Arzneimittel und Therapie

Multimodale Behandlung als neues Therapiekonzept

Wie Trendforscher prognostizieren, werden die Gesellschaften in Ländern mit hoher Lebenserwartung schon bald mit erheblichen Herausforderungen durch die hohe Anzahl kognitiv beeinträchtig-ter Menschen zu kämpfen haben, wenn es keine effektive Therapien zur Verhinderung oder Behandlung von Alzheimer und verwandten Demenzen gibt. Nach Schätzungen werden sich die Demenz-Prävalenzraten innerhalb eines Geburtenjahrgangs ab dem 65. Lebensjahr alle fünf Jahre verdoppeln. Neue und innovative Konzepte für die Demenztherapie sind daher unabdingbar.

Die meisten therapeutischen Ansätze zur Behandlung von Demenz-Erkrankungen basieren derzeit auf der Amyloid β (Aβ) Hypothese, nach der eine Anhäufung von Aβ-Peptiden die Ursache der Alzheimer-Krankheit darstellt. Pharmakologisches Ziel ist daher die Unterdrückung der endoproteolytischen Spaltung des Vorläuferproteins APP (Amyloid Precursor Protein) durch γ-Sekretase, die zur Bildung des neurotoxischen Aβ-Peptids führt. Seit Kurzem liegen nun die Ergebnisse der ersten Studie mit dem nicht-steroidalen Antiphlogistikum Tarenflurbil zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit vor. Der γ-Sekretase-Modulator Tarenflurbil ist das rechtsdrehende Enantiomer von Flurbiprofen. Vertreter dieser neuen Arzneistoffklasse sollen die γ-Sekretase nicht inhibieren, da dies auf anderen Wegen zu toxikologisch relevanten Ereignissen führen könnte, sondern deren Enzymaktivität vielmehr so verändern, dass kurzkettige und damit weniger neurotoxische Peptide entstehen. Die jetzt vorliegende Studie beschränkt sich auf Patienten mit milden Formen der Alzheimer-Krankheit und stellt die bisher größte Studie zur Behandlung dieses frühen Krankheitsstadiums dar. Obwohl der 18-monatige Follow-up-Zeitraum statistisch ausreichend gewesen wäre, um Unterschiede in den Krankheitsverläufen mit Placebovergleich zu detektieren, konnte keine Verzögerung der Krankheitsprogression durch Tarenflurbil beobachtet werden. Trotz nachgewiesener Wirksamkeit bei der Überproduktion von zerebralen Aβ-Peptiden in transgenen Mäusen war es nicht möglich, eine klinisch relevante Veränderung des Krankheitsverlaufs bei Alzheimerpatienten zu erzielen.

Wecken Tiermodelle falsche Hoffnungen?

Die möglichen Gründe für das negative Studienergebnis sind vielfältig. Beispielsweise ist es durchaus vorstellbar, dass es gar nicht zu der gewünschten Verschiebung der Peptidspaltung hin zu kürzeren Peptiden kommt, denn diesbezüglich liegen bislang lediglich auf Mausexperimenten basierende Erwartungen, jedoch keine zuverlässigen Daten vor. Eine weitere mögliche Erklärung wäre, dass eine Beeinflussung der Aβ-Peptid-Bildung nur in sehr frühen Krankheitsstadien – eventuell noch vor einer klinischen Manifestation – wirksam ist. Diese Hypothese könnte theoretisch in Präventionsstudien geklärt werden, allerdings stehen hierfür derzeit keine adäquaten Biomarker bzw. Surrogatparameter zur Verfügung. Darüber hinaus wäre zudem denkbar, dass die gängigen tierexperimentellen Modelle zur Erforschung der Alzheimer-Krankheit die komplexen Ursachen von kognitiven Störungen und Demenz nur unzureichend wiederspiegeln und infolgedessen falsche Hoffnungen geweckt haben.

Vaskulär bedingte Demenz bislang vernachlässigt

Anhand von postmortalen Gehirnautopsien konnte wiederholt gezeigt werden, dass neben einer Demenz vom Alzheimertyp auch vaskuläre Hirnschädigungen ursächlich für ein Demenzsyndrom sein können. Lange Zeit war sich die klinische Forschung der Problematik dieser Co-Morbidität gar nicht bewusst war. Daher existiert heute eine Vielzahl von Studien, die auf klinischen Parametern basieren, die für die Erkennung der Alzheimer-Krankheit ausgezeichnet geeignet sind, möglicherweise parallel auftretende vaskulär bedingte Hirnschädigungen jedoch nicht berücksichtigen. Zwar bereitet diese Konvergenz verschiedener Krankheitsprozesse in klinischen Studien gewisse Schwierigkeiten, zugleich ergeben sich daraus aber auch vielfältige Möglichkeiten neue Behandlungs- und Präventionsstrategien zu entwickeln. So legen verschiedene Beobachtungsstudien und erste klinische Untersuchungen nahe, dass gerade die mit Kreislauf-Erkrankungen assoziierten Demenz-Risikofaktoren am leichtesten positiv beeinflusst werden können.

Leptin reduziert das Alzheimer-Risiko

Eine jüngst veröffentlichte prospektive Langzeitstudie brachte beispielsweise höhere Leptin-Plasmakonzentrationen mit einem reduzierten Alzheimer-Risiko in Verbindung. Leptin ist ein Peptidhormon, das hauptsächlich von den Fettzellen (Adipozyten) abgegeben wird und an der Steuerung von Hunger- und Sättigungsgefühl beteiligt ist. Deskriptive Studien haben gezeigt, dass Fettleibigkeit – mit der in der Regel eine erhöhten Leptin-Sekretion einhergeht – im mittleren Lebensalter zu einer Erhöhung des Alzheimer-Risikos führt, wohingegen im höheren Lebensalter das Gegenteil der Fall zu sein scheint. Die Autoren der Studie verweisen auch auf wichtige Erkenntnisse aus tierexperimentellen Studien, die darauf hindeuten, dass Leptin direkte Auswirkungen auf die Gehirnfunktion und den Aβ-Peptid-Stoffwechsel haben könnte. Ob es sich dabei allerdings wirklich um eine neue, von etablierten neurodegenerativen oder vaskulären Risikofaktoren unabhängige Einflussgröße für die Hirnfunktion im fortgeschrittenen Lebensalter handelt, bleibt abzuwarten. Unabhängig davon, resultiert aus den genannten Studienergebnissen die Hoffnung, mit Leptin einen neuen, routinetauglichen Biomarker für Demenz-Erkrankungen etablieren zu können.

Suche nach peripheren Biomarkern

Bei der Suche nach geeigneten Biomarkern fokussierte sich die Forschung bislang weitgehend auf den Nachweis des abnormalen Metabolismus von Aβ-Peptiden durch Positronen-Emissions-Tomographie oder auf die Quantifizierung eines bestimmten Aβ-Peptids im Liquor. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass diese komplexen und kostspieligen Methoden Millionen von betroffenen Patienten routinemäßig zur Verfügung gestellt werden können. Allerdings blieb die Suche nach alternativen peripheren Biomarkern für Alzheimer bis heute entweder erfolglos oder diese müssen erst noch validiert werden. Die Validierung ist demnach auch im Hinblick auf die Verwendung der Leptin-Plasmakonzentration als Biomarker der nächste entscheidende Schritt. Angesichts der komplexen Ätiologie der Alzheimer-Krankheit und anderer Altersdemenzen scheint eine gewisse Skepsis angebracht, ob ein einziger peripherer Biomarker für eine Beurteilung des Krankheitsverlaufs ausreicht. Sollten sich die Ergebnisse der Studie allerdings bestätigen, wäre dies ein gewichtiges Argument dafür, die Rolle von Leptin in den frühen Stadien der Neurodegeneration weiter zu erforschen. Zudem könnte ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen hoher Leptin-Konzentration und einem reduzierten Alzheimer-Risiko weitere Einblicke in die komplexen Prozesse der altersbedingten Demenz eröffnen.

Multimodaler Ansatz wünschenswert

Die negativen Ergebnis für den vormals viel versprechenden γ-Sekretase-Modulator Tarenflurbil in einer Phase-III-Studie und der überraschend eindeutige Zusammenhang zwischen Leptin-Plasmaspiegeln und Alzheimer-Inzidenz unterstreichen die Notwendigkeit, den Blick auf mögliche therapeutische Ansätze zur Behandlung kognitiver Störungen und Demenz bei älteren Menschen zu erweitern. Dies erfordert ein tieferes Verständnis der Zusammenhänge zwischen Alzheimer- und Gefäßerkrankungen sowie die Anwendung von Biomarkern und anderen Surrogatparametern in klinischen Studien zur Quantifizierung von spezifischen pharmakologischen Wirkungen, um so zu einem multimodalen Ansatz für die Prävention und Behandlung von Demenzerkrankungen zu gelangen.


Quellen

Green R.C., et al.: Effect of Tarenflurbil on Cognitive Decline and Activities of Daily Living in Patients With Mild Alzheimer Disease: A Randomized Controlled Trial. J. Am. Med. Assoc. (2009) 302, 2557-2564.

Lieb W., et al.: Association of Plasma Leptin Levels With Incident Alzheimer Disease and MRI Measures of Brain Aging. J. Am. Med. Assoc. (2009) 302, 2565-2572.

Montine T.J., et al.: Late- Life Dementias. J. Am. Med. Assoc. (2009) 302, 2593-2594.


Apotheker Dr. Andreas Ziegler

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