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Das Ethos muss auch gelebt werden (DAZ-Interview)

BERLIN (ks). Immer wieder haben sich Verbraucherschützer zu Wort gemeldet, als es darum ging, die Apothekenstruktur Deutschlands aufzubrechen, sei es bei den Arzneimittelpreisen und beim Versandhandel, sei es beim jüngsten Versuch der niederländischen Versandapotheke DocMorris, das Fremd- und Mehrbesitzverbot zu kippen. Grund genug, mit dem Referent für Gesundheit beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, Dr. Stefan Etgeton, zu sprechen, wie er die deutsche Apotheke sieht, was er von ihr erwartet und wie sie in Zukunft aufgestellt sein sollte. Das Gespräch führte unsere Berliner Korrespondentin Kirsten Sucker.

DAZ:

Das Verwaltungsgericht Saarlouis hat in der vergangenen Woche entschieden, dass die Saarbrücker DocMorris-Filiale vorläufig geschlossen werden muss. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sieht dadurch den Wettbewerb im Apothekenmarkt ausgebremst – zum Nachteil der Verbraucher. Sehen Sie das auch so?

Etgeton:

Wenn damit eine grundsätzliche Entscheidung getroffen würde, dass in Deutschland nur die klassische Offizin–apotheke tätig sein dürfte, dann wäre das problematisch. Ich gehe aber davon aus, dass in der Hauptsache der Europäische Gerichtshof entscheiden wird. Wir haben es mit dem Rechtskonflikt zu tun, dass einerseits europaweite Niederlassungsfreiheit gelten soll und wir auf der anderen Seite einen regulierten Arzneimittelvertrieb in Deutschland haben, der bestimmte Gesellschaftsformen für den Apothekenbetrieb ausschließt. Ich bin sehr gespannt, wie die Diskussion dazu laufen wird.

Dabei gibt es zwei Güter, die gegeneinander abzuwägen sind. Einerseits ist mehr Wettbewerb wünschenswert, andererseits darf dieser nicht so weit gehen, das die Arzneimittelversorgung in bestimmten ländlichen Regionen nicht mehr sichergestellt ist. Am Beginn der Auseinandersetzung steht jedenfalls das Erstaunen, dass die Freigabe der Arzneimittelpreise im verschreibungsfreien Bereich zu relativ wenigen Preisunterschieden geführt hat. Das könnte sich ändern, wenn in der Arzneimitteldistribution mehr Vielfalt möglich wird. Auch könnte es dem Versicherten nutzen, wenn eine Apotheke wie DocMorris Rabattverträge mit Krankenkassen schließt. Zudem leisten wir uns ein gutes, aber auch relativ aufwändiges und teures System des Arzneimittelvertriebes mit starken Regulierungen. Wir haben offenbar so viel Geld, dass ich von meiner Wohnung im Zentrum von Berlin aus innerhalb von fünf Minuten Fußweg vier Apotheken erreichen kann. Und für diese Überversorgung zahlen wir! Da muss man sich schon einmal überlegen, ob uns dieser Preis wirklich in entsprechend höherer Sicherheit zurückgegeben wird, oder ob es hier um die Absicherung von freiberuflichen Existenzen geht. Auch das ist ein Wert – aber nicht unbedingt die Aufgabe der Krankenversicherung. DAZ: Aber wenn es weniger Apotheken gäbe, würden die Menschen doch nicht weniger Arzneimittel verordnet bekommen, der Kuchen würde nur anders verteilt. Wieso sollte es dann für den Verbraucher günstiger werden?

Etgeton:

Offensichtlich rechnet es sich doch betriebswirtschaftlich, diesen hohen Versorgungsgrad aufrecht zu erhalten. Ich gehe davon aus, dass das überwiegende Geschäft immer noch mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gemacht wird, das heißt, für jede zu Lasten der Krankenkasse abgegebene Arzneimittelpackung bekommt die Apotheke 8,10 Euro – und damit werden alle Betriebskosten finanziert. Das zahlen die Krankenkassen und damit die Versicherten. Wenn es weniger Apotheken gäbe, könnte dieses Fixhonorar sinken. DAZ: Sie sehen also eine Überversorgung in Deutschland, die durch die Zulassung von Fremd- und Mehrbesitz abgebaut werden könnte?

Etgeton:

Grundsätzlich ja – jedenfalls in den Metropolen. Das Problem ist aber, dass der Wettbewerb allein nicht geeignet ist, um die Versorgung sicherzustellen. In ländlichen Regionen besteht eher die Gefahr, dass es zur Unterversorgung kommen kann, wenn man den Apothekenmarkt rein dem Wettbewerb überlässt – so ist es beispielsweise bei den Postfilialen geschehen. Dann könnte es dazu kommen, dass es Arzneimittel nur noch in der Apothekensparte im Supermarkt gibt – auch wenn das nicht mein Modell wäre. Weil das aber passieren könnte, gibt es durchaus ein Interesse zu sagen, die Arzneimittelversorgung muss sichergestellt sein. Auf der anderen Seite hat diese Sicherstellung dazu geführt, dass es erhebliche Bereiche gibt, wo ich von Überversorgung spreche. Darüber hinaus ist für mich die Freiheit des Freiberuflers nicht sakrosankt. Ich glaube auch, dass viele Apotheker die Selbstständigkeit und Freiberuflichkeit nicht als biografisches Ideal haben. Insofern würde ich dafür plädieren, Vielfalt auch bei den Beschäftigungsperspektiven von Pharmazeuten zuzulassen. Aber diese Vielfalt muss dann auch gewährleistet sein. DAZ: Welche Voraussetzungen müssten aus Sicht der Verbraucher erfüllt sein, wenn das Fremdbesitzverbot fällt und Apothekenketten möglich werden?

Etgeton:

Klar ist, dass für Filialapotheken dieselben Qualifikationsanforderungen gelten müssten, die heute schon an Ortsapotheken gestellt werden. Dass etwa ein Apotheker anwesend ist, der entsprechend fachkundig berät. Die reinen Strukturvoraussetzungen der Apotheken müssten also gleich sein – ebenso die Sicherheitsanforderungen. Die Frage, die dahinter steckt ist aber, welche Rolle die betriebswirtschaftliche Komponente in der Arzneimittelabgabe spielt. Die Existenz des Freiberuflers ist ja nicht frei von betriebswirtschaftlichen Erwägungen. Aber er ist erst einmal nur für seine Apotheke und seine Mitarbeiter verantwortlich. Ein Filialleiter einer GmbH & Co. KG oder – vor allem – einer Aktiengesellschaft ist natürlich ganz anderen ökonomischen Zwängen ausgesetzt. Da wird der Arzneimittelvertrieb letztlich zu einem von vielen Instrumenten der Verwertung für Anleger. Und ob das wirklich gut ist als Basis für die Arzneimittelversorgung, das kann man sich schon fragen. Wenn ich mir vorstelle, dass größere Arzneimittelhersteller – es gibt ja solche, die mit ihrer Generikasparte über 50 Prozent der zu versorgenden Indikationen abdecken – ein Filialsystem von Apotheken aufbauen, so könnte das möglicherweise nicht im Interesse der Verbraucher sein. Nämlich dann, wenn diese Hersteller nicht nur versuchen ihre eigenen Produkte zu platzieren – was ja ihr gutes Recht wäre –, sondern auch Konkurrenten aus dem Markt kicken, indem sie sie gar nicht in ihr Sortiment aufnehmen. Dann entstehen Machtzusammenballungen, wie wir sie bereits im Bereich der Energieprivatisierung und zum Teil bei der Telekommunikation erlebt haben. DAZ: Wie würden Sie dem entgegenwirken wollen?

Etgeton:

Wenn das Apothekenprivileg aufgegeben und der Fremd- und Mehrbesitz zugelassen würde, spräche manches dafür, parallel so etwas wie eine Regulierungsinstanz einzusetzen. So etwas beginnt sich im Energiebereich langsam zu bewähren. Es müssten kartellrechtlich Monopole verhindert, aber auch Konstellationen wie die eben genannte genau unter die Lupe genommen werden. Man muss schauen, was geht und was nicht. Dass Aktiengesellschaften ein Filialennetz aufbauen, wird man nicht verbieten können – aber man kann regulierend eingreifen. DAZ: Sehen Sie auch die Gefahr, dass sich Oligopole bilden, die letztlich die Preisspirale nach oben drehen könnten?

Etgeton:

Ja, das ist ja die Erfahrung bei den angeblich liberalisierten Märkten. Am Anfang haben wir häufig einen Preisabfall und dann werden die Marktbereiche unter einer Handvoll großer Anbieter aufgeteilt. Die Folge sind monopolartige Strukturen und steigende Preise. Im Energiebereich war das ja ganz deutlich zu sehen. Im Moment ist die Gefahr der Monopolbildung bei über 20.000 Einzel–apotheken allerdings noch nicht sehr groß und wird vermutlich auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht akut sein. DAZ: Sehen Sie denn eine Alternative zur weiteren Liberalisierung, wenn man die aus Ihrer Sicht bestehende Überversorgung abbauen will?

Etgeton:

Wir könnten die Regulierung auch vorantreiben und den Marktzugang für neue Anbieter begrenzen – so wie wir es früher schon einmal hatten. Man hätte dann die Möglichkeit, den Zulauf in Metropolen zu beschränken und in anderen Regionen – wo eventuell zu wenige Apotheken existieren – zu öffnen. In der Ärzteschaft funktioniert eine derartige Bedarfplanung allerdings nicht. Insofern wäre ich gegenüber einem solchen Instrument skeptisch. Zudem passt es gar nicht in unsere Landschaft – ein ernst gemeinter Vorschlag ist dies also nicht. Wohl aber eine denkbare Variante. DAZ: Eine Patentlösung haben Sie also nicht?

Etgeton:

Nein, die habe ich nicht. Aber grundsätzlich teile ich die Skepsis gegenüber einer Tendenz der EU, gesundheitspolitische Entscheidungen allein über Wettbewerbsrecht zu implementieren. Eigentlich ist der EU die Kompetenz im Bereich der sozialen Sicherungssysteme und der Versorgungsstrukturen vertraglich entzogen. Es gibt aber immer wieder Versuche – auch seitens der Kommission – über die Schiene "freier Markt" bestimmte Regulierungen in den Nationalstaaten aufzulösen. Meist werden damit wirtschaftspolitische Intentionen verfolgt. Diese haben dann gesundheitspolitische Folgen, die auf europäischer Ebene aber nicht diskutiert, nicht bedacht und auch nicht gestaltet werden. Da mache ich mir Sorgen, dass gesundheitspolitische Fakten von Leuten geschaffen werden, die eigentlich keine Gesundheits-, sondern Wirtschaftspolitik betreiben. DAZ: Wie sieht aus Ihrer Sicht die ideale Apotheke aus?

Etgeton:

Die ideale Apotheke ist für mich die Kombination aus Orts- und Versandapotheke – so wie es sie schon jetzt häufig gibt. Oder auch der Zusammenschluss von Apotheken zu einer Versandgemeinschaft. Das halte ich für sinnvoll, denn ich glaube, dann könnten auch gerade chronisch Kranke eher akzeptieren, wenn es nicht mehr an jeder Ecke eine Apotheke gibt. Zudem müsste natürlich eine kompetente Beratung stattfinden. DAZ: Erwarten Sie auch eine unabhängige Beratung? Die könnte doch gefährdet sein, wenn Apothekenketten beispielsweise auch von Arzneimittelherstellern betrieben werden können.

Etgeton:

Das ist wünschenswert, wobei allerdings aus meiner Sicht auch jetzt die Beratung in Apotheken zumindest interessengeleitet ist. Transparenz ist mir da am wichtigsten. Wenn es eine Kette gibt, will ich wissen, wer dahinter steckt, welches Sortiment sie hat und wie sie dazu kommt. Man kann zwar sagen, man regelt es gesetzlich, dass jede Apotheke das volle Sortiment anbieten muss, um solchen Strategien einer Sortimentsapotheken entgegenzuwirken – so wird es wahrscheinlich auch sein. Allerdings ist es schon heute oft so, dass ein bestimmtes Medikament nicht vorrätig ist, "zufällig" aber ein entsprechendes Präparat des Herstellers, der die Apotheke beliefert. Da habe ich meinen Glauben verloren, dass man das bis ins letzte kontrollieren könnte. Und dann ist mir lieber, ich weiß von vornherein, dass ein bestimmter Hersteller hinter der Kette steckt. DAZ: Preiswerte Arzneimittel sind also nicht alles, was die Verbraucherschützer sich wünschen?

Etgeton:

Nein, es geht uns auch um den " qualitativen Konsum". Und Arzneimittel sind ein besonderes Gut. Daher bin ich auch sehr skeptisch, Arzneimittel in Drogerien im Selbstbedienungsbereich anzubieten, also letztlich die Apothekenpflicht abzuschaffen. Aber das steht sicherlich auf dem Prüfstand. Denn wenn ich in der Apotheke – oder im Versandhandel – im Grunde genauso in rauen Mengen einkaufen kann wie in einer Drogerie, stellt sich natürlich die Frage, wozu brauchen wir noch die Apotheke als besondere Einrichtung? Ich würde den Apothekern empfehlen, die Verbesserung ihrer Beratungskompetenz offensiv anzugehen und nicht auf die staatliche Regulierung zu hoffen. Denn die ist nicht verlässlich. Das muss sich aus sich erklären – und zwar unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts und aus Sicht des mündigen Patienten. DAZ: Wie sehen Sie die Zukunft der Apotheker? Wohin sollten sie sich ihrer Ansicht nach ausrichten?

Etgeton:

Ich sehe in der Apothekerschaft einen Identitätskonflikt. Ich glaube, es gibt Apotheker, die sich ganz lauter und glaubwürdig als Fachakteure im öffentlichen Auftrag begreifen und sich nicht primär als Kaufmann sehen. Für diese ist dann auch die Freiberuflichkeit, Unabhängigkeit und Weisungsunabhängigkeit gegenüber Krankenkassen und Ärzten ein Berufs–ethos. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Apotheker, die sich mehr als Kleinunternehmer sehen. Und mein persönlicher Eindruck ist, dass diese inzwischen in der Mehrheit sind. Das Festhalten an den Regularien ist aber nur dann glaubwürdig, wenn das Ethos auch gelebt wird. Für die Zukunft kann ich mir vorstellen, dass sich Apotheken in Kontexten ansiedeln, wo Gesundheit generell Thema ist und zunehmend Service als nur die Arzneimittelabgabe anbieten. Das tun viele Apotheken ja auch schon. Aber das ist in fast jeder Form möglich. Das geht auch als angestellter Apotheker eines medizinischen Versorgungszentrums. DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!

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