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Westerwelles One-Man-Show ist Vergangenheit
Nicht nur in der Steuerpolitik verabschiedet sich die FDP stufenweise von ihrer vollmundigen Wahlkampfrhetorik. Großspurig daherreden ist einfacher als regieren. Fünf statt drei Stufen sollen dem liberalen Kernthema "Mehr Netto vom Brutto" das Überleben retten. Umgefallen wie die SPD vor vier Jahren bei der Mehrwertsteuererhöhung ist die FDP noch nicht. Immerhin.
Kontroverse Themen weitgehend ausgeklammert
Die Entscheidungen des FDP-Parteitags: Ein einfacheres Steuersystem, mehr Ärzte im ländlichen Raum, besserer Datenschutz, Hilfen für Griechenland. Dazu hat die FDP bei ihrem Parteitag in Köln Beschlüsse gefasst. Aber zu den kontroversen Themen der Regierungskoalition hörte man kaum etwas. So berieten die Freien Demokraten auf ihrem 61. Ordentlichen Parteitag zwei Stunden lang im Rahmen der gesundheitspolitischen Beratung ausschließlich über Maßnahmen zur Bekämpfung des Ärztemangels auf dem Land. Alle anderen kontroversen Themen der aktuellen Gesundheitspolitik klammerten die FDP-Delegierten auf Vorgabe der Parteiführung aus. Es gab keine Diskussion über das Arzneimittelsparpaket, über Preisstopp und Zwangsrabatte für Arzneimittel, über die beabsichtigte Kappung der Großhandelsrabatte an Apotheken und das Ob und Wie des Pick-up-Verbotes. Ebenso wenig diskutierten die Freien Demokraten über die in der Regierungskoalition umstrittene Einführung einer Kopfprämie zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und den dafür notwendigen Sozialausgleich aus Steuermitteln.
Alles drehte sich um den Ärztemangel
Mit dem vom FDP-Parteivorstand eingebrachten Leitantrag zum Ärztemangel kanalisierte die FDP-Führung den Debattenverlauf. Alle anderen aktuellen gesundheitspolitischen Themen standen nicht auf der Tagesordnung. In der zweistündigen Aussprache gab es zu dieser Regie keinen Widerspruch. Die Redebeiträge konzentrierten sich diszipliniert auf das Antragsthema "Ärztliche Versorgung auch in Zukunft sichern". Im dreiseitigen Antrag, der unverändert vom Parteitag angenommen wurde, fordert die FDP neben leistungsgerechterer Bezahlung und Abbau von bürokratischen Hürden für Hausärzte staatliche Eingriffe zur Linderung des Ärztemangels auf dem Land. Weil inzwischen fast 70 Prozent der Medizinstudenten Frauen sind, will die FDP die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und dazu flexiblere Arbeitszeitmodelle in Kliniken einführen, Medizinische Versorgungszentren stärken und die Möglichkeit von Anstellungsverhältnissen in Praxen erweitern.
Umsatzgarantie für Ärzte
Ebenfalls stimmte der FDP-Parteitag für die Einführung einer Landarztquote durch die Bundesländer in Verbindung mit der Vergabe von Stipendien und Investitionshilfen zur Praxisgründung. Ebenso sprachen sich die Freien Demokraten für Umsatzgarantien für Ärzte aus, die bereit sind, sich in unterversorgten Regionen niederzulassen. Vereinzelte Kritik an den für liberales Wirtschaftsverständnis ungewöhnlichen Maßnahmen wurde von der Mehrheit der Delegierten überstimmt.
Die FDP tritt zudem dafür ein, die Zahl der Medizinstudenten dauerhaft um zehn Prozent zu erhöhen. Zu diesem Zweck soll der Numerus clausus gelockert und Studienbewerber aus anderen Gesundheitsbereichen wie der Pflege eine Chance erhalten.
Es muss sich wieder lohnen
Auch die Ärztedebatte stellte die FDP unter das Parteitagsmotto "Arbeit muss sich wieder lohnen". Es gehe darum, den Arztberuf wieder attraktiv zu machen, sagte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP): "Arbeit muss sich wieder lohnen für Ärzte." Hausbesuche und zeitraubende medizinische Gespräche mit Patienten müssten wieder besser honoriert werden. Damit Landärzte frei medizinische Entscheidungen treffen könnten und keine Rücksicht auf betriebswirtschaftliche Notwendigkeit nehmen müssten, schlug Rösler zudem vor, Wirtschaftlichkeitsprüfungen ihrer Praxen auszusetzen.
Schlechte Umfragewerte
Wie aber zahlt sich Regierungsarbeit für die FDP aus? Das ist die Kernfrage für die Freien Demokraten. "Leistung muss sich lohnen", regieren müsste sich also für die Liberalen lohnen. Wo aber bleibt für die Freien Demokraten die politische Rendite nach sechs Monaten? Die FDP zeigte sich in Köln entsprechend verunsichert. In den Umfragen zur NRW-Landtagswahl zahlt sich die Regierungsverantwortung in Berlin jedenfalls nicht aus. Statt bei zehn Prozent wie von FDP-Parteichef Guido Westerwelle taxiert, liegen die Liberalen im größten Bundesland nur zwischen fünf und acht Prozent in den letzten Umfragen und müssen um die Macht an Rhein und Ruhr fürchten.
Bürger kommen zum Motzen statt zum Informieren
Die NRW-Wahlkämpfer berichten vom Unmut der Bürger in den Fußgängerzonen. Sie erzählen von der Enttäuschung auch der eigenen Anhänger über die zögerlichen Fortschritte bei der Steuerreform, über die Vorwürfe der Lobbypolitik für Hoteliers und über die öffentlichen Debatten wegen der Beteiligung von Freunden und Gönnern Westerwelles an Reisedelegationen des Außenministers. "Sonst kommen die Bürger an unsere Stände, um sich zu informieren", sagt ein Delegierter. "In diesem Wahlkampf kommen sie zum Motzen." Es reicht eben nicht aus, mit kämpferischen und teilweise schrillen Parolen die Regierungssessel zu erobern. Verteidigen und ausbauen kann man mit der gleichen Strategie die Verantwortung in Ministerämtern nicht. So sehr Guido Westerwelle seiner Ministerzeit entgegen fieberte, so schlecht hatte der FDP-Chef seine Partei darauf vorbereitet.
Neuer "Wadenbeißer" Christian Lindner
In Köln machten sich die Freien Demokraten vorsichtig auf den Weg, die oppositionelle One-Man-Show, die Westerwelle-FDP, in ihren Strukturen den Regierungsnotwendigkeiten anzupassen. Mit Christian Lindner steht FDP-Chef Westerwelle ein Generalsekretär zur Seite, der die Rolle des innenpolitischen Wadenbeißers und parteipolitischen Strategen ausfüllen kann. Liberalismus mit Herz statt Westerwelles Kaltschnäuzigkeit – Lindners Kontrastprofil kann der FDP nur nutzen.
Nicht nur mit Lindner emanzipiert sich die FDP von der Dominanz ihres in der Opposition allmächtigen Vorsitzenden. Während die eher blassen Minister Dirk Niebel und Rainer Brüderle kaum in Erscheinung traten, stellten Philipp Rösler und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eigene Leitanträge vor, ihre Ressorts Gesundheit und Justiz wurden ins Schaufenster gestellt. Das schafft neue innenpolitische Spielräume. Westerwelles An-Spruch "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt es nur einen, der die Sache regelt: Und das bin ich!" gilt seit Köln nicht mehr. Guido Westerwelle bleibt zwar bis auf Weiteres der unumstrittene Chef der FDP. An seiner Seite haben aber gewichtige Helfer Platz genommen. Ob daraus eines Tages Konkurrenten um den FDP-Chefposten erwachsen, hängt unter anderem vom Wahlausgang in NRW ab.
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