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Arzneimittel und Therapie
Erster MOR-NRI überzeugt durch gute Analgesie
Das alte WHO-Schema zur Schmerztherapie scheint endgültig passé zu sein. Die Behandlung chronischer Schmerzen sollte sich vielmehr an den Mechanismen der Schmerzentstehung orientieren (siehe Tabelle), raten Schmerztherapeuten. Die eingesetzten Analgetika sollten dabei so ausgewählt werden, dass mit den jeweiligen Wirkmechanismen konkret die im individuellen Fall wirksamen Schmerzmechanismen berücksichtigt werden. So sollten nozizeptiv-entzündliche Schmerzen grundsätzlich anders behandelt werden als zum Beispiel ein neuropathischer Schmerz.
Allerdings lassen sich die pathophysiologischen Grundlagen bei chronischen Schmerzen nicht immer genau differenzieren, zumal bei vielen Patienten ein Mixed-pain-Syndrom vorliegt, also mehrere Schmerzmechanismen gleichzeitig wirksam sind. Es kommt bei der Behandlung erschwerend hinzu, dass nicht selten Nebenwirkungen der jeweiligen Medikation die Therapieerfolge limitieren.
Synergistische Wirkeffekte
Eine gute Option sind deshalb oft Analgetika mit mehreren Wirkansätzen, wie es bei dem seit Oktober 2010 zugelassenen Tapentadol der Fall ist. Die Substanz wirkt einerseits als Agonist am μ-Opioid-Rezeptor (MOR) und andererseits als Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitor (NRI) und gilt als erster Vertreter der neuen Substanzgruppe der MOR-NRI. Die Kombination der beiden Wirkprinzipien in einem einzigen Pharmakon soll synergistische Effekte bei gleichzeitig guter Verträglichkeit vermitteln. Grundlage der analgetischen Wirksamkeit ist dabei die Schmerzhemmung über die aszendierenden Bahnen durch die Bindung an den μ-Opioid-Rezeptor sowie die Aktivierung körpereigener schmerzhemmender Mechanismen durch die Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung und den dadurch bedingt höheren Anteil des Neurotransmitters im zentralen Nervensystem.
Das Analgetikum stellt kein Prodrug dar und bildet keine analgetisch aktiven Metabolite. 97% der Substanz werden metabolisiert, hauptsächlich durch Inaktivierung über eine Glukuronidierung. Es kommt nur zu einer geringen oxidativen Metabolisierung über das Cytochrom-P450-System. Dadurch besitzt der Wirkstoff nur ein geringes Interaktionspotenzial und ist gut mit anderen Medikamenten kombinierbar. Die Albumin-Plasmaproteinbindung von Tapentadol liegt bei 20% und der Wirkstoff besitzt ein hohes Verteilungsvolumen. Er wird zu 99% über 72 Stunden mit dem Urin ausgeschieden. Die AUC und Cmax nahmen geringfügig zu, wenn die Retardtabletten nach einem kalorienreichen Frühstück mit hohem Fettgehalt verabreicht wurden. Dem wurde keine klinische Relevanz beigemessen, da es innerhalb der normalen interpersonellen Variabilität der pharmakokinetischen Parameter von Tapentadol liegt, daher können die Retardtabletten mit oder ohne Nahrung eingenommen werden.
Bei neuropathischen und nozizeptiven Schmerzen
Seine analgetische Wirksamkeit bei guter Verträglichkeit hat der MOR-NRI in klinischen Studien bei nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen (chronische nicht tumorbedingte Rückenschmerzen bzw. Schmerzen wegen Arthrose des Kniegelenks) unter Beweis gestellt. Im Vergleich zu Oxycodon resultierten bei äquianalgetischer Dosierung deutlich weniger Nebenwirkungen. Bei rund 50% weniger Patienten kam es unter dem MOR-NRI zum Erbrechen sowie zur Obstipation und um rund 40% geringer war der Anteil der Patienten mit Übelkeit und Juckreiz, was zu einer deutlich geringeren Rate an nebenwirkungsbedingten Therapieabbrüchen führte. Verglichen mit Oxycodon zeigte Tapentadol zudem in sieben von acht Bereichen des SF36 zur Erfassung der Lebensqualität Vorteile.
Die Einstellung auf Tapentadol sollte bei Opioid-naiven Patienten mit einer niedrigen Dosierung von zweimal 50 mg/d starten. Die Dosis kann dann angepasst an die individuelle Situation, innerhalb von drei Tagen gesteigert werden, wobei als kleinste wirksame Dosierung in den Studien zweimal 100 mg/d ermittelt wurden. Bei Schmerzpatienten, die bereits mit einem stark wirksamen Opioid vorbehandelt sind, sollte mit äquianalgetischen Dosierungen begonnen werden und eine eventuell verabreichte Begleitmedikation zum Beispiel mit Antikonvulsiva beibehalten werden. Für die Behandlung von Tumorschmerzen liegen zurzeit nur begrenzt Daten vor.
QuelleFachinformation Palexia® retard, Stand August 2010.Dr. med. Dipl. Soz. Reinhardt Sittl, Erlangen; Dr. med. Kai-Uwe Kern, Wiesbaden; Dr. med. Johannes Horlemann, Kevelaer: Symposium "Therapie von chronischen, starken Schmerzen: Worauf kommt es an?" beim 117. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, Wiesbaden, 2. Mai 2011, veranstaltet von der Grünenthal GmbH, Aachen.
Medizinjournalistin Christine Vetter
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