Deutscher Apothekertag 2010

Wenn Gesetze konterkariert werden …

Dr. Christian Rotta

In einem mit großer Mehrheit angenommenen Ad-hoc-Antrag des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe zur ortsnahen Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern und Heimen hat sich die Hauptversammlung mit einer Entwicklung beschäftigt, die im Begriff ist, aberwitzige Züge anzunehmen: Aus Bayern war bekannt geworden, dass dort und – nach Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit – auch anderswo Verwaltungsbehörden Krankenhausversorgungsverträge genehmigen, bei denen die Entfernungen zwischen versorgender Apotheke und Krankenhaus in etlichen Fällen knapp 200 Kilometer, in einem Fall sogar mehr als 400 Kilometer betragen.

Mit dieser Praxis werden die im Apothekengesetz genannten Genehmigungsvoraussetzungen bei Krankenhausversorgungsverträgen ad absurdum geführt: Über eine Distanz von mehreren hundert Kilometern ist eine zeitnahe und ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung eines Krankenhauses (oder Heimes) schlechterdings nicht möglich. Das sieht auch der Gesetzgeber so, der in § 14 Abs. 5 ApoG u. a. die Vorgabe statuiert, dass Arzneimittel, die ein Krankenhaus zur akuten medizinischen Versorgung benötigt, von der Versorgungsapotheke "unverzüglich und bedarfsgerecht" zur Verfügung gestellt werden müssen. Unter den gleichen Voraussetzungen hat im Notfall auch eine "persönliche Beratung" durch den versorgenden Apotheker zu erfolgen. Wie sollen diese Vorgaben – um nur einen "Fall" zu nennen – von einer (Krankenhaus-)Apotheke in Regensburg erfüllt werden können, die einen privaten Klinik-Konzern in Bad Tölz mit Arzneimitteln zu versorgen hat? Beide Orte liegen 180 Kilometer voneinander entfernt. Und von einer ordnungsgemäßen und zeitnahen Arzneimittelversorgung kann sicherlich nicht gesprochen werden, wenn – wie die Regierung von Oberbayern vorrechnet – eine Krankenhausversorgung "unter normalen Bedingungen" allenfalls in 2 bis 2 ½ Stunden möglich ist.

Die Genehmigungspraxis ist umso erstaunlicher als die Regelungsinhalte des § 14 ApoG bereits Gegenstand intensiver richterlicher Beurteilung waren. In einem bemerkenswerten Grundsatzurteil vom 11. September 2008 – im Wortlaut nachzulesen bei DAZ.online/Recht - erklärte der Europäische Gerichtshof die gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen in einem Verfahren, das die EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland angestrebt hatte, für gemeinschaftsrechtskonform. Nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Länder begrüßten die EuGH-Entscheidung nachdrücklich. Auch vor diesem Hintergrund ist es inakzeptabel, wenn Verwaltungsbehörden – aus welchen Gründen auch immer – nunmehr die Vorgaben des § 14 Abs. 5 ApoG konterkarieren und die Regelungen, die eine umfassende, kontinuierliche und unverzügliche Arzneimittelversorgung "aus einer Hand" gewährleisten, ihres Sinns entleeren. Wie es heißt, soll es inzwischen sogar Versuche geben, die Versorgung von Krankenhäusern so aufzuspalten, dass eine ortsnahe Apotheke für Notfälle und die in einem anderen Bundesland (!) angesiedelte Apotheke für die "Normalversorgung" zuständig ist.

Es ist deshalb dringlich, dass sich die Obersten Gesundheitsbehörden der Länder im Einvernehmen mit dem BMG alsbald mit der "Entfernungs-Problematik" befassen. Mit dem Erlass von Verwaltungsvorschriften zur Genehmigung von Versorgungsverträgen nach § 14 ApoG könnte einem weiteren Auseinanderdriften länderspezifischer Genehmigungspraktiken entgegengewirkt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich die behördlich tolerierten Entfernungen immer weiter hochschaukeln und "kreative Rechtskonstrukte" etabliert werden, die im Widerspruch zu Sinn und Zweck einer qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung stehen. Die Folge davon wäre die Einführung einer spezifischen Variante von Versandapotheken. "Krankenhaus-Versandapotheken" hat der Gesetzgeber jedoch – ebenso wie "Dispensieranstalten" - aus gutem Grund bereits vor über drei Jahrzehnten abgeschafft. Zum Status quo ante sollten wir nicht wieder zurück wollen.


Christian Rotta

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