- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 11/2011
- Zwischen Kavaliersdelikt ...
DAZ aktuell
Zwischen Kavaliersdelikt und Lebensgefahr
Arzneimittelfälschungen, beziehungsweise die Furcht vor solchen, stellt einen wichtigen Teil des Beratungsbedarfes von Patienten dar, wie Sophie Lochner von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland schilderte. Aufgeschreckt durch entsprechende Medienberichte machen sich die Menschen Sorgen darum, ob sie wirksame Arzneimittel erhalten haben oder ob die Apotheke ihres Vertrauens betroffen ist. Besonders der kassenbedingte stete Wechsel der bekannten Packungen und die Abgabe von Reimporten verunsichert. Es kommen solche Argumente wie: "In der Apotheke erhalte ich oft umverpackte Arzneimittel, die teilweise zugeklebt sind. Zum Beispiel von Kohlpharma oder MPA-Pharma. Sind diese Arzneimittel echt und verlässlich?" Tatsächlich ist es – welcher Apotheker weiß das nicht – manchmal selbst für Fachleute erst auf den zweiten Blick zu erkennen, für welches Original der gelieferte Reimport steht. Diese Unsicherheit begleitet auch Urlauber. Wer in den Ferien dringend sein vergessenes Medikament braucht, steht vor der gleichen Frage. Vom Verdacht der Arzneimittelfälschung zu einer subjektiv empfundenen Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist es dann oft nur ein kleiner Schritt. Noch unsicherer fühlen sich die Konsumenten zum Teil bei Internetapotheken. Vor allem bewegt hier die Frage, woran deren Seriosität zu erkennen ist.
Die Dunkelziffer von Arzneimittelfälschungen, so Lochner, ist hoch. Denn viele Konsumenten, die sich möglichst billig über das Internet versorgen wollen oder die Anonymität des Bezugsweges schätzen, werden Opfer der Fälscher. Hier werde die Leistung der Unabhängigen Patientenberatung kaum genutzt. Vielfach würden die Kunden Fälschungen von Billigmedikamenten oder Lifestyle-Präparaten selbst als Kavaliersdelikt empfinden.
Wer hingegen Hilfe sucht, kann sich bei der gemeinnützigen Gesellschaft umfassend informieren. Sie gibt Informationsblätter heraus, das Versandapothekenregister des DIMDI oder den Ratschlag, bei begründetem Verdacht über die Apotheke eine Prüfung durch das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) zu veranlassen.
Der Arzneimittelberatungsdienst der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland – UPD ist zu erreichen über die Homepages www.upd-online.de und www.arzneimittelberatungsdienst.de sowie telefonisch unter 0351 4585049.
Alles nur Panikmache?
Einen guten Überblick über den Stellenwert von Arzneimittelfälschungen hat natürlicherweise das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker. Laut Dr. Mona Tawab vom ZL sind heute nach WHO-Berichten sieben bis zehn Prozent aller Arzneimittel weltweit gefälscht. Besonders betroffen sind Afrika, Asien, Lateinamerika und die Ex-UdSSR, wo bis zu zwei Drittel der Medikamente Falsifikate sind. In Deutschland ist es nicht ganz so dramatisch. Tawab nannte als Beispiel das Präparat Combivir, das in der legalen Vertriebskette als gefälschter Reimport auftauchte. Immerhin waren die Tabletten original. Solche Fälle von Packungsfälschungen sind seit 1996 nur 40 Mal vorgekommen; das Risiko für die Patienten ist dabei eher gering. Mit der 12. und 14. Novellierung des AMG ist inzwischen eine lückenlose Überwachung der legalen Vertriebswege und eine Erlaubnispflicht für Großhandelsbetriebe verankert worden. Zudem prüfen, als letzte Sicherheitsstufe, die Apotheken selbst jährlich fast sieben Millionen Arzneimittel.
Wo kommen dann die Arzneimittelfälschungen in Deutschland her? Ihr Einfallstor ist das Internet und das in erschreckendem Ausmaß. So beschlagnahmte der Zoll 2005 über 500.000 Stück Tabletten/Kapseln, 2009 waren es schon fünf Millionen, das Zehnfache! Testkäufe des ZL ergaben: Alle verschreibungspflichtigen Medikamente waren ohne Rezept zu bekommen, in keinem Testkauf erhielt man original in Deutschland zugelassene Präparate und etwa 50 bis 60 Prozent der bestellten Lifestylemedikamente waren gefälscht und hatten keinen oder zu wenig Wirkstoff. Dabei waren Original und Plagiat oftmals nicht voneinander zu unterscheiden.
Arznei-Schmuggel nimmt zu(dpa). Der Schmuggel von Anabolika und verbotenen Potenzpillen nimmt drastisch zu: Frankfurter Zollfahnder haben im vergangenen Jahr zehnmal so viele dieser Tabletten, Pulver und Ampullen sichergestellt wie im Jahr zuvor. Die Verfahren wegen Anabolikahandels sind binnen Jahresfrist um mehr als 500 Prozent auf 240 gestiegen, teilte das Zollfahndungsamt in Frankfurt mit. Auch die Menge des sichergestellten Rauschgifts lag mit 1307 Kilogramm um 20 Prozent über dem Vorjahresniveau – besonders stark war die Zunahme bei Haschisch. Das Zollfahndungsamt Frankfurt ist für Hessen, Rheinland-Pfalz, das Saarland sowie zwölf Kreise in Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Niedersachsen und Bayern zuständig. |
Wie die Industrie sich wehrt
Durch Fälschungen von Medikamenten entsteht nicht nur ein medizinischer, sondern auch ein immenser wirtschaftlicher Schaden. Mit der Abwendung desselben, sind in der Pharmaindustrie ganze Abteilungen beschäftigt. Im sogenannten Counterfeit Protection Management ist auch Dr. Stephan Schwarz bei Bayer tätig. Wie er referierte, wird dagegen eine fünffache Strategie nach dem Null-Toleranz-Prinzip aufgebaut. Erste Säule ist die enge Kooperation der Industrie mit Behörden (Polizei, Zoll, Aufsichtsorgane). Es folgt zweitens die Aufklärungsarbeit mit Mitteln der detektivischen Verfolgung, der dann im Erfolgsfall als dritter Schritt rechtliche Konsequenzen wie Beschlagnahmen, Strafanträge und zivilrechtliche Anklagen folgen.
Die vierte Säule sind eine Vielzahl technischer Maßnahmen, die die Fälschung erschweren. Hierzu zählen unsichtbare Bedruckungen von Packmitteln und Medikamenten, Marker in den Wirkstoff- und Hilfsstoff-Mischungen, fälschungssichere Packungsverschlüsse und Barcodekennzeichnungen. Der neueste Trend ist die Kodierung und Massenserialisierung. Diese neue Kodierungs- und Identifikationslösung sieht vor, dass jede einzelne Medikamentenpackung vor der Aushändigung an den Patienten anhand eines ID-Codes identifiziert wird. Dieser besteht aus einem speziellen Barcode mit einer eindeutigen Seriennummer und lässt sich vom Hersteller einfach fertigen und anbringen. Praktisch umgesetzt wird die Lösung mithilfe von Scannern, die den Code einlesen und an ein System weiterleiten, das dessen Einzigartigkeit kontrolliert. Erscheint eine Nummer doppelt, wird dies beim Scannen der Packung gemeldet und das System gibt eine Warnung aus. Der Mitarbeiter in der Apotheke kann dann die notwendigen Maßnahmen treffen und das Medikament sofort aus dem Sortiment nehmen.
Das fünfte Element der Abwehr aber ist die Aufklärung in allen verfügbaren Medien. Denn nur eine gut informierte Kundschaft kann sich so verhalten, dass es Fälscher schwer haben, ihre Ware an den Mann und die Frau zu bringen.
Fälschungen sicher erkennen
Zwar sind die Fälscher ihren Verfolgern immer einen Schritt voraus, doch hat sich auch im Bereich der Analytik einiges getan, wie Prof. Dr. Rudolph Kaiser vom Institut für Chromatographie in Bad Dürkheim berichtete. So arbeiteten bisher alle Methoden der stofflichen Analyse nacheinander und nebeneinander. Zwangsläufig ergeben sich dadurch unterschiedliche chemische und physikalische Analysenbedingungen, die zu Standardabweichungen von bis zu 15 Prozent führen.
Die neue Methode der Mikro-Planar-Chromatographie (µPLC) hat diese Schwachstelle nicht, da die Analyse mehrerer Präparate gleichzeitig erfolgt. Sie wurde gezielt zur Erkennung von Fälschungen entwickelt und kann in einem Analysenschritt prüfen, ob bis zu acht (optimal für vier) Präparate dem Original entsprechen oder nicht. Die Laufrichtung der Analysenproben ist konzentrisch und führt zu sich überlappenden oder getrennten Kreisbögen.
Neben der Genauigkeit und Schnelligkeit (Ergebnis in 15 bis 30 Minuten) ist die Methode wirtschaftlich hochattraktiv: Ein µ-PLC-Arbeitsplatz kostet etwa 2500 Euro gegenüber 100.000 Euro bei konventionellen Analysen-Arbeitsplätzen. Dennoch konnte sich diese Arbeitsweise bisher noch nicht offiziell durchsetzen. Noch immer sind die Methoden forensischer Analytik vorgeschrieben. Hier muss laut Prof. Kaiser umgedacht werden – immerhin könnte dank der µ-PLC-Methode jede Apotheke ein Zentrum für Fälschungsaufklärung werden.
Die Rolle des Arztes bei der Aufklärung
Ärzte sollten eigentlich eine Schlüsselrolle bei der Aufklärung der Patienten über Arzneimittelfälschungen einnehmen, meinte Prof. Dr. Roland Gugler von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Bislang aber gibt es weder Daten noch ein Meldesystem, das die Ärzteschaft in den Kampf gegen die Falsifikate mit einbezieht. Besonders gravierend ist dies in den Entwicklungsländern, wo besonders Antibiotika und Malariamittel von Fälschungen betroffen sind, was unmittelbar Menschenleben kosten kann. Bei uns hingegen sind es vor allem sogenannte Lifestyle-Produkte wie Erektionshilfen, Schlankheitspillen, Dopingmittel und Medikamente gegen Haarausfall, aber auch schon Grippemittel wie Tamiflu und Beruhigungsmittel werden gefälscht. Quelle der Präparate ist vorwiegend das Internet. Es bietet bei legalen Medikamenten den Vorteil einer raschen Lieferung bei ungünstiger Wohnlage oder Unbeweglichkeit des Patienten und eines niedrigeren Preises. Ein wesentlicher Aspekt ist nämlich die restriktive Verschreibungspraxis der Ärzte aufgrund der immer geiziger werdenden Kostenerstattung der Krankenkassen. Illegale Medikamente werden jedoch hauptsächlich aus einem anderen Grund online bestellt: Man traut sich bei Tabu-Beschwerden wie Erektionsstörungen oder Inkontinenz nicht, mit dem Arzt offen zu reden. Der Patient zweifelt an der Diskretion des Hausarztes, der Praxisassistentin oder des Apothekers. So kommt es auch, dass die Patienten keine Meldungen über eine ausgebliebene Wirkung oder Nebenwirkungen machen.
Für die Ausbildung eines guten Vertrauensverhältnisses zum Arzt spielt die Zeit eine große Rolle. Wie lange kennt man sich schon? Wie viel Zeit nimmt sich der Arzt für ein vertrauliches Gespräch, für die eingehende Untersuchung? Vielfach ist es hilfreich, wenn der Arzt von sich aus die genannten, schambelasteten Themen anspricht und Hilfe anbietet. Dazu gehört natürlich auch, entsprechende Informationen im Wartezimmer auszulegen. Insofern muss an die ärztlichen Standesvertretungen der Aufruf ergehen, den Bereich Arzneimittelfälschungen offensiv zu beackern, so Gugler,. Dazu gehören Umfragen, Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte und Patienten sowie die Erstellung von Infomaterial.
Arzneimittelfälschung – international verfolgt
Wie Holger Kriegeskorte vom Bundeskriminalamt anschließend berichtete, haben sich 40 Länder – darunter Deutschland – an einer internationalen Aktionswoche vom 5. bis zum 12. Oktober 2010 gegen den Handel mit gefälschten und nicht zugelassenen Arzneimitteln im Internet beteiligt. Ziel war es, massiv gegen die Anbieter dieser Produkte vorzugehen und gleichzeitig das Bewusstsein für die damit verbundenen Gesundheitsrisiken in der Bevölkerung zu schärfen. Im Rahmen der Aktion wurden weltweit Festnahmen durchgeführt und tausende potenziell schädlicher Arzneimittel sichergestellt. Mit ihrem Fokus auf Websites, über die illegale und gefährliche Arzneimittel vertrieben werden, ist die "Operation Pangea III" die bedeutendste Aktion zur Unterstützung der Internationalen Task-Force zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen (International Medical Products Anti-Counterfeiting Taskforce – IMPACT). Koordiniert wurde die Operation von Interpol, der Weltzollorganisatio, dem Ständigen Forum für internationale Arzneimittelkriminalität (Permanent Forum of International Pharmaceutical Crime – PFIPC), dem Netzwerk der europäischen Arzneimittelbehörden (Medicines Agencies Working Group of Enforcement Officers – HMA WGEO), der pharmazeutischen Industrie und der Internet-Zahlungsabwickler.
Die von Polizei, Zoll und Arzneimittelüberwachungsbehörden durchgeführte internationale Aktion wurde unterstützt von den drei hauptsächlich vom Internethandel betroffenen Unternehmensbereichen, nämlich den Internet-Serviceprovidern, den Online-Zahlungsabwicklern und den Paketdiensten. Durch die Recherchen des BKA konnten gegen die Betreiber verschiedener Seiten Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz initiiert und an die Strafverfolgungsbehörden der Länder abgegeben werden. Die Betreiber stehen im Verdacht, in Deutschland nicht zugelassene sowie gesundheitlich bedenkliche Arzneimittel vertrieben zu haben. Die Ermittlungen dauern noch an.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.