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Praxis
Calciumsubstitution bei Levothyroxin-Einnahme?
Die Schilddrüse ist für die Bildung von drei Hormonen zuständig. Das sind Triiodthyronin (= T3 = Liothyronin), Tetraiodthyronin (= T4 = L-Thyroxin = Levothyroxin) und das Calcitonin.
T3 und T4 sind stoffwechselsteuernde Hormone; Calcitonin ist ein Hormon, das den Calciumhaushalt beeinflusst [1].
Etwa 84% von T4 werden in unserem Körper zu T3 umgebaut, das eine kürzere Halbwertszeit als T4 hat. Dadurch wirkt T3 rascher aber stoßweise (Stoffwechseleffekte nach 6 bis 12 Stunden). Die Gabe von T4 zeigt dagegen erst nach 24 bis 48 Stunden Stoffwechseleffekte, so dass die Gabe von Levothyroxin eine ausgesprochen gleichmäßige Wirkung zur Folge hat [2]. Die Kontrolle der physiologischen T3- und T4-Produktion unterliegt dem hypophysären TSH-Regelkreis. Die Schilddrüsenhormone regulieren ihre eigene Sekretion aus der Schilddrüse im Sinne eines negativen Feedbacks: die Konzentration des peripheren Hormons im Blut beeinflusst die Ausschüttung von TSH aus der Hypophyse bzw. TRH (bzw. TRIH) aus dem Hypothalamus [1].
Problem Überdosierung
T3 wirkt auf folgende Vorgänge und Funktionen aktivierend: Glucose-, Fett-, Eiweiß-, Mineral- und Knochenstoffwechsel sowie Sauerstoffverbrauch, Wachstum und Reifung, Herz-, Kreislauf- und Gehirnfunktion sowie andere Hormone (Wechselwirkungen). Am erwachsenen Organismus erhöht es den Grundumsatz, vermindert die Glucosetoleranz, verstärkt adrenerge Erregungsmuster (vor allem auch am Herzen), erhöht den Triglycerid- und Fettsäurespiegel im Blut und senkt den Gesamtcholesterolspiegel. Des Weiteren übt T3 am wachsenden Organismus einen Wachstums- und Differenzierungseffekt aus, insbesondere auf Knochen und Zentralnervensystem [3].
Aus den oben aufgeführten Wirkungen des T3 lässt sich ablesen, dass eine Überdosierung von Levothyroxin zu einem erhöhten Knochenstoffwechsel führen kann. Eine seltene unerwünschte Arzneimittelwirkung (1 – 10 von 10.000) bei längerfristiger Überdosierung ist die Stimulation des Knochenstoffwechsels durch Aktivierung von Osteoblasten und Osteoklasten mit Erhöhung der Aktivität der alkalischen Phosphatase und leichter Erhöhung des Serumcalciumspiegels. Durch verminderte Calciumresorption und Hypercalciurie infolge gesteigerter glomerulärer Filtrationsrate kann sich eine negative Calciumbilanz mit Entwicklung einer Osteoporose ergeben. (Zitiert aus [2])
Die Hypothyreose kann in primäre Hypothyreosen (Ursache: Funktionsstörung in der Schilddrüse), sekundäre Hypothyreosen (Funktionsstörung in der Hypophyse) sowie tertiäre Hypothyreosen (Funktionsstörung im Hypothalamus) eingeteilt werden [4]. Die Verordnung von Levothyroxin kann aufgrund von verschiedensten Indikationen erfolgen [5] wie:
Schilddrüsenhormonsubstitution bei Hypothyreose jeglicher Genese
Prophylaxe einer Rezidivstruma nach Resektion einer Struma mit euthyreoter Funktionslage
benigne Struma euthyreoter Funktionslage
Begleittherapie bei thyreostatischer Behandlung einer Hyperthyreose nach Erreichen einer euthyreoten Funktionslage
Suppressions- und Substitutionstherapie bei Schilddrüsenmalignom, v. a. nach Thyreoidektomie
Der Calciumhaushalt
Am Calciumhaushalt sind drei verschiedene Hormone beteiligt. Parathormon (PTH) aus der Nebenschilddrüse, Calcitonin aus den C-Zellen der Schilddrüse und Calcitriol, das von den Nieren gebildet wird. Im Knochen antagonisiert Calcitonin unter physiologischen Bedingungen die Wirkungen des Parathormons. Calcitonin hemmt die Osteoklastentätigkeit und damit die Mobilisation von Calcium und Phosphat aus dem Knochen. Ferner wird die Calcitoninsekretion durch gastrointestinale Hormone nach Nahrungsaufnahme stimuliert, so dass mit der Nahrung aufgenommenes Calcium rasch in den Knochen eingebaut wird.
Da uns nicht bekannt ist, ob die Patientin Levothyroxin aufgrund einer Hypothyreose oder infolge einer Schilddrüsenresektion einnimmt, wäre es auch denkbar, dass durch die Entfernung großer Teile der Schilddrüse/Nebenschilddrüsen eine verminderte Produktion von Calcitonin und/oder Parathormon erfolgt. Die mögliche Folge wäre ein sekundärer Hypoparathyreodismus mit Effekten im Calciumhaushalt und möglichen negativen Auswirkungen auf das Skelettsystem. Deshalb sollte man die Patientin fragen, ob sie ihre Indikation für die Einnahme von Levothyroxin kennt.
Datenbank-Recherche
Die Durchforstung von verschiedenen Datenbanken auf die mögliche Nebenwirkung "Osteoporose" bei Einnahme von Levothyroxin lieferte folgende Ergebnisse: Die niederländische Datenbank LAREB, die seltene Nebenwirkungen von Arzneimitteln erfasst, berichtet von einem Osteoporosefall im Jahr 2006. Die Datenbank Drugdex diskutiert kontrovers einzelne Studien zur Nebenwirkung "Osteoporose" bei Levothyroxin-Einnahme. Die englische Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) berichtet in ihren Drug Analysis Prints (DAPs) von 56 Fällen muskuloskeletaler Nebenwirkungen bei Einnahme von Levothyroxin (Zeitraum 1. 7. 1963 – 13. 5. 2010). Darunter war ein Fall von Osteoporose.
Die S3-Leitlinie "Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei Erwachsenen" [6] führt als Risikofaktor für die Entwicklung einer Osteoporose Folgendes auf: "Subklinische und manifeste Hyperthyreose: Eine manifeste Hyperthyreose ist ein starkes Frakturrisiko für periphere Frakturen und Wirbelkörperfrakturen (relatives Risiko 2-3-fach). Aber auch bei TSH-Werten < 0,3 mU/l bei normalen T3- und T4-Werten (subklinische Hyperthyreose, z. B. im Rahmen einer Levothyroxin-Therapie) ist das Risiko für Frakturen stark erhöht (relatives Risiko 3- bis 4-fach). Aufgrund der noch eingeschränkten Studienlage erfolgt für die Gesamtfrakturprognose die Einbeziehung eines anhaltend erniedrigten TSH nur als mäßiger Risikofaktor."
Fazit
Die Nebenwirkung Osteoporose wird bei Einnahme von Levothyroxin kontrovers diskutiert. Für die Beratung der Patientin ist zum einen der Hinweis auf eine notwendige regelmäßige Kontrolle der Schilddrüsenhormone T3, T4 und des TSH wichtig, um auf jeden Fall eine Überdosierung des Levothyroxin mit erhöhtem Knochenumsatz auszuschließen. Zum anderen ist natürlich auch bei Schilddrüsenwerten im Normbereich eine Calcium- und Vitamin-D3-Substitution bei Frauen zu erwägen, die aufgrund von Ernährungsgewohnheiten (wenig Milchprodukte, calciumarme Mineralwässer und dadurch geringere Aufnahme als 1000 mg Calcium), geringe Sonnenlichtexposition, wenig Bewegung, Alter (Postmenopause), genetischer Vorbelastung oder einer entsprechenden Begleitmedikation (orale Glucocorticoide, Therapie mit Glitazonen) prädisponiert sind.
Die Antwort in Kürze
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Literatur[1] Thews, Mutschler, Vaupel; Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen; 9. Auflage; WVG Stuttgart; 2008[2] Müller-Oerlinghausen, Lasek, Düppenbecker, Munter (Hrsg.); Handbuch der unerwünschten Arzneimittelwirkungen; Urban Fischer; 1999[3] ABDA – Datenbank[4] Werning (Hrsg.); Medizin für Apotheker; 3 Auflage; WVG Stuttgart; 2007[5] Fachinformation L-Thyroxin Henning® (Stand: 02/2010)[6] http://leitlinien.net/; S3-AWMF-Leitlinie: Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei Erwachsenen (Stand: 10/2009)
Autorin
Apothekerin Sylvia Obermeier, Schwarzwald-Baar-Klinikum Villingen-Schwenningen GmbH, Vöhrenbacher Str. 23, 78050 Villingen-Schwenningen
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