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Einzig sicherer Weg: Hersteller – Großhandel – Apotheke
Die Zahl der Arzneimittelfälschungen in der Europäischen Gemeinschaft sind in den letzten Jahren enorm angestiegen. Laut EU-Zollstatistik wurden 2008 insgesamt 35 Millionen gefälschte Arzneimittel beschlagnahmt. Behörden, Polizei, Ärzte und Apotheker warnen davor, Arzneimittel über Websites im Internet von ausländischen Apotheken zu erwerben, insbesondere wenn die Adressangaben der Apotheken fehlen. Schätzungsweise in mehr als 50 Prozent der Fälle sind diese dort vertriebenen Arzneimittel gefälscht. Darauf machte Klaus Gronwald vom Bundeskriminalamt, Wiesbaden, aufmerksam.
Und das wird gefälscht: Es werden minderwertige, falsche oder überhaupt keine Wirkstoffe verwendet, die Wirk- und Hilfsstoffe werden falsch dosiert, die Herstellung der Arzneimittel ist von schlechter Qualität. Gefälscht werden außerdem Umverpackung und Beipackzettel. Spitzenreiter unter den gefälschten Arzneimitteln stellen Präparate gegen die erektile Dysfunktion wie Viagra oder Cialis dar. Aber auch Wirkstoffe gegen zahlreiche andere Indikationen werden gefälscht, bestimmt durch Nachfrage und Menge.
Wie Gronwald berichtete, sind die Profite mit Arzneimittelfälschungen und deren Vertrieb meist lukrativer als die Einnahmen aus dem Drogenhandel.
Gewinnspanne bei Arzneimittelfälschungen- 1 kg gefälschtes Sildenafil kostet in Asien (Schwarzmarkt) etwa 58 Euro. Daraus können hergestellt werden: 10.000 gefälschte Viagra-Tabletten à 100 mg Wirkstoff - Viagra 100 mg kosten etwa 13 bis 15 Euro pro Tablette; Kosten Rohmaterial für 10.000 Viagra-Fälschungen: etwa 58 Euro, hinzu kommen Kosten für Produktion, Hilfsstoffe und Farbe. - Möglicher Gewinn aus dem Verkauf der illegal hergestellten Fälschungen von 10.000 Viagra 100 mg Tabletten: über 130.000 Euro. Der Gewinn beträgt demnach mehr als der 2200-fache Einsatz. Quelle: Angaben der Pharmaindustrie, 2008 |
Mit der Aktion Pangea III koordinierte das Bundeskriminalamt vom 5. bis 12. Oktober 2010 eine internationale Aktionswoche gegen den Handel mit gefälschten und nicht zugelassenen Arzneimitteln im Internet: Über 40 Länder – darunter Deutschland – haben sich an dieser Aktionswoche beteiligt. Die von Polizei, Zoll und Arzneimittelüberwachungsbehörden durchgeführte internationale Aktion wurde unterstützt von Internet-Serviceprovidern, Online-Zahlungsabwicklern und den Paketdiensten. Ziel war es, massiv gegen die Anbieter dieser gefälschten Produkte vorzugehen und gleichzeitig das Bewusstsein für die damit verbundenen Gesundheitsrisiken in der Bevölkerung zu schärfen. Im Rahmen der Aktion wurden weltweit Festnahmen durchgeführt und tausende potenziell schädlicher Arzneimittel sichergestellt. Mit ihrem Fokus auf Websites, über die solche illegalen und gefährlichen Arzneimittel vertrieben werden, gehört die "Operation Pangea III" zur den bedeutendsten Aktionen zur Unterstützung der Internationalen Task-Force zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen IMPACT (International Medical Products Anti-Counterfeiting Taskforce). Weiter Informationen dazu finden sich auf der Internetseite des Bundeskriminalamtes (www.bka.de).
Zum WeiterlesenPangea III: Aktion gegen illegale Internet-Anbieter von Arzneimitteln DAZ.online, Meldung vom 14.10.2010 |
Was Europa gegen Fälschungen tut
Auf europäischer Ebene bereitet man rechtliche Maßnahmen vor, um "das Eindringen von Arzneimitteln, die in Bezug auf ihre Eigenschaften, Herstellung oder Herkunft gefälscht sind, in die legale Lieferkette zu verhindern" (Änderung der Richtlinie 2001/83/EG). Wesentliche Elemente des Vorschlags sind produktspezifische Merkmale, Anforderungen an und Überprüfung der Wirkstoffhersteller und Händler, Auditierungspflicht des Arzneimittelherstellers und Inspektionen, wie Dr. Oliver Onusseit vom Bundesministerium für Gesundheit erklärte. Vorgesehen sind insbesondere obligatorische Sicherheitsmerkmale, die so konzipiert sind, dass sie die Identifizierung, Authentifizierung und Rückverfolgbarkeit von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ermöglichen (sogenannte Safety Features). Diskutiert wird über die Einführung individueller Produktcodes (Produktserialisation) oder eine Versiegelung der Packungen. Der Produktcode ist eine mehrstellige Ziffer, einzigartig für jede Packung. Die Ziffer wird vom Hersteller vergeben und ist elektronisch lesbar (2D Data-Matrix-Code) und wird auf die Arzneipackung aufgedruckt. Die Schwierigkeit: Derzeit verwenden die europäischen Länder unterschiedliche Produktbezeichnungen (Deutschland beispielsweise die Pharmazentralnummer, PZN). Die Koordination aller europäischen Länder für einen einheitlichen Produktcode dürfte nicht einfach werden. Wann sich Europa auf ein einheitliches Vorgehen geeinigt haben wird, ist offen.
Favorit: der 2D Data-Matrix-Code
Michaela Hähn von der Firma GS 1 Germany erläuterte, wie man sich eine Serialisierung mittels einer Seriennummer, der Global Trade Item Numer (GTIN), vorstellen kann. GS1 Germany befasst sich als unabhängiger Dienstleister mit der Entwicklung gemeinsamer Standards für die Identifikation von Artikeln und für die Kommunikation entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Über die Kennzeichnung eines Produkts mit einer eindeutigen Nummer lässt sich das Produkt weltweit verfolgen. Die Nummer bleibt mit dem Artikel verknüpft, so lange dieser existiert. Als geeigneter Datenträger für diese Nummer wird derzeit ein 2D Data-Matrix-Code favorisiert, eine Art Strichcode, die per Scanner gelesen werden kann. Die eingelesene Nummer wird dann mit der in einer Datenbank hinterlegten Nummer, die in einer zentralen Datenbank hinterlegt ist, verglichen. Mit diesem System könnte jeder, der an der Lieferkette beteiligt ist, die objektbezogenen Daten abrufen, vergleichen und das Produkt verifizieren. Der Weg der Packung ließe sich in der gesamte Lieferkette verfolgen.
Erfolgreicher Modellversuch in Schweden
Der Verband der europäischen Arzneimittelhersteller EFPIA hat bereits in Schweden zusammen mit Großhändlern und Apotheken einen Versuch mit dem Aufbringen einer 2D Data-Matrix zur Fälschungsabwehr erprobt. Dieser Code enthielt dort neben den variablen Daten wie Chargennummer, Verfalldatum und Produktidentifikationsnummer (z. B. GTIN) auch eine randomisierte Seriennummer.
Im schwedischen Modellversuch wurde die Kodierung auf ausgewählte Arzneipackungen vom Originalhersteller aufgebracht und in einer Datenbank registriert. In der öffentlichen Apotheke wurde der Code bei der Abgabe per Scanner eingelesen und mit der Datenbank abgeglichen. Eine Abgabe durfte nur erfolgen, wenn eine positive Rückmeldung erfolgte, d. h., wenn das Produkt mit dieser Seriennummer noch nicht als abgegeben registriert war, keine Rückrufe vorlagen und das Verfalldatum noch nicht erreicht war. Alle, die an diesem Versuch beteiligt waren, gaben sehr positive Rückmeldungen über dieses System, wie Dr. Stephan Schwarze, Bayer Schering Pharma AG, berichten konnte. Der Versuch zeigte aber auch, dass es noch zahlreiche offene Fragen gibt, die zu klären sind. Wann sollte beispielsweise die Verifizierung des Produkts in der Apotheke stattfinden, beim Wareneingang oder unmittelbar bei der Abgabe? Es sollten in der Apotheke unter bestimmten Voraussetzungen Rückbuchungen ins System möglich sein. Und: Was ist bei Strom- oder Systemausfall? Alternativsysteme werden derzeit in den USA und in der Türkei diskutiert. Bei diesen als ePedigree oder track&trace bezeichneten Systemen ist der Weg des Produkts lückenlos verfolgbar, da jeder Zwischenhändler dem Produkt weitere Daten hinzufügt.
Nach Einschätzung von Schwarze dürfte in Europa wahrscheinlich das End-to-end-Modell verfolgt werden, bei dem lediglich der Hersteller eine Nummer in eine Datenbank eingibt und der Apotheker diese Nummer bei der Abgabe des Produkts einmalig ausliest. Auch Schwarze geht davon aus, dass es allerdings noch einige Zeit dauern wird (etwa bis 2015), bis man sich auf gemeinsame Standards verständigt haben wird.
Bessere Kennzeichnung hilft
Einen Beitrag zur Arzneimittelsicherheit und Patienteninformation kann eine bessere Kennzeichnung der Arzneimittel leisten. Darauf machte Rechtsanwalt Dr. Martin Wesch aufmerksam. Packungsbeilagen und Etiketten sollen in größerer Schrift gedruckt werden. Denkbar ist, einen Data-Matrix-Code in der Beilage aufzunehmen, der beispielsweise mittels Handy eingelesen bzw. gescannt werden kann und Zugang zu einer Datenbank verschafft, die dann hörbare Patienteninformationen zum Arzneimittel ausgibt. Heute in vielen Fällen schon verwirklicht: Packungen mit der für Blinde tastbaren Braille-Schrift.
Nicht alle UAW vermeidbar
Mit der Arzneimittelsicherheit aus ärztlicher Sicht befasste sich Prof. Dr. Ursula Gundert-Remy, stellvertretende Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Im Mittelpunkt stehen dabei die unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW). In den klinischen Untersuchungen sind unerwünschte Wirkungen eine wesentliche Zielgröße, um das Nebenwirkungsprofil kennenzulernen. UAW, die mit einer Häufigkeit von 1 Prozent auftreten, können in diesen Untersuchungen mit hoher Wahrscheinlichkeit erfasst werden, wohingegen die Chance gering ist, Nebenwirkungen, die mit geringerer Häufigkeit als 1% vorkommen, zu identifizieren.
Ein Teil der UAW ist vermeidbar, beispielsweise UAW, deren Mechanismus bekannt ist und die auf Überdosierung oder auf Interaktionen zurückzuführen sind. Unvermeidbar sind solche UAW, bei denen der Wirkstoff an nicht erwarteten Zielorganen wirkt (Off-target-Wirkungen). Ein Beispiel dafür ist der Cholesterinsenker Cerivastatin, bei dem sich unerklärlicherweise eine Muskelzerstörung als UAW zeigte. Manche solcher Wirkungen werden ausgelöst, weil eine besondere genetische Disposition beim Patienten vorliegt, die beispielsweise Gene betrifft, die den Arzneimittelstoffwechsel beeinflussen.
Welche Bedeutung haben UAW?
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Gundert-Remy rief dazu auf, bekanntgewordene UAW zu melden, beispielsweise an die Arzneimittelkommissionen der Ärzteschaft oder der Apotheker oder auch ans Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
ArzneimittelrisikenÜber aktuelle Arzneimittelrisiken informiert auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft mittels einer "drug safety mail". Auf der Website der Arzneimittelkommission kann man sich für diesen Dienst anmelden (www.akdae.de). |
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