Rezepturen

Die Rezeptur muss plausibel sein

Rezepturprobleme erkennen und lösen – Folge 2

Von Gerd Wolf

Gemäß der Leitlinie der Bundesapothekerkammer (BAK) zur "Herstellung und Prüfung der nicht sterilen Rezeptur- und Defekturarzneimittel" soll jede Rezeptur auf Plausibilität geprüft werden. Dabei muss das Konzept des Verordners klar und deutlich zu erkennen sein. Anderenfalls liegt eine unklare Verordnung im Sinne des § 17 Absatz 5 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) vor, die nicht eher ausgeführt werden darf, bis die Unklarheit in Zusammenarbeit mit dem Verordner beseitigt worden ist. Die Prüfung der Plausibilität umfasst auch mögliche Kompatibilitäts- oder Stabilitätsprobleme.


Rp.

Harnstoff 10,0 g

Borretschsamen-Öl 10,0 g

Asche Basis Lotio ad 100,0 g

Die Rezeptur ist als O/W-Emulsion aufgebaut, die mit einem pflanzlichen Öl "aufgefettet" wird und deren hydratisierende Wirkung durch den Harnstoff unterstützt oder verstärkt werden soll.

Harnstoff

Harnstoff gehört zu den am häufigsten eingesetzten Moisturizern in Dermatika, er ist hygroskopisch und bildet mit Wasser sogenannte Klathrate. Dies sind Einschlussverbindungen, aus denen das Wasser nur langsam abgegeben wird. Seine Einsatzmöglichkeiten und Eigenschaften wurden bereits im Zusammenhang mit der vorigen Beispielrezeptur beschrieben (s. DAZ 2010; Nr. 30 S. 38 – 45). Für das hier vorgestellte Beispiel ist besonders bedeutsam, dass Harnstoff in wässriger Lösung als nicht stabil gilt [1] und ein pH-Stabilitätsoptimum bei 6,2 besitzt. Um den Harnstoff vor einer schnellen Zersetzung zu schützen, sollte der Rezeptur ein leicht saurer Puffer zugesetzt werden. Das Neue Rezeptur-Formularium (NRF) benutzt für wasserhaltige Zubereitungen mit Harnstoff einen Lactat-Puffer mit einem pH-Wert von 4,2 (Milchsäure 1%, 50%ige Natriumlactat-Lösung 4%, jeweils bezogen auf die Gesamtzubereitung), um basische Zersetzungsprodukte des Harnstoffs optimal abfangen zu können. Dieser Puffer ist auch als Zusatz zur Beispielrezeptur empfehlenswert.

Je nachdem, in welchen Vehikel-Systemen der Harnstoff verarbeitet wird, resultieren unterschiedliche Wirkqualitäten. In einer hydrophilen Emulsion bzw. O/W-Emulsion führt er zu einer schnellen, aber nur oberflächlichen Hydratisierung. Diese Wirkung wäre für eine normale oder leicht trockene Haut angemessen. Wird Harnstoff dagegen in einer lipophilen Emulsion bzw. W/O-Emulsion verarbeitet, setzt seine Wirkung erst langsam ein, hält dafür aber länger an. Die partielle Okklusion aufgrund des W/O-Systems lässt ihn in tiefere Hautschichten eindringen. Daraus ergibt sich die Indikation für eine trockene bis sehr trockene Haut, wie sie insbesondere bei atopischer Dermatitis, Psoriasis und Ichthyosis vorkommt.

Borretschsamen-Öl

Da die Haut von Neurodermitikern arm an ungesättigten Fettsäuren ist, wird versucht, diesen Mangel durch Zufuhr von außen, aber auch durch Einnahme auszugleichen. Borretschsamen-Öl [2] zählt wie Nachtkerzensamen-Öl zu den fetten, pflanzlichen Ölen mit dem höchsten Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren wie Linol- und Linolensäure. Deshalb gelten diese beiden Öle als sehr oxidationsanfällig und sollten daher mit 0,05% Butylhydroxytoluol (BHT) oder 0,1% alpha-Tocopherol (nicht -acetat!) als Antioxidans geschützt werden. Ein solcher Schutz fehlt in der Beispielrezeptur.

Asche Basis® Lotio

Das Vehikel-System der Asche Basis® Lotio stellt eine nichtionische, hydrophile Lotion bzw. O/W-Lotion dar, die durch einen hohen Wasseranteil von 75 Prozent charakterisiert ist. Sie ist indiziert bei einer normalen, fetten oder feuchten oder leicht entzündeten Haut. Wegen des hohen Wassergehalts wirkt sie kühlend.

Die Asche Basis® Lotio enthält Polyethylenglycol-stearylether, weiße Vaseline, dickflüssiges Paraffin, Stearylalkohol, EDTA-Natrium, Benzylalkohol, ein Geruchskorrigenz, Polyacrylsäure und gereinigtes Wasser. In der hydrophilen Phase der O/W-Lotion wirkt ein Carbomer- bzw. Polyacrylat-Gel als hydrophiler Konsistenzgeber. Polyacrylat-Gele entstehen durch Neutralisation von in Wasser suspendierter Polyacrylsäure mit einem anorganischen Alkali (z. B. Natronlauge, Kalilauge, Ammoniak-Lösung) oder einem organischen Amin wie Trometamol. Das Stabilitätsoptimum solcher Gele liegt bei pH 6 bis 10. Bei Werten darunter und darüber verliert das hydrophile Gel seine Matrixstruktur, d. h. es kann sich verflüssigen.

Inkompatibilität

Aus diesen Vorgaben hinsichtlich der einzelnen Komponenten ergibt sich ein Kompatibilitätsproblem für die Beispielrezeptur. Denn der Lactat-Puffer ist nötig, um die Zersetzung des Harnstoffs zu verhindern. Doch wird das Carbomer-Gel bei dem pH-Wert des Puffers von 4,2 zusammenbrechen, die Asche Basis® Lotio wird so flüssig werden wie eine Trinkmilch. Daher erscheint die Verwendung dieses Fertigarzneimittels als O/W-Lotionsgrundlage hier ungeeignet.

Instabilität

Durch den Zusatz des Borretschsamen-Öls soll die fettarme und wasserreiche Asche Basis® Lotio "aufgefettet" werden. Galenisch betrachtet führt dies in der Regel zu instabilen Emulsionen. Da die genauen Gewichtsanteile des O/W-Emulgators in der Asche Basis® Lotio ein Betriebsgeheimnis sind, lässt sich nicht vorher abschätzen, ob die Emulgatormenge ausreicht, um weitere lipophile Hilfsstoffe wie hier das Borretschsamen-Öl dauerhaft stabil aufzunehmen. Das Öl kann möglicherweise sofort oder auch erst nach einer gewissen Lagerzeit wieder austreten, wobei die Emulsion bricht.

"Auffettung" von O/W-Emulsionen sinnvoll?

Außerdem stellt die "Auffettung" einer O/W-Emulsion grundsätzlich einen Widerspruch dar. Denn eine stadiengerechte Behandlung muss sich nach der Diagnose der Hauterkrankung und der Hautbeschaffenheit richten. Bei einer akuten Erkrankung und normaler, fetter oder feuchter Haut sollte eine O/W-Emulsion eingesetzt werden. Der Zusatz von Borretschsamen-Öl deutet jedoch darauf hin, dass die Applikationsstelle leicht trocken ist oder zur Trockenheit neigt und der Arzt dies berücksichtigen wollte. Doch im Gegensatz zur Annahme vieler Verordner verändern sich die grundlegende Struktur der O/W-Emulsion und deren physikalische Eigenschaften durch das "Auffetten" nicht. Vielmehr wird eine trockene Haut durch die regelmäßige Anwendung von O/W-Emulsionen noch trockener. Demnach könnte es als "Kunstfehler" bezeichnet werden, eine trockene Haut mit einem O/W-System pflegen zu wollen.

Denn nach dem Auftragen auf die Haut verdunstet wegen der Körperwärme zunächst das Wasser aus der hydrophilen Außenphase. Anschließend emulgiert der O/W-Emulgator das noch in der Haut befindliche Wasser und befördert es über die kohärente Außenphase ebenfalls in die Luft. So wird die Feuchtigkeit in der Haut wie an einem Kerzendocht herausgezogen. Zugesetzte Moisturizer können dies allenfalls verzögern, aber nicht verhindern. Außerdem hat Wohlrab aus Halle [3] in neueren Untersuchungen an Hautquerschnitten gezeigt, dass die in O/W-Emulsionen emulgierten Fette zwar in tiefere Hautschichten geschleust werden können, aber nach dem Waschen durch den O/W-Emulgator komplett wieder aus der Haut herausbefördert werden. Dabei werden auch die physiologischen Substanzen zur Feuchthaltung der Haut (natural moisturizing factor) entfernt, sodass keine Schutzwirkung mehr besteht und die Haut unelastisch wird. Daher ist eine dauerhafte Fettung der Haut mit O/W-Emulsionen nicht möglich. Vielmehr gilt es als unbestritten, dass durch die Anwendung einer lipophilen Creme bzw. W/O-Creme das Wasser am besten im Stratum corneum gehalten werden kann. Daher sollten die zur Körperpflege in großer Zahl angebotenen Feuchtigkeitscremes auf O/W-Basis kritisch hinterfragt werden, zumal diese Produkte meist langfristig und regelmäßig eingesetzt werden.

DAZ.online


Ausführliche Tabellen als Hilfsmittel für das Erkennen und Lösen von Rezepturproblemen finden Sie auf DAZ.online unter DAZ.plus/Dokumente. Grundsätzliche Hinweise zum Umgang mit den Tabellen und ein weiteres Rezepturbeispiel finden Sie in der DAZ 2010; Nr. 30, S. 38 – 45, Ergänzungen dazu ebenfalls bei DAZ.online.

Unklarheit und Optimierung

Durch diese Betrachtung wird auch das unklare Konzept des Verordners offensichtlich. Wenn er der Meinung war, dass die O/W-Lotion für die diagnostizierte Hautstelle zu wasserreich und zu fettarm ist, hat er das falsche System bzw. das falsche Produkt ausgewählt. Dann ist auch zu fragen, ob die Diagnose ausreichend exakt gestellt wurde.

Bei trockener Haut wäre es rationaler und plausibler, eine lipophile Lotion bzw. W/O-Lotion wie z. B. Lipoderm® -Lotion (36% Fettgehalt) zu verwenden, der dann noch Borretschsamen-Öl und Harnstoff zugesetzt werden kann. Damit ergibt sich folgender Vorschlag für eine optimierte Rezeptur:

Rp.

Harnstoff 10,0 g

Milchsäure 1,0 g

NatriumlactatLösung 50% 4,0 g

Gereinigtes Wasser 15,0 g

Borretschsamen-Öl 10,0 g

BHT 0,05 g

Lipoderm-Lotion ad 100,0 g

Vehikel-Typ: lipophile Lotion bzw. W/O-Lotion

Aufbrauchfrist: 6 Monate (Schüttelmixtur-Flasche mit Klappscharnier-Verschluss)

Mikrobielle Stabilität

Gemäß NRF, Allgemeine Hinweise I.4., Tabelle I.4.-2 ("Arzneiformspezifische Richtwerte für Aufbrauchfristen beim Patienten für standardisierte oder chemisch und physikalisch stabile Rezepturen zur wiederholten Anwendung in Mehrdosenbehältnissen") sind flüssige Zubereitungen, wie Emulsionen, Suspensionen, Lösungen nicht konserviert nur eine Woche, in konservierter Form sechs Monate haltbar. Lipoderm® -Lotion stellt hinsichtlich des Vehikel-Typs eine lipophile Emulsion bzw. W/O-Lotion dar, die herstellerseits mit Triclosan und Chlorhexidin konserviert wurde. Daher kann der vorgeschlagenen optimierten Zubereitung eine Aufbrauchfrist von sechs Monaten zugebilligt werden. Dieser Zeitraum entspricht zufällig auch der vom NRF bisher untersuchten Stabilität wasserhaltiger Harnstoff-Rezepturen.


Literatur:

[1] Häckh, G., Schwarzmüller, E., Harnstoff, Codex dermatologischer Wirkstoffe, in Niedner, R., Ziegenmeyer, J., Dermatika, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart (1992), S. 395 – 396

[2] Raab, W., Kindl, U., Pflegekosmetik, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart (2004), 4. Auflage, S. 212 – 215

[3] Wohlrab, J., Klapperstück, T., Reinhardt, H.-W., Albrecht, M., Interaction of Epicutaneously Applied Lipids with Stratum Corneum Depends on the Presence of either Emulsifiers or Hydrogenated Phosphatidylcholine, Skin Pharmacol Physiol (2010) 23: 298 – 305


Autor:

Dr. rer. nat. Gerd Wolf, Fachapotheker für Offizinpharmazie, Robert-Koch-Apotheke,
Fauviller Ring 1, 53501 Grafschaft-Ringen, Fax: (0 26 41) 75 76 20,
E-Mail: robert-koch-apotheke@pharma-online.de

Rezepturprobleme erkennen und lösen


In der DAZ 30 hatte Dr. Gerd Wolf ein praxisorientiertes Konzept zum Erkennen und Lösen von Rezepturproblemen vorgestellt und die Anwendung an einem Beispiel erläutert. Die Vorgehensweise soll hier und in weiteren Beiträgen vertieft werden. In dieser Folge geht es um die Individualisierung einer Fertigarzneimittelgrundlage:

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