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"Warum gibt es mehr Apotheken als Bäcker?"

BERLIN (ks). Immer mehr Kassen nehmen von ihren Versicherten Zusatzbeiträge. Wie immer bei steigenden Ausgaben, werden vor allem die Arzneimittel als Kostentreiber in den Blick genommen. Wir sprachen mit Dr. Stefan Etgeton, Leiter des Fachbereichs Gesundheit und Ernährung beim Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv), über Einsparpotenziale und schwarz-gelbe Apothekenpolitik. Das Interview führte DAZ-Korrespondentin Kirsten Sucker-Sket, Berlin.
Dr. Stefan Etgeton
Foto: Alex Schelbert

DAZ: Die Zusatzbeiträge sind in aller Munde. Opposition und Kassen fordern von der Regierung, durch Eingriffe in die Ausgabenseite – vornehmlich im Arzneimittelbereich – gegenzusteuern. Wo sollte man Ihrer Meinung nach ansetzen, um Zusatzbeiträge zu vermeiden?

 

Etgeton: Bei inzwischen über 170 Mrd. Euro, die die gesetzliche Krankenversicherung jährlich ausgibt, gibt es natürlich Effizienzreserven – auch im Arzneimittelbereich, dem zweitgrößten Ausgabenblock. Diesen wird man sich auf allen Stufen der Wertschöpfungskette ansehen müssen: beginnend bei den Arzneimittelherstellern, über den Großhandel bis hin zu den Apotheken. So muss man insbesondere bei den patentgeschützten Arzneimitteln schauen, was man tun kann, damit das, was wir bezahlen, in einem besseren Verhältnis zum Nutzen steht. Das ist keine triviale Angelegenheit, da wir den schnellen Zugang zu neuen Medikamenten in Deutschland auch sehr schätzen. Aber man muss auch den Anteil des Großhandels und der Apotheken betrachten. Die Apotheken sollen nach der kürzlich ergangenen Entscheidung der Schiedsstelle nun einen geringeren Rabatt an die gesetzlichen Kassen zahlen. Da muss man sich schon fragen: Warum sollen die Apotheken einen höheren Aufschlag bekommen? Darüber finanzieren wir die mehr als 20.000 Apotheken – aber brauchen wir so viele? Etliche Verbraucher fragen sich schon: Warum sind in meiner Gegend mehr Apotheken als Bäcker?

DAZ: Finden Sie es da überhaupt sinnvoll, wenn Apotheker und Kassen über die Höhe des Kassenabschlags immer wieder verhandeln sollen?

 

Etgeton: Nein, das könnte auch der Gesetzgeber festlegen. Damit hätte ich kein Problem. Es ist auch eine politische Frage, wie weit man Apotheken unter einen stärkeren ökonomischen Druck setzen und an den anstehenden Einsparungen beteiligen will. Auch wenn die Apotheker das nicht gerne hören werden: Ich denke, auch die Apothekerschaft wird ihren Beitrag zu leisten haben.

DAZ: Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, hat behauptet, durch eine entsprechende Absenkung des Fixzuschlages könne das Fonds-Defizit bereits ausgeglichen werden. Stimmen Sie dem zu?

 

Etgeton: Das glaube ich nicht. Wir reden über eine Finanzlücke von 3 bis 4 Mrd. Euro im Gesundheitsfonds. Was wir im Arzneimittelbereich – und insbesondere bei den Apotheken – sparen können, reicht nicht, um die Zusatzbeiträge vollständig zu kompensieren. Zwar nennt der Arzneimittelreport solche ambitionierten Summen, aber das sind Potenziale – und die lassen sich nicht immer ganz realisieren. Man wird auch bei den Krankenhäusern nach Einsparmöglichkeiten suchen müssen. Ebenso bei den Ärzten. Hier müssen wir zu einer stärker qualitätsorientierten Vergütung kommen.

DAZ: Für Einsparungen sollen auch Rabattverträge zwischen Kassen und Generikaherstellern sorgen. Die Apotheker sehen diese noch immer kritisch. Wie stehen Sie zu den Verträgen?

 

Etgeton: Im Generikabereich haben sie noch einmal etwas Luft rausgeholt – auch wenn man nicht genau weiß, wie hoch der Nettoertrag nach Abzug aller Kosten letztlich ist. Problematisch ist aus meiner Sicht, wenn es in einen Off-Label-Use geht, also Präparate für Indikationen unter Rabattvertrag stehen, für die sie keine Zulassung haben. Da schlittern die Beteiligten in ein gewisses Haftungsrisiko. Zudem: Kassen haben einen solchen Off-Label-Use immer kritisiert – das sollte zum Nachdenken auffordern.

DAZ: Halten Sie es für besser, wenn die Kassen mit mehreren Herstellern pro Wirkstoff einen Rabattvertrag schließen?

 

Etgeton: Für die Patienten ist es natürlich besser, wenn sie mehr Auswahl haben. Aber wenn man Rabatte verhandelt, bedeutet das auch eine gewisse Einschränkung. Dass da mal die Farbe eines Präparates wechselt, werden Patienten vermutlich akzeptieren müssen. Aber ich denke, es ist sehr wohl ein Unterschied aus Patientensicht, ob ein Medikament noch einmal zerteilt werden muss oder nicht. Das ist eine zusätzliche Belastung im Hinblick auf die Compliance – das fordert am Ende auch seinen Preis, und zwar auch ökonomisch. Ehrlich gesagt: Eine Lösung habe ich für all das nicht. Wie will man einen Markt mit so vielen Stellschrauben, auf dem Hersteller alle zwei Wochen die Preise ändern und mit Packungsgrößen und Indikationen jonglieren können, stringent wettbewerblich organisieren?

DAZ: Was sagen Sie zu dem Vorschlag, Patienten eine Mehrzahlung zu ermöglichen, wenn sie statt des Rabattarzneimittels lieber weiterhin ihr bewährtes Medikament bekommen möchten?

 

Etgeton: Dass das heute nicht möglich ist, verstehen viele nicht. Das kann ich nachvollziehen. Aber ich habe Sorge, dass irgendwann die freie Auswahl zu einer Frage des Portemonnaies wird – auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man medizinische Leistungen auf einen Grundstandard reduziert, und die Menschen darüber Hinausgehendes selbst zahlen lässt. Meine Befürchtung ist, dass dies das Einstiegstor ist für Leistungen, die eigentlich nicht notwendig sind, sondern dem Patienten über Mehrkostenregelungen aufgeschwatzt werden. Vor allem, wenn man hierdurch den Ausstieg aus dem Sachleistungssystem vorbereiten würde.

DAZ: Union und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Pick-up-Stellen von Versandapotheken zu verbieten. Finden Sie ein solches Verbot richtig?

 

Etgeton: Es ist richtig, die Pick-up-Stellen unter die Lupe zu nehmen. Ich teile nicht die Auffassung, dass es egal ist, wie viele Glieder eine Vertriebskette hat. Jedes Glied ist ein zusätzliches Risiko und muss kontrolliert werden. Daher sollte man ihre Zahl möglichst klein halten. Das kann aber nicht bedeuten, dass man den Versandhandel generell verbietet oder auf OTC beschränkt – aber das sieht der Koalitionsvertrag auch nicht vor. Nun bin ich gespannt, ob es eine verfassungsrechtlich saubere Lösung für das Problem der Pick-up-Stellen gibt. Selbst in der Apothekerschaft hat man behauptet, ein Verbot sei nicht möglich – als man das Ziel verfolgt hat, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu verbieten. Was wirklich geht, muss jetzt geprüft werden. Noch sehe ich aber nicht die große Gefahr durch Pick-up-Stellen – wir haben ja noch nicht den Arzneimittelautomaten und die Tankstelle, die Arzneimittel ausgibt.

DAZ: Letztere jedenfalls nicht mehr …

 

Etgeton: Ja, wozu auch – was will ich mit dem Versandhandel, wenn ich das Medikament dann doch irgendwo abholen soll, dann kann ich gleich in die Apotheke gehen.

DAZ: Im Koalitionsvertrag bekennen sich Union und FDP zudem zum Fremd- und Mehrbesitzverbot. Wie stehen Sie dazu?

 

Etgeton: Die Aussagen sind eindeutig und klären die Sachlage. Denn durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs war der Ball ein Stück weit auf die nationale Ebene zurückgespielt worden. Es war auch zu erwarten, dass man an das Thema nicht rangehen wird. Wenn man aber den Weg, mehr Wettbewerb in den Arzneimittelvertrieb zu bringen und hierdurch Effizienzreserven zu erschließen, nicht geht, sondern am stark geordneten freiberuflichen Konzept festhält, ist die nächste Frage, ob man möglicherweise an der Vergütungsschraube drehen muss. Denn man muss gucken: Was kostet uns dieser Vertriebsweg und wo sind da Einsparmöglichkeiten? Ich betone noch einmal: Die Frage, warum es mehr Apotheken als Bäcker gibt, ist ja durchaus berechtigt.

DAZ: Glauben Sie, die Apotheker können den nächsten vier Jahren gelassen entgegensehen?

 

Etgeton: Zurücklehnen können sie sich sicher nicht. Sie müssen zum einen weiter an dem Thema Beratung arbeiten. Wir sehen ja an den immer wieder stattfindenden Tests der Stiftung Warentest, dass es keine wirkliche Tendenz zur Verbesserung gibt. Obwohl ich weiß, dass die Apothekerschaft eine Menge tut. Offenbar muss man mit diesen intensiven Bemühungen aber weiter fortfahren. Zum anderen wird auf die Apotheker die Frage zukommen, was ihr Beitrag zur Konsolidierung des Gesundheitssystems ist. Da werden sie einen Vorschlag unterbreiten müssen. Sich gegenseitig, wie kürzlich mit den Krankenkassen, den Schwarzen Peter zuzuschieben, hilft nicht weiter. Das positive an den Freien Berufen mit ihren standesrechtlichen Organisationen ist ja auch, dass sie Verantwortung für das Ganze übernehmen. Da erwarte ich, dass sie nicht nur Partikularinteressen vertreten.

DAZ: Herr Etgeton, wir danken Ihnen für das Gespräch. 

Zum Weiterlesen


DAZ-Interview mit Stefan Etgeton

"Das Ethos muss auch gelebt werden"

DAZ 2006; Nr. 38, S. 22 ff

www.deutsche-apotheker-zeitung.de

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