegreif heraus das Aussehen eines Pfauenweibchens beschreiben? Den stolzen Pfau mit seinen glitzernden Farben und seiner großen Schleppe, die er zu einem mächtigen, farbenprächtigen Rad aufrichtet, kann jedes Kind malen. Bei den Vögeln sind es immer die Männchen, die den Weibchen durch ihre Farbenpracht imponieren wollen.
Bei den Menschen sind es normalerweise nicht die Männchen, sondern die Frauen, die sich mit bunten Gewändern schmücken, und nicht nur das: Sie greifen zum Lippenstift, zum Puder, zur Schminke, zum Mascarabürstchen und zum Nagellack und lassen sich die Haare färben, um sich und anderen zu gefallen. Der in diesem Zusammenhang oft fallende Begriff "Kriegsbemalung" ist völlig fehl am Platz, denn er passt eher in die Rubrik "Warnfarben". (Wussten Sie übrigens, dass die Gallier vor dem Kampf ihre Gesichter blau färbten? Siehe: Julius Caesar: "De bello gallico".)
Allerdings gab es auch unter den Männern Paradiesvögel, die sich mit teuerster Farbenpracht schmückten, weniger zum Gefallen der Frauen, vielmehr um ihre Macht zu demonstrieren. Man braucht dabei nur an die selbstherrlichen Potentaten zu denken, vom Sonnenkönig bis hin zu Gaddhafi. Auch die Kardinäle prunkten mit ihrem teuren Purpur und tun es heute noch. Die Professoren trugen zu feierlichen Anlässen Talare, an deren Farbe man die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Fakultät erkennen konnte. Dieser "Muff" ist heute weitgehend abgeschafft. Warum jedoch unsere obersten Rechtsprecher immer noch in knallig roter Robe ihres Amtes walten, will mir nicht so recht einleuchten. Würde man ihrem in ziviler Kleidung gesprochenen Urteil weniger trauen? Die Messgewänder der Priester wollen wir mal nicht so kritisch sehen. Schließlich sind Glaube und Religionen im übertragenen Sinne ja auch sehr farbige Angelegenheiten.
Was für die Vögel gilt, ist auch bei bestimmten Fischen zu beobachten: So sind z. B. die Guppy-Männchen kleiner, schlanker und farbenprächtiger als die Weibchen.
Lockfarben beschränken ihre Funktionen nicht auf das Tierreich. Wenn im Frühling die Forsythien, der Löwenzahn, der Hahnenfuß, die Schlüsselblumen, das Scharbockskraut, die Sumpfdotterblume, die Trollblume, die Narzissen und später der Ginster gelb blühen, so locken sie damit Insekten an, die für sie die Bestäubung besorgen. Sie werden daher unter dem Begriff Insektenblütler zusammengefasst. Die Blüten von Windblütlern wie Koniferen, Birke, Buche, Eiche, Wegerich oder Gräser sind unscheinbar und nicht auffallend gefärbt.
Warum die weiß blühenden, zur Familie der Rosaceae gehörenden Obstbäume – Äpfel, Birnen, Pflaumen, Schlehen, Kirschen, Quitten – auch zu den Insektenblütlern zählen, soll erklärt werden. Insekten können mit ihren Komplexaugen Wellenlängen zwischen 300 und 650 nm erfassen (Mensch: 380 bis 780 nm), ihr Spektrum reicht also ins Ultraviolette hinein. Und weil weiße Blüten UV-Licht reflektieren, sehen sie für die Bienen farbig aus.
In der zivilisierten Welt werden Gelb, Orange und Rot als Warnfarben gebraucht, auch in Kombination mit Schwarz. Absperrbänder sind meistens gelb-schwarz oder rot-weiß gestaltet, d. h. mit stark kontrastierenden Farbkombinationen. Rot-Weiss und Rot-Weiß sind die Namen des FC Essen und des FC Erfurt. Es bleibt zu ergründen, ob damit Lockfarben, Signalfarben oder Warnfarben gemeint sind. Die Leuchtkraft des Orange, das schon von Weitem erkennbar ist, schützt Müllmänner, Straßenarbeiter und Schienenverleger vor dem Verkehrstod.
Im Tierreich findet man die Farbkombinationen gelb-schwarz und rot-schwarz als Warnfarben. Am bekanntesten ist das gelb-schwarze Streifenmuster der Wespen. Der Mensch schlägt im Sommer fast automatisch auf jedes Insekt, das dieses Warnkostüm trägt. Die Warntracht kann aber auch nur vorgetäuscht sein. So ähneln harmlose Schwebfliegen und Bockkäfer den Wespen und sind damit vor Feinden geschützt.
Die zu den Schmetterlingen gehörenden Widderchen oder "Blutströpfchen" (Zygaena filipendulae) besitzen rot-schwarz getupfte Flügel. Sie sind giftig und führen bei Vögeln, die sie verspeist haben, zu Übelkeit und Erbrechen.
Die Flügel der Tagpfauenaugen (Inachis io) erscheinen zusammengeklappt schwarz und bieten dadurch Schutz vor Fressfeinden. Ausgebreitet sieht man große runde Färbungen, die wie Augen aussehen und Fressfeinde irritieren sollen.
Zwei auffallende Signalfarben der Zivilisation sind das Cadmiumgelb der deutschen Postbriefkästen und das satte Rot der Feuerwehr. Leider wurde die Verwendung von Cadmiumfarben für Gebrauchsgegenstände gesetzlich verboten, sodass auch die Briefkästen heute nicht mehr so schön und kräftig leuchten wie früher und man oft Mühe hat, sie zu finden.
Das Rot als Signalfarbe bedeutet auch ein Verbot. Jeder weiß, was es bedeutet, wenn die Ampel auf rot springt, und jeder Fußballspieler hat das Feld zu verlassen, wenn ihm die rote Karte gezeigt wird.
Die Signalfarben des Freistaates Bayern sind bekanntlich Weiß und Blau und werden im Rautenmuster oder auch als zweistreifige Flagge präsentiert. Weil die Raute in der 1. Ecke (links oben) bzw. der obere Streifen weiß ist, sagt man weiß-blau und nicht umgekehrt.
Als Signalfarbe kann auch das Braun sonnengegerbter Haut betrachtet werden. Allerdings hat sich deren Bedeutung drastisch verändert. Früher trugen der Bauer, der Knecht und die Magd ein braun gebranntes Gesicht, weil sie auf dem Feld arbeiten mussten und dort den Sonnenstrahlen ausgesetzt waren. Mitglieder der gehobenen Schicht waren von vornehmer Blässe.
Heute sind es die weniger oder gar nicht Arbeitenden und natürlich die Urlauber, die sich in der Sonne aalen. Als Alternativen für einen Urlaub im sonnigen Süden gibt es Sonnenstudios.
Wenn von Signalfarben die Rede ist, darf das Chamäleon nicht vergessen werden, ein wahrhafter Künstler des Farbwechsels. Es vermag mit den signalisierten Farben Gefühle auszudrücken wie Hunger, Müdigkeit, Partnersehnsucht, Sattheit, oder es reagiert mit dem Farbwechsel, der nicht so plötzlich und rasch eintritt, wie oft vermutet wird, auf die Veränderung von Licht- und Temperaturverhältnissen. Ein psychologisch bedingter Farbwechsel des Gesichtes ist auch beim Menschen zu beobachten, wenn er vor Scham oder Erregung rot anläuft oder vor Schrecken blass wird. Doch wird der Farbwechsel in diesem Fall nicht durch Reaktionen zweier unterschiedlicher Zelltypen hervorgerufen, sondern durch eine Änderung des peripheren Blutdrucks.
Tarnfarben begegnen uns vor allem im militärischen Bereich und im Tierreich. Militärisch wird durch optische Anpassung der Kämpfer, ihrer Fahrzeuge und Geräte an das Gelände die Erkennung durch den Feind erschwert oder unmöglich gemacht. Warum ein Modetrend den erdig-schmutzig-braunen Tarnlook als schick betrachtet, bleibt mir schleierhaft. Vielleicht steckt der Wunsch nach einem robusten Kampfanzug dahinter.
Im Tierreich sind es die Fressfeinde, die getäuscht werden sollen. Warum sind Mäuse meist grau? Damit sie von ihren Feinden nicht erkannt und gefressen werden! Einige Tiere passen ihre Färbung der Umgebung an, in der sie leben. Das Fell des Hermelins ist im Sommer braun und wird im Winter weiß. Auch der Schneehase kann sein graubraunes Sommerkleid gegen ein weißes Winterkleid austauschen. Bestimmte Plattfische sind in der Lage, ihre Körperfarbe einem sandigen Untergrund derart anzupassen, dass sie praktisch nicht mehr gesehen werden. Um sich vor Fressfeinden zu schützen, suchen einige Tiere ein zu ihrer Färbung passendes Milieu auf. Viele Raupen sind grün und unterscheiden sich in ihrer Farbe nicht von den Blättern, auf welchen sie sitzen und die sie fressen. Auch Heuschrecken und Laubfrösche sind durch ihre grüne Farbe an ihren Lebensraum angepasst. Bei der Stabheuschrecke kommt zur grünen oder braunen Tarnfarbe noch die Gestalt hinzu, wodurch sie kaum von einem dünnen Ästchen zu unterscheiden ist.
Tarnfarben können aber auch einem gegenteiligen Zweck dienen, nämlich als Beutejäger nicht oder schwer erkannt zu werden. Ein typisches Beispiel verkörpert die Krabbenspinne (Misumena vatia). Das an sich weiße Insekt lauert bewegungslos auf Blüten, die von Blütenbestäubern wie Bienen und Hummeln besucht werden. Sie kann ihr Farbenkleid der Blüte anpassen, auf welcher sie sitzt und lauert, und so ihre Beute todbringend überraschen.
Meister im Farbwechsel sind auch die Tintenfische und Kraken (Sepia und Octopus). Sie gleichen sich in Farbe und Helligkeit an ihre Umgebung an, was ihnen mithilfe einer dreischichtigen Verteilung von Chromatophoren in der Haut gelingt.
Ob Mimikry oder Camouflage, wer sich die Haare rot färbt, ist noch lange keine Hexe, und wer eine grüne Jacke trägt, noch kein Robin Hood oder Gottfried Kellers Grüner Heinrich.
Autor
Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth, Friedrich-NaumannStr. 33, 76187 Karlsruhe, www.h-roth-kunst.com, info@h-roth-kunst.com
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