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BPI: Politik muss Versorgungsdefizite angehen

BERLIN (ks). Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sieht auch nach den zu Jahresbeginn in Kraft getretenen Reformen im Arzneimittelmarkt dringenden Handlungsbedarf im Arzneimittelsektor: Beispielsweise müsse eine Liste von Indikationen und Wirkstoffen erstellt werden, bei denen ein Austausch in der Apotheke verboten ist. Das geplante Versorgungsgesetz sollte "Versorgung" nicht nur als Angelegenheit der Ärzte und Krankenhäuser verstehen – es dürfe auch die Versorgung mit Arzneimitteln nicht außer acht lassen, erklärte der BPI-Vorsitzende Dr. Bernd Wegener am 10. Mai in Berlin.
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Dr. Bernd Wegener: Versorgung darf nicht nur als Angelegenheit der Ärzte und Krankenhäuser verstanden werden.

Es sei eine Illusion, dass mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) die Arzneimittelversorgung zufriedenstellend geregelt wurde. Im letzten Jahr habe sich der Gesetzgeber vielmehr ausschließlich mit Erstattungsfragen beschäftigt, so Wegener. Tatsächlich gebe es weiterhin zahlreiche und schwerwiegende Versorgungsdefizite. Wo diese liegen, will der BPI der Öffentlichkeit und der Politik nun anhand einiger Problemfelder vor Augen führen.

Rabattverträge bei kritischen Indikationen

Höchst problematisch sind aus Sicht des BPI nach wie vor die Rabattverträge: In bestimmten Indikationen sei der Austausch von Präparaten während einer laufenden Behandlung äußerst kritisch. Bei einigen Anwendungsgebieten könnten bereits kleine Schwankungen im Wirkspiegel fatale Folgen haben – und derartige Schwankungen sind im Generikabereich keine Seltenheit. Schließlich darf die Bioverfügbarkeit eines Generikums zwischen 80 und 125 Prozent im Hinblick auf das Original betragen. Besonders kritische Wirkstoffe mit einer geringen therapeutischen Breite finden sich etwa in Medikamenten gegen Epilepsie, erläuterte die stellvertretende BPI-Hauptgeschäftsführerin Prof. Dr. Barbara Sickmüller. Aber auch Asthma, Depression, Diabetes und Parkinson gelten als "kritische Indikationen". Sie alle gehören für den BPI auf eine "Strikte Liste" von Indikationen und Wirkstoffen, bei denen der Austausch in der Apotheke verboten ist und die Verordnung nicht auf Wirtschaftlichkeit geprüft wird.

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Prof. Dr. Barbara Sickmüller: Eine "Strikte Liste" von Indikationen und Wirkstoffen, bei denen der Austausch in der Apotheke verboten ist, muss her.

Überdies fordert der BPI, die Schmerztherapie von der Wirtschaftlichkeitsprüfung auszunehmen. Grundsätzlich sollten Ärzte auch keinen Regress fürchten müssen, wenn sie neue Arzneimittel verordnen, für die eine Vereinbarung über den Erstattungspreis mit den Kassen besteht. Das Gleiche müsse bei Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen gelten.

OTC-Erstattungsliste und Kinderarzneimittel

Eine weitere Forderung betrifft die OTC-Erstattungsliste. Hier sei es nötig, schwere Fälle von Neurodermitis aufzunehmen. Derzeit bekommen Betroffene von der gesetzlichen Krankenversicherung nur verschreibungspflichtige Präparate mit Kortison erstattet – dringend nötig sei für sie aber eine Grundversorgung mit speziellen rückfettenden oder Urea-haltigen Produkten.

Darüber hinaus plädiert der BPI für eine konzertierte Aktion "Kinderarzneimittel" unter Leitung des Bundeskanzleramtes. Hier müsse man sich darüber klar werden, wie die Forschung verbessert werden kann. Wie sind etwa mehr Studien mit Kindern zu bewerkstelligen? Und wie sind die Eltern zu überzeugen, in solche Studien einzuwilligen?

G-BA besser kontrollieren

Heftige Kritik übt der BPI zudem am Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Hier werde "knallharte Klientelpolitik" gemacht, so Wegener. Kassen und Ärztevertreter einigten sich hier schnell zulasten Dritter und zumeist auch zulasten der Arzneimittelversorgung. Eine Überprüfung der Entscheidungen sei nahezu sinnlos, da bis zu einem abschließenden Urteil Monate vergehen könnten – in dieser Zeit habe die Realität längst Fakten geschaffen. Ein Vorschlag des BPI: Es sollte eine wissenschaftliche Schiedskommission eingerichtet werden, die den G-BA kontrolliert und von den Betroffenen – etwa von Selbsthilfegruppen, aber auch der pharmazeutischen Industrie – angerufen werden kann.

Dorn im Auge: Preismoratorium

Auch das Preismoratorium ist dem BPI ein Dorn im Auge. Hier müssen aus Sicht des Verbandes Ausnahmen möglich sein, wenn die Preise für Rohstoffe erheblich steigen. Als Beispiel führte Wegener Atropinsulfat an: ein Wirkstoff, der in Augentropfen enthalten ist, die in der augenärztlichen Praxis vielfach zur Anwendung kommen. Während man ein Kilo dieses Wirkstoffs 2009 noch für 760 Euro bekommen habe, liege der Preis heute bei rund 15.000 Euro. Der Grund: Nur noch ein Hersteller in China stellt den Wirkstoff heute GMP-gerecht her und nutzt seine Monopolstellung aus.

Reform der Zuzahlungsregelungen

Nicht zuletzt fordert der BPI eine Reform der Zuzahlungsregelungen. Die Regelung zur Zuzahlungsbefreiung für besonders günstige Generika habe die Preise auf den Boden der Kellertreppe geführt. Weitere Preissenkungen seien für die Hersteller nicht machbar. Nun ärgern sich die Patienten, wenn ihr Präparat wieder zuzahlungspflichtig wird – logisch nachvollziehen können sie dies nicht. Hier müsse die Politik nachbessern, meint Wegener: "Entweder Zuzahlung für alle oder für keinen". Denn der täglich gefühlte Ärger ende in der Apotheke – doch der Apotheker sei für die Höhe der Zuzahlung ebenso wenig zuständig wie die pharmazeutische Industrie.

Nun wird sich zeigen, ob die Forderungen des Verbandes in der Politik gehört und gegebenenfalls sogar Eingang ins Versorgungsgesetz finden werden. Vielleicht hätte ein Gesundheitsminister Daniel Bahr ein offeneres Ohr für den pharmazeutischen Mittelstand als Philipp Rösler?



DAZ 2011, Nr. 19, S. 18

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