- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 40/2010
- Klinische Fälle –
Pharmako-logisch!
Klinische Fälle – Demenz
Beginnende Demenz bei kardiovaskulärer Multimorbidität
EIn 83-jähriger Mann sucht den Hausarzt wegen kardialer Beschwerden auf. Vor fünf Monaten hatte er bereits einen genauen Therapieplan wegen Hypertonie, KHK und Diabetes Typ 2 erhalten. Er erinnert sich aber nur noch vage an den Arztbesuch, er hat auch seine Frau nur ungenau darüber informiert. Aber er besteht darauf, die Medikamente selbst einzunehmen. Die Frau berichtet über zeitweise Verwirrtheit, mehr Passivität, zunehmende Zeit vor dem Fernseher. Die Untersuchung ergibt einen Blutdruck 100/65 mmHg, eine Herzfrequenz von 55 Schlägen/Minute, einen Nüchternblutzucker von 250 mg/dl. Neuropsychologisch liegt ein Defizit im Neugedächtnis vor, der MMST ergibt nur 18 Punkte. Im späteren CT finden sich Hinweise auf subkortikale Infarkte.
Diagnose: Metabolisches Syndrom mit kardiovaskulären Störungen, beginnende Alzheimer-Demenz (Störung des Neugedächtnisses) gemischt mit vaskulären Demenzsymptomen. Mögliche Verstärkung der kognitiven und psychischen Störung durch die Krankheit (Diabetes, zerebrale Minderdurchblutung, Hypotonie) sowie Medikamente (zu starke Blutdrucksenkung, Bradykardie).
Therapie: Blutdruck hochnormal einstellen (nicht unter 140/80 mmHg), Druckabfall und Bradykardie vermei-den. Hochnormale Blutzuckerwerte anstreben, um Hypoglykämien zu vermeiden. Demenz-Therapie entweder mit Memantin (nicht zugelassen bei leichter Alzheimer-Demenz und vaskulärer Demenz, aber bei mittlerer und schwerer Alzheimer-Demenz) oder ChE-Hemmer (zugelassen bei beginnender Alzheimer-Demenz, nicht bei vaskulärer Demenz). Bei ChE-Hemmern muss sorgfältig auf die Bradykardie geachtet werden.
Psychosen, Aggression und Wut
Frau K. erinnert sich nicht mehr, wo sie ihre Wertgegenstände vor dem Pflegepersonal versteckt hat, die Wahnvorstellung des Bestohlenwerdens verstärkt auch ihre beginnende Aggressivität besonders gegenüber Familienmitgliedern. Bis zu 80% der Demenzkranken zeigen Wutausbrüche, bei 20% wurde Gewalttätigkeit beobachtet. Neuroleptika wie Risperidon sind hier Mittel der Wahl, aber immer unter Berücksichtigung der Nebenwirkungen. Außerdem ist nur bei einer Minderheit von 20 bis 30% eine Besserung spürbar. Bei niederpotenten Neuroleptika kann die Sedierung zumindest initial erwünscht sein, darf aber nicht zu einem dauerhaften Eindämmern führen. Das Nebenwirkungspotenzial der α1-, H1- und mAChR-Blockade wurde ausführlich in DAZ 2010/5 und 2010/22 beschrieben. Bei hochpotenten Neuroleptika sind die extrapyramidalmotorischen Symptome (EPS) zu beachten (kein Einsatz bei Parkinson). Ein alternativer Therapieversuch ist Carbamazepin.
! Wichtige pflegerische Maßnahmen sind eine aktivierende Physiotherapie mit Ruhepausen.
Die Angehörigen sollten bei Frau K. auf Mundtrockenheit achten (schmerzendes schlechtsitzendes Gebiß!), Verstopfung und bei Männern auf Harnverhalt bzw. Prostatahyperplasie. Immer wieder Auslassversuch: Das Ausschleichen nach 2 – 3 Monaten kann die Stimmung verbessern ohne dass sich das Verhalten verschlechtert.
Pseudodemenz und Depressionen
Die 84-jährige Frau F., seit vielen Jahren alleinstehend, fällt den Nachbarn durch Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit und Herumlaufen im Nachthemd auf. Neben ihrer Vergesslichkeit fällt auch ein schwacher Lebenswille auf, immer wieder kommt sie auf die verstorbenen Freunde und ihr Alleinsein zurück. Beim MMST-Test erzielt sie 16 (von 30 möglichen) Punkten und klagt dabei ständig "Ich kann es nicht", "Ich weiß es nicht". Die Diagnose Pseudodemenz wird u. a. gestützt durch die offensichtliche Depression, die zu 50% die Ursache für eine Pseudodemenz ist. Die depressiven Symptome (Vernachlässigung, Verlust von Lebenswillen) drücken sich auch in der negativen Kommentierung der Hirnleistung aus. Dagegen gibt ein "typischer" dementer Patient einfach eine Antwort, ohne mit Selbstreflexion die Falschheit der Antwort zu kommentieren (Tab. 9).
! Kognitive (reversible) Beeinträchtigungen können im Alter durch Depressionen ausgelöst oder verstärkt werden und daher sind affektive Störungen sorgfältig abzuklären.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.