Arzneimittel und Therapie

Megastudie zeigt neue Risikogenvariante für Depression

Familienuntersuchungen und Zwillingsstudien haben mehrfach einen Hinweis auf eine mögliche genetische Ursache der Major Depression, der klinisch relevanten Form der Depression mit schwerer Verlaufsform, gezeigt. Vielfach sind Untersuchungen mit dem Ziel durchgeführt worden, Risikogene für das Auftreten der Erkrankung zu identifizieren. Da jedoch auch andere Faktoren Ursache von Depressionen sein können, waren die Ergebnisse nicht eindeutig. In einer Megastudie konnte jetzt eine Genvariante nachgewiesen werden, die mit der schweren Verlaufsform assoziiert ist.

Nach dem US-amerikanischen Klassifikationssystem DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders)-IV wird die typische Depression mit schwerer Verlaufsform, früher auch endogene Depression, als Major Depression (MD) bezeichnet. Eine genetische Ursache für das Auftreten der Erkrankung ist vielfach vermutet worden. In Familienuntersuchungen waren 20% der Verwandten von depressiven Patienten ebenfalls depressiv, bei Nichtdepressiven hingegen nur etwa 5 bis 10%. Zwillingsstudien zeigten für eineiige Zwillinge 33 bis 92% depressive Störungen bei beiden Zwillingen, bei zweieiigen Zwillingen waren es maximal 23%.

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Wie wir mit Stress umgehen, könnte inden Genen liegen. Ein jetzt identifiziertesRisikogen für die Entwicklung einer Depression mit schwerer Verlaufsform könnte Zielstruktur neuer Antidepressiva sein.

Risikogen codiert für neuronales Transportprotein

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München entdeckten jetzt eine Risikogenvariante, die offensichtlich in direktem Zusammenhang mit dem Auftreten einer MD in Verbindung steht. Sie verglichen die Genome von insgesamt 4088 Patienten mit denen von 11.001 gesunden Kontrollpersonen. Auf Chromosom 12 konnten mehrere DNA-Sequenzänderungen (SNPs; single nucleotide polymorphisms) nachgewiesen werden, die lediglich den Austausch einzelner Basen betreffen. Diese SNPs führen zur Variation eines Gens, das für das neuronale Transportprotein SLC6A15 codiert. Dieses Eiweiß transportiert die Aminosäuren Prolin und Leucin in die neuronalen Synapsen im Gehirn und könnte somit an der Regulation des Neurotransmitters Glutamat beteiligt sein.

Zellen mit dem betroffenen Risikogen zeigten eine geringere Genaktivität, und bereits bei gesunden Trägern dieses Gens wurde in der Magnetresonanztomografie eine geringere Hirnaktivität gemessen als bei Probanden ohne Risikogen. So waren die neuronalen Marker N-Acetylaspartat und Glutamat reduziert. Auch morphologische Veränderungen bis zur Verkleinerung bestimmter Hirnregionen sind dann bei fortschreitender Erkrankung zu beobachten.

Als möglicher wichtiger Umweltfaktor für die Manifestation einer Depressionserkrankung gilt Stress oder aber mangelhafte Stressverarbeitung. Auch ein Zusammenwirken von Stress und veränderter Genaktivität konnte im Tierversuch nachgewiesen werden. Die SLC6A15-Aktivität im Gehirn von Mäusen mit erhöhter Stressanfälligkeit war deutlich geringer als bei Vergleichstieren mit hoher Stressresistenz. Diese durch Stress bedingte unterschiedliche Expression des Aminosäuretransporters soll Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Die Ergebnisse der Studie zeigen möglicherweise auch neue Optionen zur Therapie der schweren Depression auf. Trizyklische Antidepressiva können in Bakterien an ein ähnliches Transportermolekül binden und dessen Aktivität blockieren.


Quelle

Kohli, M.A.; et al.: The neuronal transporter gene SLC6A15 confers risk to major depression. Neuron 2011; 70(2): 252 – 265.

Max-Planck-Institut für Psychiatrie München: Neue Antidepressiva-Zielstruktur in Sicht? Pressemitteilung vom 27. April 2011.


Dr. Hans-Peter Hanssen

Zum Weiterlesen


Pharmakolo-logisch!

Die Depression – Von der Unerträglichkeit des Seins

DAZ 2010, Nr. 5, S. 62 – 95.




DAZ 2011, Nr. 18, S. 46

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