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- DAZ 31/2010
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Seite 3
Ungebremste Hemmung
Wenn die Diagnose Parkinson gestellt wird, dann ist im Vorfeld schon viel passiert. Neurone in wichtigen Kerngebieten des Gehirns sind zugrunde gegangen. Und das nicht nur in der für die Steuerung von Bewegungsabläufen wichtigen Substantia nigra compacta, sondern auch in anderen Bereichen, die für vegetative und kognitive Funktionen von Bedeutung sind. Die Folgen sind gravierend. Sie reichen von Bewegungsstörungen, über Tremor, Rigor, Sprech- und Schluckstörungen, Regulationsstörungen des Blutdrucks, der Verdauungs- und der Blasenfunktion bis hin zu Depression und Demenz.
Wie es zu der Degeneration der Neuronen kommt, ist meist ungeklärt. Eine kausale Therapie ist nicht möglich. Deshalb konzentriert sich die Behandlung auf die Linderung der Hauptsymptome, allen voran die der gestörten Bewegungsabläufe. Diese können sich in Form einer eingeschränkten Beweglichkeit bemerkbar machen, erinnert sei an den typischen "gebundenen Gang" eines Parkinson-Patienten. Bewegungen können aber auch abrupt unterbrochen werden: So müssen Parkinson-Patienten damit rechnen, dass die Bewegung während des Gehens einfriert. Immer wieder schildern Patienten, dass plötzlich ein Bein festklebt. "Freezing" wird dieses Phänomen genannt, bei dem nichts mehr geht, vergleichbar mit einem Rädersystem, das unerwartet vollständig blockiert wird.
Wie wichtig die Substantia nigra compacta für den Ablauf kontrollierter Bewegungen ist, das veranschaulicht Prof. Dr. Thomas Herdegen in seiner neuen Folge der PHARMAKO-LOGISCH-Reihe zum Parkinson-Syndrom anhand der tragischen Geschichte des Chemiestudenten Berry Kidston. Kidston konnte sich nach der Injektion einer von ihm selbst hergestellten Designerdroge plötzlich nicht mehr bewegen. Aufgrund der Ähnlichkeit zur Parkinson-Symptomatik wurde er mit L-Dopa behandelt – erfolgreich. Denn die Droge war mit einer Substanz verunreinigt, die schon in Spuren alle Neuronen der Substantia nigra compacta und damit ein wichtiges dopaminerges Kerngebiet zerstören kann.
Wenn auch nicht klar ist, wie es bei ParkinsonPatienten zur Degeneration der Substantia nigra compacta kommt, weiß man doch, wie ein so induzierter Dopamin-Mangel letztlich zum Bewegungsverlust führt. Denn für den kontrollierten Ablauf von Bewegungen sind inhibitorische GABAerge Neuronen, die Bewegungsabläufe hemmen können, von entscheidender Bedeutung. Sie lassen sich jedoch durch Bindung von Dopamin abschalten. Dopamin kann also die Bremswirkung GABAerger Neurone auf die Bewegung lösen. Wird zu wenig Dopamin in der Substantia nigra compacta gebildet, dann werden die GABAergen Neurone ungebremst die Bewegung hemmen, bis hin zum akinetischen Bewegungsmangel.
Nun war es nicht so leicht, den Dopamin-Mangel bei Parkinson aufzuheben. Eine einfache Dopamin-Substitution scheiterte an der fehlenden ZNS-Gängigkeit des Neurotransmitters. Einen Ausweg bot die ZNS-gängige Dopamin-Vorstufe L-Dopa, die allerdings in der Peripherie vor einem Abbau geschützt werden muss. Aber diese Probleme sind seit Langem gelöst. Mithilfe von L-Dopa zusammen mit entsprechenden Enzymhemmern sowie mit weiteren dopaminergen Arzneistoffen lässt sich die GABAerge Blockade bei Parkinson aufheben. Das gelingt zu Beginn der Therapie mit beeindruckendem Erfolg. Doch er ist nicht von Dauer und muss mit teilweise unangenehmen Nebenwirkungen erkauft werden. Und weil es nur eine symptomatische Therapie ist, schreitet die Erkrankung unaufhaltsam fort. Weitere wichtige, nicht Dopamin-abhängige Symptome der Parkinson-Erkrankung, wie vegetative, neurologische und psychiatrische Störungen, bleiben unbeeinflusst. So erfordern beispielsweise Depression und Demenz eine eigene Therapie, die oft mit der der Bewegungsstörungen interferiert.
In unserer PHARMAKO-LOGISCH-Serie hat sich Professor Herdegen in bewährter Weise der Thematik angenommen. Aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet er die Klinik und Pathogenese sowie die Pharmakotherapie des Parkinson-Syndroms, arbeitet die Stärken und Schwächen der verschiedenen Therapiemöglichkeiten heraus und nimmt auch neue Therapieansätze wie die Stammzelltransplantation unter die Lupe. Am Ende wird deutlich: die wichtigsten Symptome des Parkinson lassen sich zwar durch pharmakotherapeutische Strategien zumindest zu Beginn der Erkrankung lindern, doch von einer zufriedenstellenden Therapie oder gar einer Heilung sind wir noch weit entfernt. Die Therapie jedes einzelnen Parkinson-Patienten ist und bleibt wohl noch einige Zeit eine Gratwanderung zwischen unerwünschten und erwünschten Wirkungen, zwischen einem Zuviel an Bewegung und ungebremster Hemmung.
Dr. Doris Uhl
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