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DAZ wissenswert
"Rot" mischt sich mit "weiß" und "grün"
Die Grenzen zwischen der nach der Farbe des Blutes benannten "roten" Biotechnologie, die in Zellkulturen oder genmanipulierten Mikroorganismen monoklonale Antikörper, Proteine oder Peptidhormone (z. B. Insulin) herstellt, zu den "andersfarbigen" Biotechnologien verschwimmen allmählich.
Der Fall L-Tryptophan
Es gab in der Vergangenheit schwere Zwischenfälle bei der Umstellung der umständlichen Synthese mithilfe von Katalysatoren auf den "einfacheren" biotechnologischen Weg. Ein Beispiel ist die Aminosäure L-Tryptophan, die als Antidepressivum eingesetzt wird. Sie wurde lange Zeit aus Geweben isoliert oder mithilfe von Fermentationsprozessen synthetisiert, was sehr aufwendig war. Die japanische Firma Showa Denko hatte daher in den 80er Jahren ein biotechnologisches Verfahren entwickelt, L-Tryptophan aus der "Kulturbrühe" von genetisch veränderten Bakterien (Bacillus amyloliquefaciens) zu gewinnen [1]. Als 1989 plötzlich viele Fälle des sonst seltenen Eosinophilie-Myalgie-Syndroms (Symptome: starke Muskelschmerzen, Hautveränderungen und teilweise irreversible Organschäden) auftraten und die FDA 37 Tote und 1500 Erkrankte zählte, wurde L‑Tryptophan in USA verboten. Obgleich die Ursachen bis heute nicht 100%ig aufgeklärt sind, steht das neurotoxische Nebenprodukt Tryptophan-4,5-dion im Verdacht, die Schäden hervorgerufen zu haben. Bei der Isolation des L-Tryptophan bleiben winzigste Mengen Tryptophan-4,5-dion – wie auch einige andere Komponenten – als Verunreinigung in dem Produkt zurück. Showa Denko hat das Verfahren später aufgegeben und den genmanipulierten Mikroorganismus vernichtet.
Biologicals und Biosimilars
Die Validierung "roter" biotechnologischer Herstellungsverfahren ist meist sehr aufwendig. Dies ist aus Sicht der Unternehmen einerseits ein Nachteil, andererseits aber auch ein Vorteil, weil das Verfahren nach dem Ablauf des Patentschutzes ein Betriebsgeheimnis bleibt. Nachahmer, die ein Biosimilar, d. h. ein generisches biotechnologisches Produkt, herstellen wollen, müssen zwar nicht dessen klinische Wirksamkeit, wohl aber dessen Sicherheit belegen, was ihnen kaum weniger Mühe macht als dem Ersthersteller [2]. Dieser Sicherheitsnachweis ist bei "chemisch" hergestellten Generika in der Regel nicht erforderlich, wenngleich auch hier das Nebenproduktespektrum für viele Fragen bei der Registrierung sorgt.
"Weiße" Biotechnologie: mehr als Bioethanol
Die "weiße" Biotechnologie ist auf dem Vormarsch und macht wertmäßig schon fast 6% der Chemieproduktion aus [3, 4]. Hierzu zählt auch die Nutzung von Nahrungsmitteln für industrielle Zwecke, während man unter "grüner" Biotechnologie die gentechnische Veränderung von Nutzpflanzen zwecks Optimierung der Produktion versteht. In vielen Ländern gehen "weiße" und "rote" Biotechnologie Hand in Hand.
Hat der Verbraucher bei der "weißen" Biotechnologie bislang den Bioethanol und Biodiesel im Fokus, weil er sich beim Tanken dafür oder dagegen entscheiden muss, sind die großen Chemiefirmen nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit in einen Wettkampf um neue Ressourcen eingetreten (Tab. 1). Brasilien, der größte Erzeuger von biotechnologischem Ethanol aus Zuckerrohr, wandelt bereits erhebliche Mengen des Ethanols durch Wasserabspaltung in Ethylen um und gewinnt hieraus Polyethylen.
Tab. 1: "Weiße" Biotechnologie: Hersteller, Produkte und Jahresproduktion (z. T. geplant) [3, 4]. PLA = Polymilchsäure | ||||
Konzern |
Biotech-Firma |
Produkt |
Jahresproduktion |
Produktion in, seit |
American Process |
Cobald Technologies |
Butanol |
||
Arkema |
Toyobo |
Polyamide |
||
Purac |
Copolymere für PLA |
|||
BASF |
Purac |
Bernsteinsäure |
||
PLA-Ester Ecoflex |
74.000 t |
Ludwigshafen, 2006 |
||
Archer Daniels Midland |
Propylenglykol |
100.000 t |
USA, 2011 |
|
Baskem
Cargill (NatureWorks)
|
Ethylen
Propylen
|
200.000 t
30.000 t
|
Brasilien, 2010
ab 2013
|
|
Polymilchsäure |
140.000 t |
USA |
||
Cargill |
Novozymes |
Acrylsäure |
||
Dow Chemical |
OPX Biotechnologies |
Acrylsäure |
||
Polyethylen |
350.000 t |
Brasilien, in Bau |
||
DuPont/BP |
Butamax Advanced Biofuels |
Butanol |
USA u. Europa, 2013 |
|
DSM |
Roquette |
Bernsteinsäure |
||
Zahlreiche Firmen |
Citronensäure |
> 800.000 t |
1923 (stetig steigend) |
|
DuPont |
BioAmber |
Bernsteinsäure |
20.000 t |
ab 2013 |
Tyte & Lyle BioProducts |
1,3-Propandiol |
45.000 t |
USA, 2007 |
|
Givaudan |
Amyris |
Aromakomponenten |
||
Johnson Matthey |
Myriant |
Bernsteinsäure |
13.500 t |
ab 2012, zzt. Pilotanlage |
Mitsubishi Chemical |
Genomatica |
1,4-Butandiol |
||
BioAmber |
Bernsteinsäure |
|||
Procter & Gamble |
Amyris |
Spezialchemikalien |
||
Solvay |
Mitsubishi Gas Chemical |
Polyamide |
||
Ethylen |
60.000 t |
Brasilien, in Bau |
||
Telles |
Polyhydroxyalkanolate |
50.000 t |
USA, 2010/11 |
|
Total Petrochemicals |
Amyris |
Treibstoffe |
Hilfsmittel in der Pharmaindustrie
Zwar gehen die in Tabelle 1 genannten Industriechemikalien üblicherweise nicht als Wirkstoffe in die Pharmaindustrie. Doch sie finden dort Verwendung als Hilfsstoffe oder in der Primärverpackung. So ist Polyethylen ein wichtiger Rohstoff für die Herstellung von Primärverpackungen von Arzneimitteln (Blister). Milchsäure findet sich in den vielen Lactaten diverser Wirkstoffe sowie in aus Polymilchsäure hergestellten biodegradablen Medizinprodukten (sie werden im Körper abgebaut). Butanol wird als Extraktionsmittel bei der Herstellung von Antibiotika, Hormonen und Vitaminen verwendet und ist ein Edukt von Butylparaben. Bernsteinsäure und Citronensäure dienen als Säuerungsmittel in Tabletten [5].
Diese pharmazeutischen Hilfsstoffe sind je nach ihrem Herstellungsverfahren auf Nebenprodukte zu untersuchen – ein einfacher Abgleich der Spezifikation ist aufgrund der oben genannten möglichen Spurenverunreinigung nicht möglich.
Bunter Mix
Da die genannten und viele andere Hilfsstoffe – zum Beispiel Alginate, Glycerin, Karnaubawachs, Lactose, Mannose, Stärke, Saccharose und Cellulose – früher ausschließlich aus Pflanzen oder Tierprodukten gewonnen wurden, werden sie – obwohl dies den Definitionen widerspricht (s. o.) – eher zur "grünen" als zur "weißen" Biotechnologie gezählt; das gilt übrigens auch für die Fettchemie (Cognis).
In der modernen pharmazeutischen Industrie kommen also "rote", "weiße" und "grüne" Biotechnologie zusammen.
Bunt ist die Welt – auch in der Industrie.
Literatur
[1] Wasielewski S. Besonderheiten biotechnisch hergestellter Arzneistoffe. Dtsch Apoth Ztg 2004;144:3496 – 3497.
[2] vfa-Positionspapier "Biosimilars", 2009; www.vfa.de/de/wirtschaft-politik/positionen/biotech-generika.html.
[3] Renneberg R. Biotechnologie für Einsteiger. Elsevier, München 2007.
[4] Coons R. Renewables. Chemical Week, May 11, 2011; www.chemweek.com.
[5] Rutesh HD. Overview of pharmaceutical excipients used in tablets and capsules. Drug Topics, Oct 24, 2008; http://drugtopics.modernmedicine.com.
Autoren
Apothekerin Heike Heuer, Dr. Lutz Heuer
Am Krausberg 31, 41542 Dormagen
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