Fortbildung

Transport von Arzneiformen durch den Gastrointestinaltrakt

Rund 80% aller Arzneimittel werden peroral appliziert – ein Weg, der der natürlichen Nahrungsaufnahme entspricht, geringe Therapiekosten verursacht, dem Patienten eine gewisse Unabhängigkeit ermöglicht und die Compliance erhöht. Welche Veränderungen ein Arzneimittel im Gastrointestinaltrakt erfährt und welche Vorgänge bei der Resorption eine Rolle spielen, erläuterte Prof. Dr. Sandra Klein, Greifswald.
Foto: DAZ/pj
Sandra Klein

Während der kurzen Passage eines Arzneimittels durch die Speiseröhre findet keine Resorption des Wirkstoffs statt. Um zu verhindern, dass Hartgelatinekapseln am Ösophagus haften, sollte das Arzneimittel in aufrechter Körperhaltung mit einem Glas Wasser eingenommen werden. Dies trifft insbesondere für Bisphosphonate, Tetracycline, Penicilline und nicht-steroidale Antiphlogistika zu.

Die Vorbereitung zur Resorption eines Wirkstoffs beginnt im Magen. Für die Wirkstoffresorption ist dieser aufgrund seiner kleinen Oberfläche und einem Nüchternvolumen von 25 bis 50 ml ungeeignet. Die Magenpassage beeinflusst aber die Bioverfügbarkeit von Arzneistoffen und wird selber von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Das sind etwa Art und Menge der aufgenommenen Nahrung, der vorliegende pH-Wert, nüchterne oder postprandiale Zustände, der Kaloriengehalt der Nahrung, das Flüssigkeitsvolumen oder die Einnahme weiterer Medikamente (Opiate verlangsamen beispielsweise die Magenentleerung). Diese Faktoren spielen besonders bei großen monolithischen Arzneiformen eine Rolle sowie bei Darreichungsformen, die Wirkstoffe mit pH-abhängiger Löslichkeit oder starker Lipophile enthalten.

Autonome Magenmotilität

Die Magenmotilität weist zwei charakteristische vom Füllungszustand des Magens abhängige Muster auf. Das Motilitätsmuster im nüchternen Zustand (MMC = Migrating Motor Complex) ist durch eine kontinuierlich wiederkehrende Abfolge (alle 90 bis 120 Minuten) von drei Phasen gekennzeichnet. Es handelt sich dabei um elektrisch stimulierte Muskelkontraktionen, die sich in Richtung Dünndarm ausbreiten. Während der Phase eins befindet sich der Magen im Ruhezustand. Im Laufe der Phase zwei treten in unregelmäßigen Abständen Kontraktionen auf, während der kurzen Phase drei starke motorische Aktivitäten. Diese werden anschaulich mit dem Begriff "housekeeper waves" ("Putzwellen") bezeichnet, da durch die Kontraktion unverdauliche größere Partikel aus dem Magen entleert werden. In einer anschließenden Übergangsphase klingt die Aktivität wieder ab.

In der postprandialen Phase finden vornehmlich segmentelle Kontraktionen statt, die dem Mischen und der Verkleinerung der Nahrung dienen. Flüssigkeiten und kleine Partikel können prä- und postprandial kontinuierlich aus dem Magen entleert werden. Große, nicht zerfallende Arzneiformen wie etwa magensaftresistent überzogene Tabletten und viele retardierte Arzneiformen können nur während der späten Phase zwei und drei des Nüchternmotilitätszyklus entleert werden.

Vorgänge im Dünn- und Dickdarm

Die meisten Arzneistoffe werden aus dem Dünndarm resorbiert, so dass die Dauer der Dünndarmpassage die Bioverfügbarkeit maßgeblich beeinflusst. Der Transport durch den Dünndarm erfolgt nicht kontinuierlich und ist unter anderem von der Nahrungsaufnahme abhängig. Die Dünndarmpassagezeit wird stärker von der Frequenz der Nahrungsaufnahme als von ihrer Zusammensetzung bestimmt (ileogastraler Reflex). Die Dünndarmpassagezeit für feste Arzneiformen liegt bei drei bis vier Stunden, allerdings mit großen Schwankungen (zwei bis acht Stunden). Wie im Magen, so sind auch im Dünndarm bestimmte Motilitätsmuster erkennbar. Während der ersten Phasen finden nur schwache, in den folgenden Phasen stärkere Kontraktionen statt. Nach der Nahrungsaufnahme setzt eine kontinuierliche Peristaltik ein, die in propulsiven Kontraktionen und nicht-propulsiven Mischvorgängen abläuft. Durch die propulsiven Kontraktionen wird der Inhalt des Dünndarms in Richtung Dickdarm bewegt und verlässt diesen durch die Ileocoecalklappe.

Im Dickdarm findet kaum noch eine Resorption von Arzneistoffen statt. Die Passagezeiten von Nahrungsmittelbestandteilen und Arzneiformen sind sehr variabel und liegen zwischen einigen Stunden und mehreren Tagen. Der Transport erfolgt durch segmentelle und ringförmige Kontraktionen, die durch dickdarmspezifische Bewegungsmuster (mass movements) unterbrochen werden. Diese Bewegungen können eine Peristaltik auslösen und finden nur sporadisch und meist nicht mehr als ein- bis dreimal täglich statt.


pj



DAZ 2011, Nr. 23, S. 53


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