DAZ aktuell

Selbstmedikation – die Perspektiven

ROM (diz). Eine Stärkung der Selbstmedikation gilt in Europa als ein Weg, um den Kostendruck, der auf den gesetzlichen und staatlichen Krankenversicherungssystemen liegt, zu verringern. Die Hersteller der Selbstmedikationsarzneimittel begreifen dies als Chance, die Selbstmedikation in Europa unter den Vorzeichen Sicherheit und Wirksamkeit voranzutreiben, wie auf der Jahrestagung des europäischen Verbands der Selbstmedikationsindustrie (AESGP) in Rom deutlich wurde. Die DAZ hatte am Rand dieser Tagung Gelegenheit, mit dem Vorsitzenden des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Hans-Georg Hoffmann, über die Lage der Selbstmedikation in Deutschland zu sprechen.
Foto: DAZ/Schelbert
Hans-Georg Hoffmann , Vorsitzender des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH): Ein Selbstmedikationsbudget könnte Vorteile für Krankenkassen und Patienten ­bringen.

Seit 2004 können nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel für die Selbstmedikation in der Regel nicht mehr zulasten der Krankenkassen verordnet werden. Dies bedeutete zunächst einen Einbruch für diese Industrie. Viele Verbraucher gingen davon aus, dass Arzneimittel, die von der Krankenkasse nicht erstattet werden, nicht wirksam seien und verzichteten auf den Selbstkauf dieser Präparate. Die Hersteller dieser Arzneimittel erholten sich nur langsam von diesem Rückgang. Seitdem suchen sie verstärkt nach Möglichkeiten, die Selbstmedikation in Deutschland auch unter den Vorzeichen der Arzneimittelsicherheit, der Wirksamkeit und der Kosteneinsparung fürs Gesundheitswesen voranzutreiben und der Bevölkerung zu vermitteln, dass es sich hier sehr wohl um wirksame und geeignete Medikamente handelt.

Grünes Rezept erfolgreich

Eine Möglichkeit, die Selbstmedikation besser zu etablieren, geschah und geschieht über die arztgestützte Selbstmedikation mithilfe des Grünen Rezepts. Wie Hoffmann dazu anmerkte, werde das Grüne Rezept von Ärzten und Patienten positiv aufgenommen und habe zu einer guten Entwicklung der Selbstmedikation beigetragen. Während die Einführung des Grünen Rezepts anfangs unter Mithilfe des Verbands stattfand, habe man nun die Fortführung dieses Projekts in die Hände der Mitgliedsfirmen gelegt. Auch wenn sich nicht alle Firmen beteiligten, hoffe man auf eine weitere Steigerung der ausgegebenen und verwendeten Rezeptformulare. Ein Vorteil des Grünen Rezepts für Patienten: Er kann unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten der über dieses Rezept bezogenen Arzneimittel steuerlich absetzen. Die Kosten für Selbstmedikationsarzneimittel, die ohne Grünes Rezept erworben wurden, können dagegen steuerlich nicht geltend gemacht werden.

Arzneiinfos im Netz

Die Selbstmedikationsindustrie begrüßt das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Verbreitung von Arzneimittelinformationen im Internet, wie Hoffmann herausstellte. Zwar bleibt den Pharmafirmen nach wie vor verboten, für verschreibungspflichtige Arzneimittel im Internet zu werben. Aber sie dürfen nun auf ihren Internetseiten die Abbildung der Arzneimittelpackung und den dazugehörigen Text des Beipackzettels veröffentlichen als Pullinformation, d. h., dann, wenn der Internetuser bei Interesse die Informationen aktiv abrufen kann und sich die Seiten nicht automatisch aufdrängen. Hoffmann hat die Sorge, dass es in Deutschland allerdings zu rechtlichen Auseinandersetzungen darüber kommen könnte, inwieweit dies doch als Werbung aufgefasst wird und dann die Pflichtangaben dazu gestellt werden müssten. Andererseits sind die Pflichtangaben – wenn auch in anderer Struktur – prinzipiell bereits mit den Angaben des Beipackzettels vorhanden. Man wird hier also auf die weiteren rechtlichen Entwicklungen gespannt sein können.

Unzufrieden mit AMNOG

Die Unzufriedenheit der Arzneimittelhersteller mit dem AMNOG stellte Hoffmann anhand von drei Erwartungen dar, die mit diesem Gesetz verbunden waren: eine Entbürokratisierung, keine isolierte Kostendämpfung und eine Überprüfung der Sinnhaftigkeit der Rabattverträge. Alle diese Erwartungen wurden mit dem Gesetz nicht erfüllt. Besonders enttäuscht sind die Hersteller allerdings über die Ausgestaltung der Mehrkostenregelung, die als Flop bezeichnet werden kann. Da der Patient letztlich beim Kauf seines "Wunscharzneimittels" nicht weiß, wie hoch die Rückerstattung der Kosten von seiner Krankenkasse ist und diese letztendlich nur ein Drittel oder ein Viertel der Kosten betrage, werde sich kaum ein Patient darauf einlassen.

Social networking: Chancen für die Selbstmedikation?

Mit Twitter, Facebook, Blogs und anderen Internetformen der Kommunikation, die unter dem Begriff social networking laufen, werden auch die Arzneimittelhersteller konfrontiert. Diese neuen, rasant wachsenden Kommunikationsformen des Internets können für die Selbstmedikation Chancen, aber auch Risiken bieten. Hersteller müssen dabei die rechtlichen Möglichkeiten ausloten, beispielsweise inwieweit Foren in diesen Medien als Werbung oder als Informationsseiten verstanden werden können. So könnte sich die Frage stellen, ob der Hersteller eines Arzneimittels eingreifen muss, wenn in Foren oder Blogs über sein Präparat diskutiert wird und dabei zum Teil falsche Indikationen oder Anwendungen, für die dieses Präparat nicht zugelassen ist, verbreitet werden. Sind Äußerungen von Firmen dann als Werbung zu verstehen? Dürfen sich Mitarbeiter von Arzneimittelherstellern in diesen Netzwerken zu Arzneimitteln äußern? Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller wird sich auch mit diesen Fragen befassen müssen, so Hoffmann.

Die Zukunft: ein Selbstmedikationsbudget?

Mit der möglichen Einführung eines Selbstmedikationsbudgets verfolgen die Arzneimittelhersteller einen erneuten Versuch, die Krankenkassen davon zu überzeugen, dass die Selbstmedikation ihrer Versicherten zu Kosteneinsparungen beitragen kann. Die Idee dahinter: Wenn der Patient beispielsweise unter Beratung des Apothekers Selbstmedikation betreibt und dies dokumentiert wird, erspart dies den Krankenkassen Arzneiausgaben und Arzthonorare. Vorstellbar ist nun, dass eine Kasse ihrem Versicherten ein Budget einrichtet und die Arzneimittelkosten bis zu einer gewissen Höhe oder zu einem gewissen Anteil erstattet. Die Krankenkasse profitiert trotz Erstattung dieser Kosten, weil Selbstmedikationskäufe in der Regel günstiger sind als ärztliche Verordnungen. Wie Hoffmann erläuterte, arbeite man derzeit an einem Modellprojekt zusammen mit einer großen BKK, um die Machbarkeit und den Nutzen dieser Idee zu ermitteln und darzustellen. Ein solches Selbstmedikationsbudget könnte beispielsweise auch einen Wettbewerbsvorteil für eine Krankenkasse, die ihren Patienten eine bestimmte Kostenübernahme von OTC-Arzneimitteln anbietet, darstellen. Hoffmann zeigte sich zuversichtlich, dass der Modellversuch positiv ausgehen werde.



DAZ 2011, Nr. 24, S. 22

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