Arzneimittel und Therapie

Exenatide zur einmal wöchentlichen Applikation

Die europäische Gesundheitsbehörde European Medicines Agency (EMA) hat am 21. Juni 2011 dem lang wirksamen GLP-1-Rezeptor-Agonisten Exenatide 1 x wöchentlich (Bydureon®) die Zulassung erteilt. Indiziert ist das Präparat zur Behandlung des Typ-2-Diabetes in Kombination mit Metformin und/oder einem Sulfonylharnstoff bzw. Metformin und/oder einem Glitazon, wenn Metformin allein nicht mehr ausreicht. Nach Angaben des Herstellers Lilly wird Bydureon® in Deutschland ab 1. September 2011 verfügbar sein.

Exenatid, ein aus 39 Aminosäuren bestehendes Polypeptid, ist eine synthetische Form des Peptidhormons Exendin 4, das im Speichel der nordamerikanischen Gila-Krustenechse Heloderma suspectum vorkommt. Wie das bereits zugelassene Liraglutid und weitere in der Pipeline befindliche Substanzen (z. B. Lixisenatid) gehört Exenatid zu den GLP-1-Agonisten. GLP-1 (Glucagon-like-Peptide-1) ist ein Darmhormon des Menschen, das als Reaktion auf eine Nahrungsaufnahme sezerniert wird. Neben seiner Rolle bei der Regulation des Blutzuckerspiegels besitzt es weitere biologische Wirkungen, zum Beispiel protektive Effekte auf Herz und Gehirn. Exenatid bindet an denselben Rezeptor wie GLP-1. Im stoffwechselgesunden Organismus induziert der Wirkstoff die gleichen Reaktionen: er verstärkt die glucoseabhängige Insulinsekretion, hemmt die postprandiale Glucagonfreisetzung, reguliert die Magenentleerung, fördert das Sättigungsgefühl und mindert den Appetit. Exenatid wirkt nur bei erhöhtem Blutzuckerspiegel, sodass das Risiko von Hypoglykämien gering ist.

Diskussionen um erhöhtes Karzinomrisiko unter Exenatid


In den vergangenen Monaten gab es zahlreiche kontroverse Diskussionen um ein möglicherweise erhöhtes Risikos für Pankreatitis, Pankreas- und andere Karzinome unter der Einnahme des GLP-1-Analogons Exenatid (Byetta®) und weiterer Inkretin-basierter Therapeutika. Auslöser war eine im Februar 2011 online publizierte Studie in der Zeitschrift Gastroenterology (Elashoff et al.), bei der nach einer Analyse von Daten des FDA-Nebenwirkungsregisters zwischen 2004 und 2009 ein erhöhtes Risiko für diese Erkrankungen festgestellt worden war.

Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hatte im Mai diesen Jahres in einer Drug-safety-Mail über zwei neue Fälle von Pankreaskarzinomen unter Einnahme von Exenatid berichtet. Insgesamt waren damit in Deutschland elf solcher Fälle bekannt.

Unter Diabetes-Spezialisten wird die Studie von Elashoff und Mitarbeitern sehr kritisch betrachtet,. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft konstatiert in einer Stellungnahme, dass diese Studie "keine zuverlässigen Zahlen (bietet) und deshalb den schon früher geäußerten Verdacht eines Zusammenhangs zwischen Pankreatitis und Inkretin-basierter Therapie nicht erhärten (kann)". Bezüglich des Krebsrisikos sind nach Meinung der Fachgesellschaft zur endgültigen Beurteilung systematische Beobachtungen unter Langzeitgabe notwendig. Eine Änderung der Verschreibungsindikation werde dadurch nicht gerechtfertigt.

Der Diabetes-Experte Prof. Dr. Rüdiger Göke kritisierte auf einer Pressekonferenz vor allem, dass für die Elashoff-Studie eine Datenbank verwendet wurde, die für wissenschaftliche Auswertungen nicht geeignet ist. So sei beispielsweise eine ihrer Schwächen, dass die Meldungen häufig keine Angaben über weitere Arzneimittel, die die Patienten eingenommen hatten, sowie Komorbiditäten enthielten. Außerdem geht er von einem Reporting Bias aus – immer, wenn Verdachtsfälle für bestimmte Nebenwirkungen bekannt werden, häufen sich Meldungen darüber. Zudem sei bei Diabetikern auch ohne Behandlung die Pankreatitis-Rate um das 2,5-Fache erhöht. "Gänzlich unglaubwürdig" ist die Studie seiner Ansicht nach dadurch geworden, dass sie zunächst im März 2011 wieder zurückgezogen und am 20. April erneut – kommentarlos und mit anderen Zahlen – publiziert worden war.

Lange Wirksamkeit dank moderner Technologie

Bereits im Jahre 2007 war Exenatid unter dem Handelsnamen Byetta® in die Therapie des Typ-2-Diabetes eingeführt worden. Während Byetta® zweimal täglich verabreicht wird, muss Bydureon® nur noch einmal wöchentlich injiziert werden. Ermöglicht wurde dies durch die Medisorb®-Technologie, bei der der Wirkstoff in Microspheres aus biologisch abbaubarem Polymer eingeschlossen wird. Nach subkutaner Applikation kommt es zur gleichmäßigen und kontinuierlichen Freisetzung von Exenatid. Etwa acht bis zehn Wochen später haben sich die Microspheres vollständig und rückstandslos in Kohlendioxid und Wasser aufgelöst. Der Vorteil dieser Technologie besteht vor allem darin, dass die Exenatide-Plasmaspiegel kontinuierlich im Bereich von ca. 250 pg/ml liegen. Konzentrationen über 300 bis 350 pg/ml, die häufiger zu gastrointestinalen Nebenwirkungen führen, werden in der Regel nicht erreicht.

Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Bydureon® wurde im Rahmen des DURATION-Studienprogramms (DURATION: Diabetes Therapy Utilization: Researching Changes in A1C, Weight, and Other Factors Through Intervention With Exenatide ONce Weekly) in sechs Einzelstudien geprüft. Dabei zeigte sich eine klinisch relevante Wirksamkeit verbunden mit einer anhaltenden Gewichtsreduktion. Die mittlere HbA1c-Senkung lag in allen Studien zwischen 1,3 und 1,9% und war mit einer mittleren Gewichtsreduktion von circa 2,3 bis 3,7 kg verbunden. Unter der einmal wöchentlichen Gabe zeigte sich in der Kombination mit Metformin die beste gastrointestinale Verträglichkeit in der GLP-1-Klasse ohne erhöhtes Hypoglykämierisiko. Vorübergehend kam es in den Studien zum Auftreten kleiner subkutaner Kügelchen an der Injektionsstelle oder initial und vorübergehend zu Übelkeit. Über die Wirkung auf den Blutzuckerspiegel hinaus konnten im DURATION-Studienprogramm auch positive Effekte auf Blutdruck und -lipide belegt werden. Bei Hypertoniepatienten lag die Senkung des systolischen Blutdrucks im Mittel bei 11 mmHg. Sowohl die Effekte auf Blutzucker und Gewicht als auch auf Blutdruck und Lipide hielten dauerhaft über zwei Jahre an. Des Weiteren war vor der Zulassung von Bydureon® die kardiovaskuläre Outcome-Studie EXSCEL (EXenatide Study of Cardiovascular Event Lowering) gestartet worden, erste Ergebnisse werden 2016 erwartet. Primärer Endpunkt der Studie, in die 9500 Patienten eingeschlossen werden sollen, ist der Zeitraum bis zum ersten kardiovaskulären Ereignis (z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall).

Einfach in das Leben integrierbar

Alle zur einmal wöchentlichen subkutanen Selbstinjektion von Exenatid benötigten Hilfsmittel sind in einem Injektions-Set enthalten. Die Verabreichung erfolgt unabhängig von Mahlzeiten, körperlicher Aktivität oder Tageszeit in einer festen Dosierung. Unter der Therapie sind keine Blutzucker-Selbstmessungen erforderlich. Wird eine Injektion versäumt, so ist die Gabe bis zum Tag vor der geplanten nächsten Applikation möglich. Nach Aussagen von Diabetologen, die Patienten im Rahmen klinischer Studien mit der einmal wöchentlichen Exenatid-Formulierung behandelt haben, eignet sich die Therapie vor allem für übergewichtige und adipöse, mit Metformin austherapierte Patienten, die eine einfache und wenig aufwendige, leicht in ihr Leben integrierbare Behandlung wünschen.


Quelle

Prof. Dr. Rüdiger Göke, Kirchhain; Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Tübingen; Dipl.-Psych. Susan Clever, Hamburg; Erika Weyh, Rotenburg; Dr. Hermann-Josef Strotmann; Rotenburg: "Ein neuer Klang in der Diabetestherapie", Berlin, 22. Juni 2011, veranstaltet von der Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg.

Elashoff et al.: Increased incidence of pancreatitis and cancer among patients given Glucagon Like Peptide-1 based therapy. Gastroenterology 2011 Feb 18 [Epub ahead of print].

Pankreaskarzinome im Zusammenhang mit Exenatid (Byetta®), Dt. Ärzteblatt, Jg. 108, Heft 19 (2011)

Deutsche Diabetes Gesellschaft: 2. Update der Stellungnahme zur Publikation von Elashoff zur Sicherheit von GLP-1-basierten Therapien bei Patienten mit Typ 2 Diabetes, Stand 17. Mai 2011.


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn



DAZ 2011, Nr. 26, S. 39

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.