Gesundheitspolitik

Bundestag beschließt Versorgungsgesetz

Berlin (ks/jz). Der Bundestag hat am 1. Dezember den Gesetzentwurf zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (VStG) verabschiedet. An das Gesetz, das ursprünglich vor allem zum Ziel hatte, mehr Ärzte aufs Land zu locken und eine flächendeckende wohnortnahe medizinische Versorgung zu sichern, wurden im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine Reihe weiterer Regelungen angedockt. So enthält es beispielsweise eine Klarstellung zu den Rabattmöglichkeiten für im Direktvertrieb an Apotheken vertriebene Arzneimittel. Auch das ABDA/KBV-Konzept zur Arzneimittelversorgung ist aufgenommen worden – die Durchführung eines Modellprojektes ist damit gesichert.

"Mit dem Versorgungsstrukturgesetz ebnen wir den Weg zu einer langfristigen qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung. Wir sorgen dafür, dass Arztpraxen in Zukunft dort zu finden sein werden, wo die Menschen sie brauchen", sagte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) anlässlich der abschließenden Lesung im Bundestag. Er betonte, dass die Koalition "richtige Anreize" setze: "Mit Zwang werden Sie keine jungen Mediziner motivieren, sich auf dem Land niederzulassen".

Rabatte im Direktvertrieb

Zu den für Apotheken relevanten Neuregelungen zählt insbesondere die Klarstellung, dass Großhandelszuschläge nach der Arzneimittelpreisverordnung – einschließlich der Vorschriften zur Rabattgewährung an Apotheken – auch im Direktvertrieb gelten. Im kommenden Jahr wird die Großhandelsvergütung auf einen Fix- und einen prozentualen Zuschlag umgestellt, wobei künftig nur letzterer für Rabatte ausgeschöpft werden kann. Die mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz beschlossene Umstellung führte zu Irritationen, inwiefern die pharmazeutischen Unternehmen, die ihre Produkte direkt vertreiben, Rabatte an Apotheken gewähren dürfen. Nun hat der Gesetzgeber durch eine Ergänzung in § 78 Abs. 1 AMG für eine Klarstellung gesorgt: Die Preisvorschriften für den Großhandel gelten demnach auch für pharmazeutische Unternehmer, die Großhandel mit Arzneimitteln im Sinne des § 4 Abs. 22 AMG betreiben. Damit ist das Gewähren von Rabatten auf den fixen Großhandelszuschlag von 70 Cent pro Packung unzulässig, wenn der Hersteller gegenüber dem Apotheker als Großhändler auftritt. Bei der Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels an eine Apotheke mit Großhandelserlaubnis kommt es darauf an, ob die Apotheke dieses Medikament ihrerseits tatsächlich an Dritte abgibt. Erfolgt die Abgabe direkt an den Verbraucher, übt die Apotheke ihre Großhandelsfunktion nicht aus, mit der Folge, dass auch hier der Fixzuschlag für einen Rabatt tabu ist.

ABDA/KBV-Modell

Eine weitere nächste Neuregelung ist der neue Paragraf § 64a SGB V: Dieser ermöglicht der Selbstverwaltung von Kassen, Apothekern und Ärzten auf Landesebene die Durchführung eines "Modellvorhabens zur Verbesserung der Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung" Grundlage für die Verordnung von Arzneimitteln ist dabei ein von den Vertragspartnern zu vereinbarender leitliniengerechter Medikationskatalog auf Wirkstoffbasis. Für chronisch Kranke, die mindestens fünf Arzneimittel dauerhaft einnehmen, kann auch ein Medikationsmanagement beschlossen werden. Wenn durch das Modell Einsparungen für die gesetzlichen Kassen erreicht werden, sollen davon auch Ärzte und Apotheker profitieren. Überschüsse sind in Teilen an sie weiterzuleiten; für die Kassen soll Kostenneutralität gewährleistet bleiben. Das Modellprojekt ist wissenschaftlich zu evaluieren, um seinen Erfolg "nachweisen zu können und um Erkenntnisse für eine spätere flächendeckende Umsetzung zu gewinnen", heißt es in der Begründung. Nicht zuletzt sieht die gesetzliche Neuregelung vor, dass das Schiedsamt eine Entscheidung trifft, wenn sich die Beteiligten nicht auf ein Modellprojekt einigen können.

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Jens Spahn, nannte das Modellvorhaben als Beispiel dafür, dass das VStG zu einer stärkeren Verzahnung aller Gesundheitsberufe führe: Die Einführung des Medikationskataloges werde zu einer besseren Abstimmung zwischen Arzt und Apotheker führen und dafür sorgen, dass Patienten ihre Medikamente ohne Ängste einnehmen können. Um das Konzept zu erproben, habe man sich bewusst für ein Modell entschieden.

OTC als Satzungsleistung

Eine weitere Neuerung sieht das VStG im Bereich der Satzungsleistungen vor. Künftig sollen Krankenkassen die Versorgung ihrer Versicherten mit verschreibungsfreien apothekenpflichtige Arzneimitteln als Satzungsleistung anbieten. Während OTC-Hersteller hoffen, dass es Kassen geben wird, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden, war von Kassenseite bislang kein Interesse hieran auszumachen.

Oppositionskritik

Während der mehr als eineinhalbstündigen Debatte gab es von Oppositionsseite wie erwartet deutliche Kritik. Je schlechter ein Gesetz, desto mehr Änderungsanträge seien nötig, merkte Marlies Volkmer (SPD) an, und verwies damit auf die 125 eingebrachten Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen. Auch die Anhörung war ihr zufolge ein klares Zeichen: Dort habe es "Watschen von allen Seiten" gegeben. Das Gesetz verändere – auch wenn sein Name es verspreche – jedenfalls keine Strukturen. Das Problem der Unter- und Überversorgung könne durch die vorgesehenen finanziellen Anreize nicht gelöst werden.

Das sieht auch ihr Fraktionskollege Dr. Karl Lauterbach so. Er warf der FDP außerdem vor, ihre Gesundheitspolitik sei geprägt von Lobbyismus – dieser sei der Partei "wichtiger als der Wettbewerb". Der Bundesgesundheitsminister sei vor den Lobbyisten der Kassenärztlichen Vereinigungen "eingeknickt": So habe er – obwohl dies für eine Lösung des bestehenden Fehlversorgungsproblems nötig gewesen wäre – beispielsweise nicht geregelt, leer stehende Praxen in überversorgten Bereichen aufzukaufen und Praxen im ländlichen Bereich zu eröffnen, weil die Lobbyisten der Kassenärztlichen Vereinigung ihm dies "nicht erlaubt" hätten.

Auch für Dr. Martina Bunge (Linke) ist der Gesetzesentwurf "alles andere als ein großer Wurf". Ihr zufolge ist das Beste an dem Gesetz, dass es "keinen bleibenden Schaden verursacht". Es führe zu Mehrkosten in unkalkulierbarer Höhe und bringe zusätzliches Geld dahin, wo die meisten Ärzte sind, aber nicht dahin, "wo der Bedarf am größten ist". Erneut forderte sie wirtschaftliche Basiszahlen, um eine bedarfsgerechte und sektorübergreifende Planung zu ermöglichen. So sah es auch Dr. Harald Terpe (Grüne), der von einer "dreisten Umverteilung" finanzieller Mittel sprach. Für ihn ist das VStG zu sehr auf Ärzte fixiert: "Nichtärztliche Heilberufe sucht man nahezu vergeblich."

Nächste Station für das VStG ist der Bundesrat am 16. Dezember. Zustimmungspflichtig ist das Gesetz nicht. Am 1. Januar 2012 soll es in weiten Teilen in Kraft treten.



AZ 2011, Nr. 49, S. 1

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