Arzneimittel und Therapie

Vaginalgel zeigt protektive Wirkung gegen HI-Viren

Auf der Welt-Aids-Konferenz in Wien wurden neue Ergebnisse zum Kampf gegen die Infektionskrankheit vorgestellt. Besonderes Interesse erregte eine südafrikanische Studie zur Entwicklung eines Vaginalgels mit dem antiviralen Wirkstoff Tenofovir, das das Ansteckungsrisiko für Frauen signifikant senken konnte. Eine weitere Präsentation zeigte die Ergebnisse amerikanischer Wissenschaftler, die zwei neue HIV-Antikörper entdeckten. Im Labor stoppten diese 90% aller bekannten Varianten des HI-Virus, wodurch neue Hoffnungen auf einen Impfstoff gegen die Infektionskrankheit geweckt werden.

Die Idee ist schon faszinierend: Damit Frauen Kinder bekommen, sich zugleich vor Aids schützen können und nicht auf ihre Männer verlassen müssen, sollen sie zu einer Vaginalcreme greifen, die den antiretroviralen Wirkstoff Tenofovir enthält. Dieses sogenannte Mikrobizid tötet die Viren ab und verhindert so die Infektion, und bereits frühere Versuche im Jahre 2005 mit Rhesusaffen zeigten eine Schutzwirkung von 75%. An der jetzt vorgestellten Studie, die vom Center for the Aids Programme of Research in South Africa (Caprisa) durchgeführt wurde, nahmen 889 Teilnehmerinnen im Alter von 18 bis 40 Jahren teil. Sie erhielten ein Gel mit dem Virustatikum Tenofovir (1%) bzw. einem Placebo. Das Gel sollten die Frauen zwölf Stunden vor dem Geschlechtsverkehr und in den zwölf Stunden danach ein zweites Mal anwenden. Außerdem wurden an alle Frauen Kondome ausgegeben, um sie durch die Studienteilnahme nicht zu einem Risikoverhalten zu verleiten.

Die Kondome wurden allerdings – wie befürchtet – nicht von allen Partnern genutzt. In den 30 Monaten der Studie kam es zu 98 HIV-Infektionen, 38 betrafen Anwenderinnen des Tenofovir-Gels, 60 Anwenderinnen des Placebo-Gels. Von den 434 Teilnehmerinnen, die zu Beginn der Studie noch nicht an einem Herpes genitalis erkrankt waren, infizierten sich 29 Anwenderinnen des Tenofovir-Gels und 58 Anwenderinnen des Placebo-Gels. Das Gel zeigte damit eine statistisch signifikante protektive Wirkung gegen Infektionen mit beiden Viren. Die Schutzwirkung vor einer Infektion war deutlich abhängig von der Compliance: Unter den Frauen, die das Gel bei mehr als 80% der Geschlechtsakte angewendet hatten, wurde das Infektionsrisiko um 54% gesenkt, bei einer Anwendung bei 50 bis 80% der Geschlechtsakte war das Risiko um 38% vermindert, bei weniger als der Hälfte dagegen nur um 28%. Die Anwendung des Gels wurde als nebenwirkungsfrei beschrieben.

Wunsch und Realität

Der Leiter der Studie, Salim Abdool Karim von der Universität von KwaZulu-Natal in Südafrika, schätzt, dass das Gel im nächsten Jahrzehnt allein in Südafrika eine Million HIV-Infektionen verhindern könnte. Der Hersteller soll die Rechte zur Produktion des Gels bereits an die Regierung Südafrikas abgetreten haben. Die Kosten werden mit weniger als 25 Cent pro Applikation geschätzt. Auch Anthony Fauci, Leiter des US-National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) in Bethesda/Maryland, Hauptsponsor der Studie, betonte, wie "bedeutend es sei, dass es nach mehreren gescheiterten Versuchen erstmals gelungen ist, die Wirksamkeit eines Vaginalgels zu zeigen". "Dies ist ein guter Tag für die Wissenschaft" urteilte Yasmin Halima, Direktorin der Globalen Kampagne für Mikrobizide.

Wirklich? Wir erinnern uns: Anfang letzten Jahres stellte Salim Abdool Karim auf einer Konferenz in Montreal das Präparat "Pro 2000" vor [2]. Es habe etwa ein Drittel der Frauen vor einer HIV-Infektion geschützt, und erstmals sei damit gezeigt worden, dass ein Mikrobizid beim Menschen funktioniere, so die Aussage damals. An der Studie nahmen 3000 Frauen teil, bei 30% von ihnen habe das Gel die erhoffte Wirkung gezeigt. Die Ergebnisse wurden seinerzeit von Antony Fauci als "ermutigend" bezeichnet. In einer großen Studie mit mehr als 9000 Frauen in vier afrikanischen Ländern zeigte sich dann aber letztlich jedoch keinerlei Schutzwirkung. Seitdem ist es still geworden um "Pro 2000". Zu einem Einsatz auch des jetzt vorgestellten Vaginalgels wird es wohl nicht kommen, da es "bessere Methoden des Infektionsschutzes gibt und ein millionenfacher konsequenter Einsatz eines solchen Gels kaum denkbar ist" [3].

Hochwirksame Antikörper gegen HIV

Ein weiterer Ansatz im Kampf gegen Aids ist die Suche nach einem Impfstoff. Amerikanische Wissenschaftler identifizierten aus dem Blut eines HIV-Infizierten, der seit Jahren ohne Behandlung mit der Krankheit lebt, zwei hochwirksame Antikörper. Unter Laborbedingungen stoppte einer von ihnen, VRC01, mehr als 90% aller bekannten HIV-Stämme [4, 5]. Die Forscher sind zuversichtlich, einen Impfstoff entwickeln zu können, der einen Großteil der HIV-Neuinfektionen verhindert. Es gibt jedoch auch zahlreiche skeptische Stimmen zu den gegenwärtigen Möglichkeiten eines umfassenden Schutzes durch einen Impfstoff gegen den Aids-Erreger.

Die jetzt identifizierten Antikörper VRC01 und VRC02 neutralisieren mehr HIV-Stämme als alle anderen bisher bekannten. Mithilfe eines modifizierten Proteins von HIV-1 wurden sie aus dem Blut eines Infizierten isoliert. Die beiden Moleküle blockieren eine Andockstelle des HI-Virus: Alle HIV-1-Stämme benötigen als Eintrittspforte in Lymphozyten die CD4-Bindungsstruktur auf der Membranoberfläche dieser Zellen. Daher ist das "konservative" Oberflächenmolekül gp120 von HIV-1, das an den CD4-Marker auf Immunzellen bindet, von besonderem Interesse. Ist die CD4-Bindungsstelle besetzt, kann der Erreger nicht mehr an die Zelle andocken.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass auf der Basis ihrer Erkenntnisse die Möglichkeit zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen den Aids-Erreger besteht. Das Hauptproblem stellte bislang jedoch dessen hohe Variabilität dar. Die jetzt entdeckten Antikörper würden sich hingegen "an einen praktisch unveränderlichen Teil des Virus anheften, und das erklärt warum sie eine so außerordentlich große Zahl von HIV-Stämmen neutralisieren können", erläuterte John Mascola, Vizedirektor des Vaccine Research Centers (VRC) am NIH-Institut für Allergologie und Infektionskrankheiten (NIAID), zuversichtlich.

Auf dem Weg zu einem erfolgreichen Impfstoff?

Eines ist jedoch klar: Einen Schutz gegen eine HIV-Infektion bieten vor allem intensive Präventionskampagnen und eine Stärkung der zellulären Abwehr. So euphorisch die jetzt veröffentlichten Ergebnisse auch kommentiert werden, sie beleuchten nur einen Ansatz zur Bekämpfung der Immunschwäche-Krankheit Aids. Bereits im vergangenen Jahr hatten amerikanische Wissenschaftler Antikörper im Serum HIV-Infizierter entdeckt, die bis zu 78% aller HIV-Stämme unschädlich machen können. Zudem wäre es nicht das erste Mal, dass große Hoffnungen in einen Impfstoff nach ersten Erfolgen enttäuscht werden. Eine Impfung gegen HIV hatte in Thailand die Infektionsrate um 31% verringert. Diese Impfung mit einem Kombinationsimpfstoff aus zwei genetisch veränderten Vakzinen, die einzeln keinen Schutz brachten, wird nicht – wie seinerzeit angekündigt – Millionen Menschen vor HIV schützen, denn sie kommt gar nicht auf den Markt.

Quelle [1] Karim, Q.A.; et al.: Effectiveness and Safety of Tenofovir Gel, an Antiretroviral Microbicide, for the Prevention of HIV Infection in Women. Science Express, 19. 7. 2010. [2] Stephenson, J.: HIV Studies: Progress in Microbicides, Dead End for an Immune-Boosting Strategy. JAMA 2009; 301(14): 1421 –1422. [3] Rödder, H.D.: Der Standpunkt: Wissen ist Macht gegen HIV. Ärzte Zeitung, 23. 7. 2010. [4] Wu, X. ; et al.: Rational Design of Envelope Identifies Broadly Neutralizing Human Monoclonal Antibodies to HIV-1. Science 2010; DOI: 10.1126/science. 1187659 8. 7. 2010. [5] Zhou, T.; et al.: Structural Basis for Broad and Potent Neutralization of HIV-1 by Antibody VRC01. Science 2010; DOI: 10.1126/scence.1192819 8. 7. 2010.

 


Dr. Hans-Peter Hanssen

Welt-Aids-Konferenz

Von Glamour, Prominenz, neuen Studien und finanzieller Hilfe


Politik und Wissenschaft – die Welt-Aids-Konferenz 2010 zeigte erneut, was auch schon in früheren Jahren offensichtlich war: Eine erfolgreiche Prävention der Infektionskrankheit ist vor allem von den gesellschaftlichen Bedingungen und der politischen Umsetzung von entsprechenden Programmen in den betroffenen Ländern abhängig. Die auf der Konferenz präsentierten Studien zur HIV-Therapie hingegen lassen – auch wenn sie euphorisch als "spektakulär" und als "Durchbruch im Kampf gegen Aids" gewürdigt wurden – Zweifel an ihrer tatsächlichen Relevanz und Realisierbarkeit aufkommen.

Den Auftakt zur diesjährigen Welt-Aids-Konferenz in Wien bildete der glamouröse 18. Life Ball. Zu den zahlreichen prominenten Gästen zählten der frühere US-Präsident Bill Clinton, Ex-Tennisstar Boris Becker und Whoopi Goldberg. "Wir feiern, dass sich keiner mehr wegen Aids verstecken muss", so die Schauspielerin, die die amerikanische Aidshilfsorganisation repräsentierte.

Über 20.000 Teilnehmer nahmen an der Konferenz vom 18. bis 23. Juli teil. Wien war wegen seiner Nähe zum Osten als Konferenzort gewählt worden, da sich vor allem in Osteuropa und Zentralasien die Krankheit ungebremst ausbreitet. Diese Regionen sind nach einer neuen Unicef-Studie die einzigen Gebiete weltweit, in denen die Rate der Neuinfektionen mit dem HI-Virus weiter steigt. 80% der Infizierten seien jünger als 30 Jahre alt. Zwischen 2001 und 2008 erhöhte sich dort die Zahl der HIV-Infizierten um 66% auf 1,5 Millionen Menschen. Seit 2006 verzeichneten einige Regionen Russlands gar einen Anstieg um bis zu 70%. Weltweit sind derzeit mehr als 33 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert, in Deutschland etwa 67.000. Jährlich sterben rund zwei Millionen an Aids. Weltweit am schwersten von der HIV-Epidemie betroffen ist allerdings das südliche Afrika: 2007 lebten mit 22,0 Millionen HIV-positiver Menschen 67% aller Menschen mit HIV/Aids in Gebieten südlich der Sahara; dort kam es zu 75% (2,0 Millionen) aller Todesfälle. 2,3 Millionen Menschen wurden neu infiziert.

Unterdessen hat Deutschland angekündigt, im nächsten Jahr wiederum 200 Millionen Dollar an den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria zu überweisen, danach aber die Zahlungen einzustellen und stattdessen bilaterale Projekte stärker zu fördern. Im letzten Jahr standen dem Fonds 15,9 Milliarden Dollar zur Verfügung. Die größten staatlichen Geldgeber waren die USA mit 1,05 Milliarden Dollar, Frankreich mit 300 Millionen Dollar und Deutschland mit 200 Millionen Dollar. Von vielen Hilfsorganisationen wurde eindringlich auf die Notwendigkeit einer ausreichenden Finanzierung von Anti-HIV-Programmen hingewiesen. Sie befürchten, dass staatliche Sparprogramme und die damit verbundene abnehmende finanzielle Unterstützung die Bemühungen zur Bekämpfung von Aids künftig erschweren werden. "Die Geberländer – darunter Deutschland – versuchten sich klar aus der Verantwortung zu ziehen" kritisieren auch Ärzte ohne Grenzen. Es bleibt allerdings festzuhalten, dass gezielte Programme zur Prävention der Erkrankung in der Vergangenheit mehr gebracht haben als mit der Gießkanne ausgeschüttete Forschungsmittel für eine nicht realisierbare HIV-Therapie.

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