Apotheke und Krankenhaus

Eckpunkte - Streitpunkte - Stolpersteine

Zum Positionspapier "Überarbeitung der Apothekenbetriebsordnung" des Bundesministeriums für Gesundheit*

Von Johannes Pieck (Nach einem Vortrag in freier Rede auf der Mitgliederversammlung des BVKA am 3. Mai 2011 in Bad Homburg)

Aus dem Hause des Bundesministeriums für Gesundheit wurde im Sommer 2010 der "Arbeitsentwurf" einer überarbeiteten Apothekenbetriebsordnung bekannt, vor wenigen Wochen sodann ein Positionspapier "Überarbeitung der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO)" so weit gestreut, dass auch die Medien sich dieses bisher eher "apothekeninternen" Themas mit teilweise massiven Falschmeldungen bemächtigten. Die ungewöhnliche Vorgehensweise darf man wohl interpretieren als eine Unsicherheit dieses Ressorts gegenüber seinen eigenen Grundpositionen und Absichten, zugleich aber auch als Bereitschaft, verbandspolitische Reaktionen und sachlich begründeten Widerspruch in dem anstehenden Referentenentwurf noch zu berücksichtigen.

Rechtsanwalt Dr. Johannes Pieck

Das Positionspapier des BMG unternimmt den Versuch, einerseits die Arzneimittelsicherheit unter anderem durch verbindliche Einführung eines Qualitätsmanagements und durch Präzisierung bei den Anforderungen an die allgemeine Arzneimittelherstellung und -prüfung zu verbessern; ferner sollen Apotheker verpflichtet werden, in jedem Fall einer Abgabe von Arzneimitteln durch Nachfrage festzustellen, ob bei dem Kunden ein Beratungsbedarf besteht, um dann erforderlichenfalls eine Beratung anzubieten; schließlich soll erreicht werden, dass die Vertraulichkeit der Beratung, die bereits jetzt in jeder Apotheke gewährleistet sein muss, gegebenenfalls durch organisatorische Maßnahmen in der Offizin verbessert oder erreicht wird.

Gleichzeitig, so formuliert das Eckpunktepapier optimistisch, sollen überholte und nicht mehr gerechtfertigte Regelungen im Sinne eines Bürokratieabbaus abgeschafft oder zumindest so angepasst werden, dass eine Entlastung für die Apotheken erreicht wird.

Diese ordnungspolitisch abstrakten Absichten des Ministeriums mögen prima facie in Teilen der Berufsöffentlichkeit Akzeptanz finden, verschiedene konkret vorgesehene Maßnahmen zum Abbau angeblich apothekeninterner oder aufsichtsbehördlicher Bürokratie müssen jedoch massive Bedenken auslösen. Teilweise würde eine effektive Entlastung der Apotheken nicht stattfinden, weil sich insbesondere im Verhältnis zwischen Apotheker und Aufsichtsbehörde neue Probleme ergeben können. Andere "Liberalisierungen" gefährden massiv die Absicht des Ministeriums, die Arzneimittelsicherheit und die Versorgung von Patienten im Nahbereich der Apotheke zu verbessern. Die Pläne des Ministeriums produzieren, wenn sie denn insgesamt umgesetzt würden, eine Art "coincidentia oppositorum" (Nicolaus von Cues). Mit anderen Worten: das Postulat des Ministeriums, die Funktion der Apotheken zu stärken und damit den Apotheker als Angehörigen eines Heilberufs stärker zu fordern, wird infrage gestellt, ja im Ergebnis konterkariert und gefährdet durch konkrete Liberalisierungsabsichten des Ministeriums.

Rezeptsammelstellen und Pick-up-Stellen

Als 2003 Versandapotheken und Filialapotheken zugelassen wurden, erklärte ein Ministerialrat des BMG auf einer Managementveranstaltung, die Ministerin Ulla Schmidt wolle damit die ältere Apothekergeneration sukzessive auf eine Liberalisierung des Apothekensystems, sprich auf eine Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes, vorbereiten. Als sodann das Bundesverwaltungsgericht Pick-up-Stellen, im zu entscheidenden Fall in einem Drogeriemarkt, für zulässig erklärte mit der Begründung, dies sei eine gesetzeskonforme Variante der Zustellung von Arzneimitteln aus (ausländischen) Versandapotheken, war das Ministerium überrascht. Daran hatte man bei der Änderung des Apothekengesetzes nicht gedacht, das hatte man womöglich auch nicht gewollt.

Obwohl also das Ministerium letztendlich für Pick-up-Stellen die politische Verantwortung trägt, hat es nichts unternommen, um diesem ordnungspolitischen und wettbewerbswidrigen Übelstand wirksam zu begegnen. Versandapotheken, die laut Ulla Schmidt angeblich versorgungspolitisch unverzichtbar sind, weil sie den Patienten durch Post oder Internet die unzumutbare Inanspruchnahme von Präsenzapotheken ersparen, praktizieren ein Pick-up-Stellen-System von Rezeptannahme und Arzneimittelausgabe, das sie bei vordergründiger Betrachtung Präsenzapotheken ähnlich werden lässt; sie halten hierbei – legal oder illegal – die Arzneimittelpreisverordnung nicht ein und praktizieren somit einen Preiswettbewerb mit den Präsenzapotheken vor Ort, der eindeutig wettbewerbswidrig ist.

Das Schweigen und die Untätigkeit des Ministeriums sind in zweifacher Hinsicht skandalös: Bekanntlich hat die Arzneimittelpreisverordnung nicht nur die Funktion, die Wirtschaftlichkeit der Apotheken in ihrer Gesamtheit zu gewährleisten und mit dem Prinzip der Gleichpreisigkeit einen Preiswettbewerb zu verhindern. Sie soll zugleich den Patienten vor Übervorteilung durch zu hohe Preise sichern. Wer an die Arzneimittelpreisverordnung nicht gebunden ist, mag heute Arzneimittel zu Preisen versenden, die unterhalb denen liegen, die sich aus der Arzneimittelpreisverordnung ergeben. Er kann aber morgen und übermorgen, ohne sich rechtfertigen zu müssen, zu Preisen liefern, die deutlich oberhalb der Arzneimittelpreisverordnung liegen. Der Schutz des Patienten vor Übervorteilung, der bei Anwendung der Arzneimittelpreisverordnung gewährleistet ist, ist somit nicht gesichert.

Die objektive Gefährdung der Patienteninteressen und die rechtswidrige Wettbewerbssituation zwischen ausländischen Versandapotheken samt Pick-up-Stellen einerseits und insbesondere Präsenzapotheken vor Ort andererseits nehmen somit seit dem Jahr 2004 das Bundesministerium für Gesundheit in die Pflicht, durch eine Novellierung der Arzneimittelpreisverordnung sicherzustellen, dass die Arzneimittelpreisverordnung für ausländische Versandapotheken jedenfalls dann gilt, wenn sie an Patienten in Deutschland liefern. Das Ministerium hat es indessen über Jahre hingenommen, dass deutsche Zivilgerichte und Sozialgerichte zur Geltung der Arzneimittelpreisverordnung für ausländische Versandapotheken widersprüchliche Entscheidungen treffen und nach der Anrufung des Gemeinsamen Senats der Obersten Bundesgerichte noch längere Zeit vergehen mag, bis endlich eine rechtsverbindliche Entscheidung erfolgt.

Würde der Gemeinsame Senat die umfassende Geltung der Arzneimittelpreisverordnung dekretieren, wäre der Spuk der Pick-up-Stellen mit einem Federstrich beseitigt, aber auch nur dann. Geboten ist daher weiterhin ein generelles Verbot von Pick-up-Stellen, aber auch insoweit handelt das Ministerium nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar in seinem Pick-up-Urteil in einem einzigen Satz ausgeführt, ein Pick-up-Verbot durch den Gesetzgeber wäre verfassungswidrig. Dieser bloßen Behauptung, der sich die Bundesministerien des Innern und der Justiz pauschal angeschlossen haben, hat jedoch durch etliche Autoren und Gutachter qualifizierten Widerspruch gefunden (zu Fundstellen vgl. DAZ 2011; Nr. 19, S.30ff).

Das Ministerium konnte also wählen zwischen bloßer Behauptung von formal hochmögenden Stellen und argumentativer Begründung durch sachkundige Juristen. Das Ministerium hat sich entschieden und auf ein gesetzliches Verbot der Pick-up-Stellen, sei es im Arzneimittelgesetz, sei es im Apothekengesetz, verzichtet.

Exkurs: Pick-up-Stellen in Apotheken

Auf Widerspruch, bisher aber nicht auf hinreichend qualifizierten und erfolgreichen Widerstand stoßen auch Pick-up-Stellen in Apotheken. Ungeachtet allen ökonomischen Verständnisses für Apotheker, die sich von Pick-up-Stellen, wo auch immer, nicht die Butter vom Brot nehmen lassen wollen: berufs- und gesundheitspolitisch sind Pick-up-Stellen auch in Apotheken allemal ein Übel. Die Abgabe von Päckchen (mit Arzneimitteln oder auch nicht) in Apotheken anstatt durch die Post oder in Gewerbebetrieben verleiht dem Vorgang keinen pharmazeutischen Adel!

Im Gegensatz zu Pick-up-Stellen außerhalb von Apotheken bedürfen diese jedoch nicht eines ausdrücklichen gesetzlichen Verbots, ihre Unzulässigkeit ergibt sich unmittelbar aus der Apothekenbetriebsordnung. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Praktizierung von elektronischen Apothekenterminals mit der Begründung für unzulässig erklärt, das Originalrezept liege zum Zeitpunkt der Abgabe der Arzneimittel in der Apotheke nicht vor, so dass diese ihrer Dokumentationspflicht nach § 17 Abs. 5 und 6 ApBetrO nicht nachkommen könne. Eben dies ist auch der Fall bei Pick-up-Stellen in Apotheken, denn hier ist nicht gewährleistet, dass das Originalrezept zum Zeitpunkt der Abgabe durch eine ausländische Apotheke dort vorliegt. Wenn ausländisches Apothekenrecht eine solche Abgabe gestatten sollte, ist dies unbeachtlich, weil deutsches Apothekenrecht, das strengere Recht, maßgeblich ist.

Die Apothekenbetriebsordnung schreibt zudem abschließend vor, welche Funktion jeder Betriebsraum in der Apotheke hat, und schließt damit aus, dass andere gewerbsmäßige Tätigkeiten in diesen Räumen ausgeübt werden. Pick-up-Stellen in der Apotheke sind ein Botendienst, wie ihn die Post oder andere Zustellunternehmen wahrnehmen, die Abgabe von Päckchen oder Paketen, welchen Inhalts auch immer, zählt nicht zu den Aufgaben einer Apotheke. Dies gilt auch dann, wenn der Apotheker oder der Kunde in der Apotheke diese Transportmittel öffnet, um festzustellen, ob die abgebende Apotheke auch richtig geliefert hat.

Angesichts dieser eindeutigen Rechtslage fällt es nicht in das Ermessen von Aufsichtsbehörden, Pick-up-Stellen in Apotheken zu verbieten oder zu dulden, es besteht vielmehr für sie eine rechtliche Verpflichtung, geltendes Recht durchzusetzen. Die bisher vorliegende widersprüchliche Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Pick-up-Stellen in Apotheken lässt erkennen, dass die hier erwähnten apothekenrechtlichen Gesichtspunkte offenkundig von den klagenden Parteien nicht oder nicht ausreichend vorgetragen und von den Gerichten nicht gewürdigt worden sind.

"Problemlösung": Pick-up-Stellen für alle

Seit Bekanntwerden des Positionspapiers steht fest, dass das Ministerium Pick-up-Stellen (außerhalb der Apotheken) nicht nur weiterhin dulden, sondern diese vorsichtshalber gegen alle künftigen Angriffe politischer oder juristischer Provenienz absichern will. Mit dem verbalen Köder "Entlastung für die Apotheken" sollen "Präsenzapotheken und Versandapotheken bei der Genehmigung von Rezeptsammelstellen" gleichgestellt werden; es soll die bisher für Präsenzapotheken geltende Bedürfnisprüfung, ob es sich um abgelegene Orte handelt, die nicht anders versorgt werden können, wegfallen. Ferner dürfen Rezeptsammelstellen künftig auch in Gewerbebetrieben unterhalten werden. Bestehen bleiben soll lediglich das Verbot, Rezeptsammelstellen bei Angehörigen der Heilberufe zu unterhalten.

Mit anderen Worten: Offizinapotheker sollen künftig mit der genannten Einschränkung überall und in beliebiger Zahl Rezeptsammelstellen unterhalten können. Der Wegfall der Bedürfnisprüfung bedeutet auch, dass in einem Ort oder Ortsteil, ja buchstäblich an derselben Stelle, beliebig viele Apotheker beliebig viele Rezeptsammelstellen betreiben können, weil es ja auf ein Bedürfnis, dem womöglich mit der ersten Rezeptsammelstelle bereits entsprochen wäre, nicht mehr ankommen soll. War bisher die Einrichtung von Rezeptsammelstellen fast ausschließlich in eher ländlich strukturierten Bereichen rechtlich zulässig und üblich, so können künftig buchstäblich überall, auch in Städten und Großstädten, Rezeptsammelstellen betrieben werden. Dem sach- und fachkundigen Leser braucht der Verfasser nicht darzustellen, was das im Ergebnis auslösen wird: Einer fängt an und alle müssen notgedrungen folgen und Rezeptsammelkästen einrichten. Der Wettbewerb durch Leistung in der Apotheke verlagert sich buchstäblich auf die Straße oder hessisch formuliert: uff d’Gass! Man fühlt sich unwillkürlich an das Lemming-Phänomen bei der Versorgung von Alten- und Pflegeheimen erinnert, bei denen ohne betriebswirtschaftliche Erwägungen kostenlos verblistert wird, Hauptsache, man behält oder erhält den Versorgungsvertrag für seine Apotheke und nicht der Kollege.

Wenn das Ministerium es mit der Gleichstellung von Präsenzapotheken und Versandapotheken ernst meint, müsste künftig unausweichlich jedwedes Genehmigungsverfahren für Rezeptsammelstellen entfallen, denn Pick-up-Stellen sind zur Zeit a priori zulässig und bedürfen keiner behördlichen Erlaubnis. Im Übrigen wäre nicht erkennbar, was noch Gegenstand behördlicher Prüfung im Rahmen eines Erlaubnisverfahrens sein soll, wenn für Rezeptsammelstellen die bisherige Bedürfnisprüfung entfällt. Auch ob unter den Bedingungen einer unbeschränkten "Niederlassungsfreiheit" für Rezeptsammelstellen diese noch rentabel betrieben werden können, hätte die Behörde nicht zu prüfen. Ob dann unter diesen Bedingungen Rezeptsammelstellen regelmäßig geleert und dementsprechend Arzneimittel zügig zugestellt werden, mag die Behörde zwar vorschreiben, kann sie letztendlich aber nicht wirksam überprüfen und sicherstellen.

Ein Ministerium, das die Beratung aktivieren und verbessern und die Diskretion hierbei durch weitere organisatorische Maßnahmen in der Apotheke sicherstellen will, muss sich kritische Fragen nach seiner Glaubwürdigkeit gefallen lassen, wenn es die Etablierung von Rezeptsammelstellen freigeben will und zugleich befördern würde, dass an die Stelle der Beratung in der Apotheke aus Gründen der persönlichen Bequemlichkeit die Inanspruchnahme von versorgungspolitisch überflüssigen Rezeptsammelstellen träte. Es gilt die praktische Erfahrung: Je mehr Rezeptsammelstellen, desto weniger Beratung in der Apotheke. Oder verfügt das Ministerium über andere Erkenntnisse? Gewiss nicht! Es geht hier nur darum, Pick-up-Stellen und Rezeptsammelstellen gleichzustellen und Apothekern und ihren Berufsorganisationen ihre guten Argumente gegen Pick-up-Stellen buchstäblich aus der Hand zu schlagen.

Quintessenz: Es spricht alles dafür, die geltenden Regelungen für Rezeptsammelstellen in der Apothekenbetriebsordnung unverändert in eine neue Verordnung zu übernehmen. Den Apothekerkammern als zuständigen Behörden ist es gelungen, die Interessengegensätze der Beteiligten immer wieder sachgerecht und praxisnah auszugleichen. Die umfangreiche Rechtsprechung zu den Rezeptsammelstellen hat zudem alle praxisrelevanten Fragen im Wettbewerb der Apotheker um Rezeptsammelstellen erschöpfend und nachvollziehbar beantwortet. Die geltenden Regelungen sind keineswegs überholt, ein Minimum an Disziplinierung bei der Errichtung und dem Betrieb von Rezeptsammelstellen ist weiterhin unabweisbar.

Unabweisbar ist aber auch die weiterhin bestehende Pflicht des Ministeriums, das Verbot von Pick-up-Stellen endlich aktiv anzugehen und gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft darauf hinzuwirken, dass alle Apotheken, die in Deutschland an der Sicherstellung der Arzneimittelversorgung der Patienten mitwirken, den gleichen preisrechtlichen Vorschriften unterliegen. Wenn die Politik mit der Arzneimittelpreisverordnung bewirken will, dass ein Preiswettbewerb bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht stattfinden soll, muss sie diesen Grundsatz im Interesse der Patienten und der deutschen Apotheken konsequent durchsetzen, zumal dann, wenn das Ministerium durch die grundlose, ja geradezu mutwillige Zulassung von Versandapotheken Pick-up-Stellen und das Problem preisrechtlicher Wettbewerbsverzerrung unmittelbar zu verantworten hat.

Streichung von Auflistungen

Unter die Rubrik "Bürokratieabbau und Erleichterungen" subsumiert das Ministerium auch die Streichung der Auflistungen der bisher in jeder Apotheke vorzuhaltenden Laborgeräte und Reagenzien, weil diese wenig oder gar nicht mehr eingesetzt würden, wohl aber einen nicht unerheblichen Kostenfaktor ausmachten. Die notwendige Ausstattung des Labors soll künftig allein der Verantwortung des Apothekenleiters unterliegen, der in eigener Entscheidung moderne und an den Stand von Wissenschaft und Technik angepasste Prüfgeräte anschaffen kann. Gleiches soll für wissenschaftliche Literatur und die Sammlung der aktuellen Rechtsvorschriften gelten. Das Ministerium schätzt die Kosten für die ca. 60 Laborgeräte und 260 Reagenzien auf ca. 28.000 Euro.

Für die mehr als 21.000 Apotheken, die diese Laborgeräte und Reagenzien nach Maßgabe von § 4 Abs. 8 und § 5 ApBetrO vorhalten, ergibt sich aus dem Wegfall der entsprechenden Verpflichtung keine Entlastung, weil diese Laborgeräte und Reagenzien schlechterdings unverkäuflich sind; das Deutsche Apothekenmuseum in Heidelberg bzw. weitere Apothekenmuseen werden sich heftig dagegen wehren müssen, solche Gerätschaften als museums- oder sammelwürdig – selbstverständlich gegen Spendenquittung – zu übernehmen. Ersetzt man diese Gerätschaften dann durch "moderne und an den Stand von Wissenschaft und Technik angepasste Prüfgeräte" (die dann ebenfalls "wenig oder gar nicht ... eingesetzt werden"?), ergibt sich für Apotheken nicht einmal ein Nullsummenspiel. Cui bono?

Die in dem Positionspapier vollmundig zitierte Verantwortung und eigene Entscheidung des Apothekenleiters ist keineswegs eine freie Entscheidung, weil Inhalt und Umfang vorzunehmender Prüfungen dadurch nicht berührt werden sollen. Auch die Verpflichtung zur Herstellung von Rezepturen muss nach dem Positionspapier im gleichen Umfang gewährleistet bleiben.

Fazit: Streit mit der Aufsichtsbehörde ist programmiert. Kein Inhaber einer bestehenden Apotheke wird entlastet, die Neugründung von Apotheken hingegen erleichtert.

Filialapotheken künftig als Apotheken zweiter Klasse?

Zur Zeit werden in Deutschland ca. 3100 Apotheken von insgesamt ca. 21.000 als Filialapotheken betrieben. Ein kluger Mann hat ausgerechnet, dass bei einer stabilen Gesamtzahl von 21.000 und unter Annahme gleicher gesetzlicher Bedingungen eines Tages unter dem Dach von 5000 Stammapotheken 15.000 Filialapotheken betrieben werden könnten; hält die derzeitige Entwicklung der Umwidmung bestehender Apotheken in Filialapotheken an, handelt es sich um eine durchaus realistische Annahme.

Ungeachtet dieses Trends soll bei Filialapotheken künftig auf ein Labor (einschließlich eines Herstellungsbereichs!) verzichtet werden können, wenn die erforderlichen Prüfungen und Rezepturanfertigungen von der jeweiligen Hauptapotheke oder einer der jeweils anderen Filialapotheken übernommen werden, weil diese unter der gleichen Betriebserlaubnis agieren.

Wenn das Ministerium zu wissen glaubt, dass Laborgeräte und Reagenzien zur Zeit in Apotheken wenig oder gar nicht mehr eingesetzt werden, also, mit Verlaub, in den Apotheken nicht mehr die Prüfungen durchgeführt werden, die von Rechts wegen vorgeschrieben sind, kann man in Berlin und Bonn doch nicht ernstlich annehmen, dass erforderliche Prüfungen in einer Filialapotheke tatsächlich auf die Hauptapotheke delegiert werden. Der Verzicht auf ein Labor in Filialapotheken wäre vielmehr der amtliche Verzicht auf die auch diesen Apotheken bisher obliegenden Prüfverpflichtungen. So kann man sich selber und eine gesundheitspolitisch interessierte Öffentlichkeit täuschen.

Wenn Rezepturanfertigungen in Filialapotheken von der jeweiligen Hauptapotheke oder einer anderen Filialapotheke übernommen werden dürfen, was angeblich vielfach der Praxis entsprechen soll, handelt es sich doch oft schlicht um eine Verweigerung der Herstellung von Rezepturen, freundlich garniert mit einem Verweis auf die Hauptapotheke, eine andere geschwisterliche Filialapotheke oder noch lieber auf eine fremde Apotheke, die diese Aufgabe gewiss gerne übernähmen. Egal welche Variante gewählt wird, für den Patienten bedeuten sie selbstverständlich durch das Aufsuchen einer anderen Apotheke einen höheren Zeitaufwand.

Das Inkaufnehmen solcher Erschwernisse darf einen jedoch nicht bei einem Ministerium wundern, das im Jahre 2003 bei der apothekengesetzlichen Zulassung von Versandapotheken in der Apothekenbetriebsordnung zugleich den buchstäblich jahrhundertealten Grundsatz des deutschen Apothekenwesens gestrichen hat, dass Verschreibungen "unverzüglich" zu beliefern sind, nur um die systemimmanente Langsamkeit einer Arzneimittelabgabe durch Versandapotheken zu sanktionieren.

Was bleibt zu tun?

In dem Editorial einer pharmazeutischen Zeitschrift konnte man in diesen Tagen von autoritativer Seite die mausgraue Formulierung lesen, es gäbe "Gesprächsbedarf". Gewiss, es gibt Gesprächsbedarf, aber bitte mit der Deutlichkeit, die alle Handelnden in Kammern und Verbänden und allzumal in der ABDA als Vorstandsmitglieder im Verband für deutliche Aussprache ausweist. Wenn man der Überzeugung ist, dass der Kampf um die ordnungspolitischen Strukturen und die ökonomische Absicherung des Apothekenwesens pharmazeutisch gewonnen (oder auch verloren!) wird, muss man das Bundesministerium für Gesundheit, dessen gesundheitspolitischer Kompass zur Zeit offensichtlich nicht funktioniert, darauf aufmerksam machen, dass die vorgesehene Liberalisierung die bestehenden Apotheken weder ökonomisch noch betriebsorganisatorisch entlastet; sie ist lediglich geeignet, die Funktion zahlreicher (Filial-) Apotheken zu schädigen und die legitimen Erwartungen der Patienten, grundsätzlich in jeder Apotheke die gleichen Leistungen zu erhalten, zu täuschen und zu enttäuschen. Die nach dem Positionspapier praktisch unbeschränkte Zulassung von Rezeptsammelstellen drängt dem Berufsstand einen peinlichen Wettbewerb, der die Substanz des Apothekerberufs als eines Heilberufs aushöhlt und seinem Ansehen massiv schadet.

In dieser Situation darf kein Zweifel aufkommen, dass die Repräsentanten des Berufsstandes, Ehrenamtliche und gleichermaßen Hauptamtliche, in Gesprächen, in schriftlichen Stellungnahmen und Anhörterminen mit der gebotenen Deutlichkeit agieren.

Aktivitäten der ABDA bedürfen jedoch in jeder Phase, um gleichermaßen durchsetzungsstark und glaubwürdig zu sein, des berufspolitischen Resonanzbodens in den Gremien der Mitgliedsorganisationen und in der öffentlichen Diskussion mit der Basis. Die Annahme, erst bei Vorliegen eines Referentenentwurfs sei es erforderlich, eine berufsöffentliche Diskussion zu führen, bis dahin sei das Beraten hinter verschlossenen Türen das Gebot der Stunde, ist schlicht nicht nachvollziehbar und verrät mangelnden Mut und fehlende Argumentationskraft gegenüber der Basis. Die Annahmen, Behauptungen und Absichten, die sich aus dem Positionspapier ergeben, sind öffentlich und bedürfen daher auch der öffentlichen Diskussion und einer öffentlichen Replik, die insbesondere deutlich macht, dass Verbandsrepräsentanz und Basis nichts Unterschiedliches wollen. Besuche von hochgestellten Politikern in einzelnen Apotheken und der hierbei artikulierte verständliche Unmut der Basis darf nicht für die Behauptung herhalten, das Positionspapier des Ministeriums sei viel näher an der Basis und deren Interessen als deren gewählte Verbandsvertreter.

Nicht "das Schweigen der Lämmer" oder das Anschweigen der Lämmer ist das Gebot der Stunde, sondern das gemeinsame Agieren aller Apothekerorganisationen und deren legitimierender Basis. Mangelnder Mut wird seinen Preis haben!


Autor
Rechtsanwalt Dr. Johannes Pieck, Schumannstraße 23, 60325 Frankfurt a.M.



DAZ 2011, Nr. 23, S. 91

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