Praxis aktuell

Arbeiten mit Bevacizumab – die Sicherheitsbestimmungen

Arbeitschutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit Arzneimitteln, vor allem mit teratogener oder embryotoxischer Wirkung, sind einzuhalten. Darauf weist die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) ausdrücklich hin. Anlass ist das Schreiben einer Krankenkasse, wonach bei der Verarbeitung von Bevacizumab nur die Vorschriften für die Sterilanfertigung einer parenteralen Lösung einzuhalten seien. Diese Aussage ist jedoch falsch, so die gesetzliche Unfallversicherung.
Bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen gelten Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für werdende und stillende Mütter sowie für Jugendliche.
Foto: DAZ/diz

In einem aktuellen Schreiben einer Krankenkasse heißt es: "Gemäß Herstellerinformationen sind bei Avastin® lediglich die Vorschriften für die Sterilanfertigung einer parenteralen Lösung zu beachten. Darüber hinaus gehende Sicherheitsbestimmungen bei der Herstellung und Entsorgung sind nicht einzuhalten". Diese Aussage, die die Sicherheitsmaßnahmen in Apotheken betrifft, ist falsch und führte in letzter Zeit zu großer Verunsicherung in Apotheken. In ihrer Verantwortung für den Schutz der Beschäftigten sieht es die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) als notwendig an, den Sachverhalt klarzustellen.

Gefährdungsbeurteilung durchführen

Arzneimittel zur parenteralen Anwendung werden vorbereitet, indem Trockensubstanz gelöst und verdünnt oder Konzentrate verdünnt werden. Orale Arzneiformen müssen für Spezialanwendungen gemörsert werden. Im Umgang mit den Arzneimitteln können auch unbeabsichtigte Verschüttungen vorkommen. Weisen Arzneimittel gefährliche Eigenschaften wie reizend, sensibilisierend oder krebserzeugend auf, sind sie bei diesen Tätigkeiten Gefahrstoffe, für die die Schutzvorschriften der Gefahrstoffverordnung gelten [1]. Lediglich von den umfassenden Kennzeichnungsvorschriften nach dem Gefahrstoffrecht sind Fertigarzneimittel ausgenommen.

Arbeitsschutzverantwortliche in Apotheken müssen daher beim Umgang mit Arzneimitteln eine Gefährdungsbeurteilung durchführen, bei der sie prüfen, ob die Arzneimittel gefährliche Eigenschaften haben und ob gesundheitsschädliche Wirkstoffe bei der Tätigkeit eingeatmet werden können oder ob Hautkontakt besteht. Besondere Aufmerksamkeit verlangen krebserzeugende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Stoffe. Die notwendigen Schutzmaßnahmen werden nach dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung festgelegt. Die grundlegende Vorgehensweise beschreiben insbesondere die Paragrafen 7 bis 14 der Gefahrstoffverordnung sowie die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 400 [2]. Konkretisierende Angaben für Einrichtungen zur humanmedizinischen Versorgung enthalten die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 525 [3]. Danach ist die Exposition der Beschäftigten gegenüber Arzneimitteln, bei denen bei der Handhabung Stoffe mit gefährlichen Eigenschaften freigesetzt werden können, grundsätzlich nach dem Stand der Technik zu vermeiden.

Bei der Entsorgung von Arzneimitteln müssen darüber hinaus die abfallrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen (Land-)Kreises oder der kreisfreien Stadt eingehalten werden [4]. Herstellerinformationen sind eine der wesentlichen Informationsquellen im Rahmen der Informationsbeschaffung. Die Fachinformation für das Arzneimittel und das Sicherheitsdatenblatt allein enthalten aber nicht, wie im oben genannten Schreiben ausgesagt, alle notwendigen Informationen.

Gefährdungspotenzial von Arzneimitteln

Zum Gefährdungspotenzial von Arzneimitteln gibt es wenige Informationen. Nur in Einzelfällen existieren Einstufungen des Gesetzgebers oder Herstellers, so z. B. für einige Arzneistoffe aus der Gruppe der Zytostatika und der Steroidhormone [5]. Für nicht eingestufte Stoffe müssen sich Arbeitsschutzverantwortliche in Apotheken die notwendigen Informationen aus anderen, mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Quellen selbst beschaffen. Dies können Daten von Zulassungsbehörden oder auch branchenbezogene Gefahrstoffbewertungen der Unfallversicherungsträger sein [2]. Zur Identifikation potenziell gefährlicher Stoffe und auch zu Schutzmaßnahmen stehen umfangreiche Informationen auf den Internetseiten der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) zur Verfügung [6, 7, 8, 9].

Beurteilung von Bevacizumab

Speziell die Gefährdungsbeurteilung bei der Handhabung monoklonaler Antikörper wie Bevacizumab (Avastin®) im Gesundheitsdienst wird schon seit einigen Jahren in der Fachwelt diskutiert [10, 11]. Im Sicherheitsdatenblatt für Bevacizumab wird eine teratogene und embryotoxische Wirkung im Tierversuch angegeben [12]. Da die individuelle Beurteilung der Informationen durch Apotheker in der Praxis ein Problem darstellt, hat die BGW in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) den derzeitig international verfügbaren Wissensstand zur Gefährdungsbeurteilung von monoklonalen Antikörpern in der Antitumortherapie (ATC Klasse L01XC) recherchiert mit dem Ziel, qualifizierte Aussagen zur Bewertung als Handlungshilfe zu erarbeiten. Die Arzneistoffe wurden im Hinblick auf ihre gefährlichen Eigenschaften nach den Kriterien des Gefahrstoffrechtes bewertet und die Aufnahmewege untersucht. Die Ergebnisse wurden im Arbeitskreis "TRGS 525" mit Vertretern der Arzneimittelhersteller, der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und Länderbehörden sowie Apothekern diskutiert und ein Konsens zur Bewertung der monoklonalen Antikörper zum Schutz der Beschäftigten erarbeitet. In einem Arbeitspapier des Arbeitskreises sind das aktuelle Wissen und der Sachstand zur Bewertung nach Beratung ausführlich dargestellt [13]. Darüber hinaus existieren aktuelle Fachpublikationen [14, 15]. Die Untersuchungen zeigen, dass grundlegende toxikologische Prüfungen, wie sie das Gefahrstoffrecht vorsieht, für monoklonale Antikörper nur teilweise vorliegen.

Bezogen auf den Wirkstoff Bevacizumab sprechen aber pathophysiologische Kenntnisse und Tierversuche dafür, diesen wie einen fruchtschädigenden Stoff und einen Stoff, für den der Verdacht auf eine fortpflanzungsgefährdende Wirkung besteht, zu behandeln. Unter Berücksichtigung der Konzentration des Wirkstoffes im Arzneimittel wäre Avastin® als "giftig" im Sinne des Gefahrstoffrechtes und mit R 61 "Kann das Kind im Mutterleib schädigen" einzustufen. Die Gefährdung bei Tätigkeiten ist von den toxischen Eigenschaften aber auch vom Ausmaß der Aufnahme der Stoffe in den Körper abhängig. Von den verschiedenen potenziellen Aufnahmewegen haben die orale und die dermale Aufnahme keine Bedeutung. Eine inhalative Aufnahme – wenn auch in geringem Umfang – ist möglich. Zusätzlich kann eine unbeabsichtigte intravenöse oder subkutane Aufnahme zum Beispiel durch Stichverletzungen erfolgen. Tolerable Aufnahmemengen, die bei langjähriger Exposition das Risiko einer Schädigung durch monoklonale Antikörper auf ein gesellschaftlich akzeptiertes Maß begrenzen, sind unbekannt. Darum muss das Vorsorgeprinzip greifen. Die vorliegende Bewertung für monoklonale Antikörper in der Antitumortherapie [7, 13] stellt eine branchenbezogene Gefahrstoffbewertung im Sinne der TRGS 400 Nummer 4.1 Absatz 6 dar. Sie ist eine wichtige Vorinformation für die Gefährdungsbeurteilung und kann herangezogen werden, solange keine verbindliche Einstufung vorliegt. Maßnahmen zur Minimierung der Exposition der Beschäftigten sind nach den Prinzipien der Gefahrstoffverordnung festzulegen. Bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen gelten Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für werdende und stillende Mütter sowie für Jugendliche [16, 17]. Monoklonale Antikörper in der Antitumortherapie, Bevacizumab eingeschlossen, sind als fruchtschädigend anzusehen. Für fruchtschädigende Stoffe besteht ein Expositionsverbot für werdende Mütter. Sie dürfen somit nicht mit der Herstellung, der Applikation oder auch Prüfung dieser Arzneimittel beauftragt werden, solange bei den Arbeitsverfahren trotz aller Schutzmaßnahmen eine Belastung zu befürchten ist, die über der ubiquitären Belastung liegt.

Literatur [1] Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung - GefStoffV) vom 23. Dezember 2004, geändert am 18. Dezember 2008, BGBl I: 2768. Internet www.baua.de [2] Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 400 "Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen". GMBl Nr.11/12;März 2008: 211-223. Internet www.baua.de [3] Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 525 "Umgang mit Gefahrstoffen in Einrichtungen zur humanmedizinischen Versorgung". BArbBl. 5;1998:99-105. Internet www.baua.de [4] Schrift "Abfallentsorgung - Informationen zur sicheren Entsorgung von Abfällen im Gesundheitsdienst" (EP-AE), Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Stand 01/2007. Internet www.bgw-online.de [5] Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 905 "Verzeichnis krebserzeugender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender Stoffe". Internet www.baua.de [6] Schrift "Zytostatika im Gesundheitsdienst" (M 620), Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Hamburg, Stand 07/2009. Internet www.bgw-online.de. [7] Fachartikel "Bewertung der gefährlichen Eigenschaften von antineoplastisch wirksamen Arzneistoffen des ATC-Code L01 und L02 zum Schutz der Beschäftigten". Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Internet www.bgw-online.de. [8] Schrift "Arzneistoffe mit Verdacht auf sensibilisierende und cmr-Eigenschaften" (EP-Akmrs), Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Stand 10/2009, Internet www.bgw-online.de [9] Halsen G, Krämer I. Umgang mit Zytostatika: Gefährdungsbeurteilung – kein Problem?! Krankenhauspharmazie 25;2004;2:43-52. [10] Barth J. Proteinogene Arzneimittel in der Onkologie Teil 1: Sichere und korrekte Handhabung in der Praxis. PZ Prisma 13;2006;4:201-7. [11] Langford S, Fradgley S, Evans M, Blanks C. Assessing the risk of handling monoclonal antibodies. Hospital Pharmacist 2008;15:60-4. [12] Bevacizumab. Sicherheitsdatenblatt. F. Hoffmann-La Roche AG. Stand Februar 2008 [13] Schrift "Bewertung monoklonaler Antikörper zum Schutz Beschäftigter" (EP-BmAk), Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Stand 12/ 2008. Internet www.bgw-online.de [14] Halsen G, Krämer I. Gefährdungsbeurteilung monoklonaler Antikörper der ATC-Klasse L01XC. Krankenhauspharmazie 30;2009;9:441-53 [15] Halsen G, Krämer I. Assessing the risk to health care staff from long-term exposure to anticancer drugs – the case of monoclonal antibodies. Journal of Oncology Pharmacy Practice (eingereicht am 28.2.2010, angenommen am 31.3.2010). [16] Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (MuSchArbV) vom 15. April 1997, BGBl 1997:782. [17] Gesetz zum Schutz der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz - JArbSchG) vom 12. April 1976, BGBl. I S. 965, geändert durch Artikel 230 der Verordnung vom 31. Oktober 2006, BGBl. I: S. 2407.


Anschrift der Verfasser

Dr. Gabriele Halsen, PD Dr.-Ing. Udo Eickmann, Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Fachbereich Gefahrstoffe/ Toxikologie, Bonner Str. 337, 50968 Köln

 

Dr. Michael Heger, Vorsitzender des Arbeitskreises TRGS 525, Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz Saarbrücken, Don Bosco Str. 1, 66119 Saarbrücken

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