Fortbildung

Funktion der menschlichen Gene besser verstehen

Weg von der problemorientierten Forschung hin zur systematischen Forschung – das war die Idee, die hinter der äußerst ambitionierten Zielsetzung stand, das gesamte menschliche Genom zu sequenzieren. Beim Start des Projekts 1990 wurde die endgültige Entschlüsselung für 2005 prognostiziert, durch fortschreitende Technik und immer effizientere Aufgabenteilung wurde das Ziel bereits im Juni 2000 erreicht, wie Dr. Ilse Zündorf und Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt, zeigten.
Foto: DAZ/ck
Ilse Zündorf und Theo Dingermann

Als offizieller Start des Human Genome Projekts gilt der Oktober 1990. Geplant war, die Arbeit nach 15 Jahren abzuschließen. Nach und nach kamen Forschungsinstitute in der ganzen Welt dazu, Deutschland ist seit Juni 1995 mit mehreren Institutionen (unter anderem Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik, Institut für Molekularbiotechnologie, Deutsches Krebsforschungszentrum) an der Genomanalyse beteiligt.

Heute sind in der Human Genome Organisation (HUGO) 50 Länder mit 1000 Institutionen verbunden. Nach nur zehn Jahren konnte die Idee realisiert werden: Im Juni 2000 gaben Francis Collins von der Human Genome Organisation (HUGO) und Craig Venter von der Firma Celera Genomics die Entschlüsselung des menschlichen Genoms bekannt. Damit lag eine "Landkarte des Genoms" vor, die unglaubliches Potenzial im Bereich der Medizin in sich birgt: Bei der Diagnose und Prävention von Krankheiten können deutliche Fortschritte gemacht werden, ebenso in der Behandlung von Erkrankungen bis hin zur möglichen Heilung. Die Ergebnisse des humanen Genomprojekts "beeinflussen unser aller Leben und noch viel mehr das Leben unserer Kinder", betonte Zündorf.

Das erste komplette menschliche Genom

Bis zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine einzige Publikation bezüglich des humanen Genomprojektes, obwohl alle Daten öffentlich verfügbar waren. Erst im Februar 2001 publizierten die beiden renommierten wissenschaftlichen Journale Nature und Science zeitgleich jeweils eine komplette Ausgabe mit Daten aus dem Humanen Genomprojekt. Es waren noch etliche Lücken und Fehler enthalten, diese wurden gefüllt bzw. korrigiert und 2003 wurde das Projekt abgeschlossen. Das erste veröffentlichte menschliche Genom war das von Craig Venter von der Firma Celera Genomics, dann folgte das von James Watson, dem Entdecker der DNA, und mittlerweile sind 13 individuelle Genome publiziert. Damit wurde ein neues Projekt eröffnet, das "1000 Genomprojekt", das noch nicht abgeschlossen ist, aber zur Zeit sehr intensiv beforscht wird, um individuelle Genome zu erhalten und vergleichen zu können. Nicht nur menschliche Genome werden sequenziert, auch Tiere wie Affe, Hund, Fliegen oder Bakterien, Viren und höhere Pflanzen.

Hauptziel: medizinischer Fortschritt

Angesichts der Kosten dieser Forschung sollte man sich immer wieder die Frage stellen, was der Antrieb für dieses enorm aufwendige Projekt war bzw. ist. Die Antwort lautet: der medizinische Fortschritt. Wenn wir mehr über Krankheiten wie Krebs lernen wollen, dann müssen wir uns mit dem Genom beschäftigen und es kennen lernen. Dazu wurden durch massives paralleles Sequenzieren 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche Unmengen an Daten gewonnen, die in Computer eingespeist wurden, um letztendlich eine zusammenhängende Information zu erhalten, die praktisch genutzt werden kann. Dank des humanen Genomprojekts kennt man heute die exakte Zahl an Nukleotiden, die ein menschliches Genom enthält: Etwa 3,2 Milliarden Basenpaare codieren für ein haploides Genom und das entspricht einer Bibliothek mit 1200 Bänden, á 1000 Seiten, á 3000 Buchstaben aufgereiht auf 23 langen DNA-Fäden, den 23 Chromosomen. Was hat sich seit HUGO geändert? Heute sind über 99,7% des genetisch aktiven Euchromatins bekannt, die noch vorhandenen Lücken sind weitgehend geschlossen, Fehler beseitigt. Vor allem aber ist der vermutete Informationsgehalt zurückgegangen: Mit Beginn von HUGO wurde mit 100.000 Genen gerechnet, im Jahr 2000 bei Veröffentlichung des ersten Entwurfes war diese Zahl schon auf 30.000 bis 40.000 geschrumpft. Heute geht man davon aus, dass es kaum mehr als 21.000 Gene gibt. Eine sehr ernüchternd geringe Anzahl. Man weiß aber heute auch, dass ein Gen sehr vielmehr als nur ein Protein codiert. Durch so genanntes alternatives Splicing werden bestimmte Bereiche ausgelassen oder eingeführt, sodass ein Gen zehn oder mehr Proteine codieren kann. Für die genetische Variabilität sind vor allem die SNPs (single nucleotide polymorphisms) verantwortlich, Punktmutationen, die an einer einzelnen Stelle in der DNA – im Schnitt bei jeder 1000. Base – auftreten. 5% der SNPs sind wahrscheinlich mit dem Phänotyp involviert, nur 50.000 bis 100.000 scheinen eine klinische Relevanz zu besitzen.

Wohin geht die Reise in der Pharmazie ?

Das neue Wissen ermöglicht zukünftig eine Fülle technologischer Weiterentwicklungen, vor allem im Bereich der Diagnostik. Diese wird in der Zukunft dann sicherlich auf der Ebene des einzelnen Bausteins stattfinden. Auch werden mit Sicherheit neue genetische Risikofaktoren identifiziert werden, die mit entsprechenden Risikofaktoren aus der Umwelt korreliert werden können. Mit Fokus auf die Pharmazie werden sicherlich neue Zielstrukturen erkannt, an denen neue Interventionsstrategien anknüpfen können. Nur so kann die Arzneimitteltherapie im speziellen und die Pharmazie im allgemeinen sich weiter entwickeln. Allerdings sind auch noch viele Fragen offen: So ist es erforderlich, gute politische Entscheidungen zu fällen, um das gewaltige Potenzial, das in der Genomforschung steckt, ausschöpfen zu können. Es dürften einerseits weder den Wissenschaftlern Steine in den Weg gelegt werden, noch auf der anderen Seite die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen verletzt werden. Man muss nicht viel spekulieren, um zu prophezeien, dass in der Zukunft Ärzte am Krankenbett nicht nur die Fieberkurve und Blutdruckdaten des Patienten vorfinden, sondern auch ganz individuelle, genetische Informationen zur Person, die dazu beitragen, Krankheiten molekular zu verstehen und ganz gezielt individuell behandeln zu können. Dingermann betonte die Vorteile für die pharmazeutische Praxis. Es werde möglich sein, Patienten zu identifizieren, bei denen Arzneimittel nicht wirken, die nicht von einer Therapie profitieren. Und es könnten Patientengruppen definiert werden, die bis jetzt durch ein Arzneimittel oder eine Dosierung "gequält" werden, weil ihre genetische Ausstattung die Verstoffwechslung eines Wirkstoffs nicht zulässt und der Patient überdosiert wird. "Wir stehen ganz kurz davor", prognostizierte Dingermann einen Durchbruch des humanen Genomprojekts in der Pharmazie. Gerade die Frankfurter Arbeitsgruppen und das Zentrallaboratorium der deutschen Apotheker (ZL) arbeiten intensiv mit daran, die apparative Ausstattung sicherzustellen, um in der Apotheke "intellektuelles Material" in Form von Datenbanken zur Verfügung zu stellen. Diese kann der Apotheker in der Offizin nutzen, um die Patienten, die ihr eigenes Genom haben analysieren lassen, sehr individuell beraten zu können. Ein Trend in diese Richtung ist die Typisierung mittels DNA-Chip-Analyse. Der Preis für solch eine Analyse liegt im Moment bei ca. 200 bis 400 Euro. Wenn man davon ausgeht, dass diese Analyse nur einmal im Leben gemacht werden muss und den Nutzen der Ergebnisse bedenkt, dann sei das nicht teuer, so Dingermann. Eine gute Investition in die Zukunft, auch wenn die Kassen noch mit den Schultern zucken, wenn es um die Frage der Kostenübernahme geht. Dingermann sieht es auch als eine Aufgabe der Apothekerschaft an, aktiv zu werden, um diese Ideen in die Politik zu tragen.


ck



DAZ 2011, Nr. 23, S. 73


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