Arzneimittel und Therapie

Diacetylmorphin erfolgreicher als Methadon

Das 2008 abgeschlossene bundesweite Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Schwerstopiatabhängiger hatte eine Überlegenheit der Behandlung mit Diacetylmorphin (Diamorphin) gegenüber einer Methadonbehandlung gezeigt. Zum gleichen Ergebnis kommt eine kanadische Studie: Injizierbares Diacetylmorphin zeigte sich wirksamer als orales Methadon. Aufgrund des Risikos von Überdosierung und Krampfanfällen sollte die Diacetylmorphin-Substitutionstherapie aber nur bei sofortiger medizinischer Interventionsmöglichkeit durchgeführt werden.
Obwohl unter Diamorphin mehr Patienten in der Substitutionsbehandlung verblieben, empfehlen die ­Autoren weiterhin Methadon als Mittel der Wahl für die Substitution von Opiatabhängigen. Auch unter Methadon wurden hohe Response-Raten und ein hoher Anteil von verbleibenden Teilnehmern beobachtet. Aufgrund der schweren Nebenwirkungen sollte Diamorphin zur Substitutionsbehandlung stets in einem Umfeld ver­abreicht werden, wo schnell medizinische Hilfe er­reichbar ist.
Foto: addiCare

Die randomisierte, kontrollierte Phase III-Studie mit der Bezeichnung North American Opiate Medication Initiative (NAOMI) schloss heroinabhängige Patienten ein, bei denen zuvor mindestens zwei Versuche zur Behandlung der Abhängigkeit (davon mindestens einer mit Methadon) fehlgeschlagen waren. 111 Teilnehmer wurden auf eine orale Methadonbehandlung, 115 auf eine intravenöse Diamorphin-Behandlung randomisiert. Die Studienteilnehmer waren mindestens 25 Jahre alt und seit mindestens fünf Jahren abhängig. Die Maximaldosis Diamorphin betrug 1000 mg, ein Umstieg auf eine Methadon-Substitutionsbehandlung war jederzeit möglich. Alle Teilnehmer wurden umfassend ärztlich und psychosozial betreut.

Nach zwölf Monaten wurden als primäre Endpunkte der Verbleib in der Substitutionsbehandlung bzw. Drogenfreiheit sowie eine Reduktion des Beikonsums illegaler Drogen oder anderer rechtswidriger Aktivitäten (gemäß dem European Addiction Severity Index) bestimmt.

Überlegenheit von Diamorphin gezeigt

Bei 95% der Teilnehmer konnten die primären Endpunkte bestimmt werden. In der Diamorphingruppe lag der Anteil der Patienten, die in der Substitutionsbehandlung verblieben, bei 88%, verglichen mit 54% in der Methadongruppe. Die Reduktion des Beikonsums illegaler Drogen bzw. illegaler Aktivitäten betrug in der Diamorphingruppe 67%, in der Methadongruppe 48%. Die häufigsten schweren Nebenwirkungen in der Diamorphingruppe waren Überdosierungen (bei zehn Patienten) und Krampfanfälle (bei sechs Patienten). Wegen der konsequenten medizinischen Betreuung konnten diese Nebenwirkungen sofort behandelt werden und die Studienteilnehmer überlebten. Die Autoren schlussfolgerten aus diesen Erfahrungen, dass Diamorphin zur Substitutionsbehandlung stets in einem Umfeld verabreicht werden sollte, wo schnell medizinische Hilfe erreichbar ist. Bei den schweren Nebenwirkungen, die in der Methadongruppe auftraten, wurde kein Zusammenhang mit der Gabe des Substitutionsmittels gesehen. In dieser Gruppe kam es allerdings zu einem Todesfall, weil ein Teilnehmer sich eine Opioid-Überdosis verabreicht hatte.

Trotz der Überlegenheit von Diamorphin wurden in der Studie auch unter Methadon hohe Response-Raten und ein hoher Anteil von Teilnehmern, die die Behandlung zu Ende führten, beobachtet. Daher empfehlen die Autoren weiterhin Methadon als Mittel der Wahl für die Substitution von Opiatabhängigen. Lediglich solchen Patienten, die davon nicht profitieren, sollte Diamorphin unter ärztlicher Kontrolle verabreicht werden können.

Zur Situation in Europa

Die Autoren verweisen darauf, dass ihre Ergebnisse konsistent sind mit Untersuchungen ähnlicher Art in Europa. Die Konsequenzen, die in Europa daraus gezogen werden, sind jedoch unterschiedlich: in der Schweiz und den Niederlanden wird Diamorphin Schwerstopiatabhängigen bereits verschrieben, andere Länder, z. B. Spanien, zögern noch. In Deutschland wurde im Mai 2009 ein Gesetz beschlossen, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Verschreibung von Diamorphin im Rahmen einer Substitutionsbehandlung Schwerstopiatabhängiger schafft.

Die "Heroinstudie" in Deutschland

Voraussetzung für diese Entscheidung waren die positiven Ergebnisse einer Studie mit Daten von 1015 Teilnehmern, die eine Diamorphin-Behandlung mit einer Methadonsubstitution verglichen hatte. Die Studienzentren befanden sich in Hamburg, Frankfurt am Main, Hannover, Köln, Bonn, Karlsruhe und München. Das Ergebnis war eine signifikante Überlegenheit der Diamorphin- gegenüber der Methadonbehandlung in beiden Hauptzielkriterien (Verbesserung des Gesundheitszustandes, Reduktion des illegalen Drogenkonsums). Sowohl im gesundheitlichen Bereich (Diamorphin: 80%, Methadon: 74%) als auch hinsichtlich der Verringerung des illegalen Drogenkonsums (Diamorphin: 69%, Methadon: 55%) erzielte die Diamorphinbehandlung signifikant höhere Responderraten. Nach zwölf Monaten waren 67% der Teilnehmer noch in der Diamorphinbehandlung verblieben – weniger als in der NAOMI-Studie und auch weniger als in vergleichbaren niederländischen und schweizerischen Studien. Nur 39% der Teilnehmer der Methadongruppe der Heroinstudie beendeten ihre Behandlung – damit lag auch diese Zahl unter dem Ergebnis der kanadischen Studie.

Auch hinsichtlich des Deliquenzverhaltens war die Diamorphinbehandlung im deutschen Modellprojekt erfolgreicher als die Methadonsubstitution: Im Vorjahr der Behandlung hatten 79% der Teilnehmer in der Diamorphingruppe und 79% in der Methadongruppe ein Delikt wie z. B. Körperverletzung oder Ladendiebstahl begangen. Nach dem ersten Behandlungsjahr waren dies in der Diamorphingruppe nur noch 45%, in der Methadongruppe dagegen 63%.

Quellen Oviedo-Joekes, E., et al.: Diacetylmorphine versus Methadone for the treatment of opioid addiction. N Engl J Med 361:777 – 786 (2009).

 

Berridge, V.: Heroin prescription and history. N Engl J Med 361:820 – 821 (2009).

 

Das bundesdeutsche Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger – eine multizentrische, randomisierte, kontrollierte Therapiestudie. Abschlussbericht zum Modellprojekt, hrsg. vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS), Hamburg, Juni 2008.

 

www.heroinstudie.de (Website des "Bundesdeutschen Modellprojekts zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger").

 


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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