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Bayerischer Apothekertag
Wie bleibt alles bezahlbar?
Das gesundheitsökonomische Fundamentalproblem aller Industriestaaten ist, so Neubauer, dass der Bedarf der Bevölkerung an Leistungen im Gesundheitswesen jährlich um 2 bis 3% wächst und die Einnahmen nicht mehr Schritt halten. Verantwortlich dafür ist eine immer älter werdende Gesellschaft, der Lebensstil, die medizinischen Innovationen. Die Folge: Die Mittel werden knapper. Doch wie ist die Finanzierungslücke zu schließen? Verschiedene Ansätze werden diskutiert, z. B. die Priorisierung – nicht mehr alles kann allen zur Verfügung stehen. Neue Arzneimittel sollen beispielsweise in Zukunft den Nachweis erbringen, dass sie mehr können als die bereits im Markt befindlichen und erst dann erstattungsfähig sein. Kosten-Nutzen-Dossiers sollen mit dem Zulassungsantrag eingereicht werden.
Ein weiterer Ansatz: Der Prävention muss ein größerer Stellenwert zukommen und zwar verstärkt im jugendlichen Alter. Auch dadurch ließen sich Kosten einsparen.
Die demografische Entwicklung der Bevölkerung führt dazu, dass die Gesundheitsausgaben weiter steigen werden. Die Arzneimittelausgaben beispielsweise steigen ab einem Lebensalter von 40 Jahren langsam, ab einem Alter von 60 Jahren deutlich an bis etwa zum 80. Lebensjahr; danach sinken sie wieder. Wenn die Menschen immer älter werden, wird dies zu starken Ausgabenzuwächsen führen. Hinzu kommt eine starke Zunahme chronischer Erkrankungen. Fast die Hälfte der chronisch Kranken sind multimorbid. In Deutschland leben bereits heute 18,8 Millionen chronisch kranke Menschen. Davon sind 8 Millionen multimorbid, sie müssen mindestens drei Arzneimittel einnehmen. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Gruppe der stationären Pflegepatienten von heute 700.000 auf zwei Millionen verdreifachen. Auch ambulante Pflegefälle nehmen von heute 1,4 Millionen auf rund zwei Millionen bis 2050 zu. Das bedeutet, dass der Finanzbedarf ebenso rasant wachsen wird.
Nach Neubauer ist es fraglich, ob wir mit den heutigen Finanzierungsstrukturen zurande kommen. Derzeit fußt sie auf 14,9% einer Beitragsbemessungsgrenze von 3750 Euro. Viele Menschen unserer Gesellschaft sind jedoch arbeitslos, viele arbeiten in Teilzeit oder haben keinen vollwertigen Arbeitsplatz und zahlen somit keine oder nur geringe Sozialversicherungsbeiträge. Hinzu kommt, dass die arbeitende Bevölkerung, also die größten Beitragszahler, aufgrund von Abwanderung schrumpft. "Das ist nicht lange durchzuhalten", so der Ökonom.
Eine Neuordnung der Finanzierung unseres Gesundheitswesens steht an. Neubauer favorisiert eine Dreiteilung des Marktes. Eine GKV-Basisversorgung deckt 60 Prozent des Versicherungsumfangs ab. Eine freiwillige Zusatzabsicherung (GKV-Wahltarife) sichert weitere 30 Prozent ab. Die letzten 10 Prozent und darüber hinaus ist der Markt der Selbstzahler.
Neubauer unterbreitete Vorschläge, um eine effizientere Gesundheitspolitik durchzusetzen. Um aus der demografisch-demokratischen Reformfalle zu kommen, in der Deutschland steckt, könnte man beispielsweise einem Menschen so viele politische Stimmen zuteilen, wie viele Lebensjahre er bis zum Lebensjahr 100 hat. Ein 30-Jähriger hätte demnach 70 Stimmen, ein 60-Jähriger nur noch 40 Stimmen. Dadurch bekommen diejenigen, die am meisten Beiträge bezahlen, auch am meisten politisches Stimmgewicht. Da die Politiker darauf achten, woher ihre Stimmen kommen, mit denen sie gewählt werden, könnten sich die Interessen entsprechend durchsetzen. Man könnte auch die Wahlperioden verlängern, so Neubauer, damit eine langfristige Gesundheitspolitik Chancen hätte und nicht immer nur kurzfristige Sparmaßnahmen greifen.
Biosimilars können sparen helfen
Prof. Dr. Schubert-Zsilavecz zeigte in seinem Vortrag, welche Auswirkungen die Entwicklungen auf dem Arzneimittelmarkt auf das Gesundheitswesen haben. Die Ausgaben für Arzneimittel steigen. Ein Grund hierfür sind teurere Innovationen, wenngleich die Zulassung neuer Arzneimittel in den letzten Jahren abgenommen hat. Es wird immer schwieriger werden, wirkliche Arzneimittelfortschritte auf den Markt zu bringen. Andererseits: "Die Hausaufgaben sind erfüllt", so Schubert-Zsilavecz. Denn heute gibt es bereits hervorragende Arzneimittel für wichtige Volkskrankheiten, beispielsweise gegen die arterielle Hypertonie. Hervorzuheben sind auch die Säureblocker, mit deren Hilfe in vielen Fällen Krankenhausaufenthalte und Operationen eingespart werden können. Ähnliches gilt für die Osteoporose-Präparate, die helfen, teurere Krankheiten zu vermeiden.
Als drängendes Problem sieht er dagegen Möglichkeiten zur Behandlung der Adipositas. Zur medikamentösen Therapie steht hier kaum ein Präparat zur Verfügung. Er rechnet nicht damit, dass sich hier in Zukunft viel tun wird.
Ein großer Markt sind die Biologicals, beispielsweise monoklonale Antikörper gegen die rheumatoide Arthritis. Solche gentechnologisch hergestellten Präparate sind in aller Regel auch aufgrund der aufwendigen Herstellung sehr teuer.
Ein Ausweg, um von den hohen Kosten wegzukommen, stellt der Einsatz von Biosimilars dar, die nach dem Patentablauf eines Biologicals hergestellt werden können. In den kommenden Jahren werden hier aufgrund der bevorstehenden Patentausläufe zahlreiche Biosimilars auf den Markt kommen. Mit ihnen werden deutliche Einsparungen im Verordnungsbereich erzielt werden können.
Die sich anschließende Diskussion, moderiert von Daniel Rücker, Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung, und Peter Ditzel, Chefredakteur der Deutschen Apotheker Zeitung, vertiefte das Thema, wie die Herausforderungen der Zukunft im Gesundheitswesen angegangen werden könnten. Der Ökonom Neubauer und der Wissenschaftler Schubert-Zsilavecz vertieften und erläuterten ihre Referate. Einen größeren Stellenwert dürfte die Prävention einnehmen. Der Apotheker wird noch weit mehr als heute im Präventionsbereich dazu beitragen müssen, die Bevölkerung zu einer gesunden Lebensführung anzuhalten. Auch in seiner Beratung wird sich der Apotheker auf immer mehr Patienten einstellen müssen, die multimorbide sind. Die universitäre Ausbildung bereitet ihn hierfür vor, beispielsweise mit dem Fach der klinischen Pharmazie. Dennoch könnte und müsste hier in Zukunft noch mehr getan werden, so der Tenor.
Die beiden Standespolitiker Krötsch und Hubmann wünschten sich, dass die Politik die Leistungen der Apotheker mehr anerkennt. Der Apotheker leistet über die Distribution hinaus weit mehr für das Gesundheitswesen, beispielsweise in der Prävention.
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