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- DAZ 14/2010
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Wo sparen?
Er liegt nicht ganz falsch, unser neuer Gesundheitsminister. Seine vor Ostern vorgelegten "Eckpunkte zur Umsetzung des Koalitionsvertrages für die Arzneimittelversorgung" starten mit einer weitgehend richtigen Analyse. Die Konsequenzen, die er daraus zieht, sind allerdings nicht immer nachvollziehbar.
Verständlich ist, dass der Anstieg der GKV-Ausgaben für Arzneimittel bei Rösler Fragen aufwirft, nicht nur in 2009. Zu Recht heißt es in den Eckpunkten, Treiber der Ausgaben seien Arzneimittel ohne Festbetrag; die GKV-Umsätze mit Festbetragsarzneimitteln seien sogar gesunken. Wachstumstreiber seien kostenintensive Spezialpräparate mit jährlich zweistelligen Zuwachsraten. Ihr Anteil am GKV-Arzneimittelumsatz erreiche bereits rund 26%, obwohl ihr Verordnungsanteil nur 2,5% betrage.
Soweit, so richtig. Rösler hat erkannt, wo der Hase im Pfeffer liegt. Die angesprochenen Spezialpräparate – vor allem Biologicals, oft Onkologika – sind zwar häufig hoch innovativ, und sie eröffnen oft neue Therapieoptionen. Manchmal aber ist dennoch fraglich, ob ihr Nutzen (z. B. eine Lebensverlängerung um wenige Wochen) ihre Risiken und Nebenwirkungen, aber auch ihre zuweilen extremen Kosten rechtfertigen. Im Hintergrund blitzt dabei kaum vermeidbar die Frage auf, ob wir im Gesundheitswesen auf Dauer ohne transparente Priorisierung auskommen können.
Vorab aber stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung der Kosten auch in anderer Hinsicht. Der Spiegel hat unlängst neun große forschende Pharmakonzerne und ihre traumhaften Umsatzrenditen aufgelistet. Keines der Unternehmen lag unter 17%. Auch mehr als 40% ist, wenn man über die Spiegelauflistung hinausschaut, kein Einzelfall. Zwar ist richtig: Pharmaforschung ist teuer, bis zur Zulassung neuartiger Produkte vergehen viele Jahre, es gibt nicht selten Fehlschläge und Entwicklungen, die abgebrochen werden müssen. Aber: All dies ist bei den zitierten Umsatzrenditen schon eingepreist.
Röslers Vorschläge für den Umgang mit neuen Arzneimitteln ("Solisten" und "Nicht-Solisten") werden der komplexen Situation nur zum Teil gerecht. Dass zum Beispiel "Molekülvariationen" "automatisch" vom Gemeinsamen Bundesausschuss als Analogarzneimittel eingestuft werden sollen, ist nicht sachgerecht, wie sich an vielen Beispielen aus der Geschichte der Arzneimittelentwicklung zeigen lässt. Andererseits: Durchaus vertretbar erscheint die vorgesehene Regelung, für vermutete "Analogarzneimittel" die Beweislast umzudrehen: das Unternehmen müsste demnach Belege beibringen, wenn es behauptet, dass sein Arzneimittel eine therapeutische Verbesserung darstellt.
Unverständlich ist für mich, wie Rösler bei der jährlichen Anpassung der Festbeträge durch Berücksichtigung der Zuzahlungsfreistellungsgrenzen (30% unter Festbetrag) die "Preisspirale nach unten", den sog. Kellertreppeneffekt vermeiden will. Zumal er gleichzeitig die Rabattverträge "weiterentwickeln" will. Scheitert eine nachvollziehbare, korrekte Ermittlung von Festbeträgen nicht daran, dass im Bereich der Rabattverträge die realen Marktpreise – und damit die wirklichen Kosten für die GKV – im Dunkeln bleiben? Das ist auch deshalb problematisch, weil sich in diesem Dunkel leicht ein Nährboden für Mauscheleien – um den Begriff Korruption zu vermeiden – bilden kann.
Lobenswert ist, dass Rösler einer Oligopolisierung der Generikaanbieter im Gefolge der Rabattverträge entgegenwirken will. Die schöne Absicht reicht aber nicht. Der inzwischen aberwitzige Preisdruck führt zu weit schlimmeren Gefahren. Er treibt die Generika-Vertreiber in Scharen in die Arme fernöstlicher Herstellerküchen, deren Qualität – anders als bei einer Produktion in Deutschland oder Westeuropa – faktisch immer noch nur unzureichend kontrolliert werden kann. Erste Fälle von Qualitätsmängeln tauchen schon auf (siehe unlängst bei Clopidogrel-Generika). Wann werden wir es – dann natürlich "ganz überraschend" – mit einer echten Katastrophe zu tun bekommen?
Positiv zur bewerten ist, dass Versicherte zukünftig bei Übernahme der Mehrkosten ein anderes als das Rabatt-Präparat ihrer Krankenkasse wählen können. Die Hürde, in diesem Fall zunächst voll bezahlen zu müssen (also auf Kostenerstattung ausweichen zu müssen), ist freilich hoch. Hinzu kommt: Wie sollen die zu übernehmenden Mehrkosten überhaupt ermittelt werden, wenn der über den Rabattvertrag ausgehandelte Preis – die Referenz für die Mehrkosten – weiter geheim bleibt? Mit einer (einzigen) Pauschale ist das Problem sicher nicht zu lösen. Dazu sind die wirklichen Mehrkosten zu unterschiedlich. Das Problem muss grundlegend angegangen werden, indem die ausgehandelten Preise transparent gemacht werden.
Zu den Themen des Eckpunktepapiers, die unmittelbar die Apotheken betreffen: Erfreulich ist, dass die Koalition Wort hält und den Pick-up-Stellen-Wahnsinn beenden will. Die Alarmglocken müssen allerdings läuten, wenn man unter dem Punkt "Kurzfristig wirksame Einsparungen" liest, dass die Großhandelsvergütung umgestellt und angepasst werden soll. Es kann kein Zweifel bestehen, dass der Großhandel, bei dem fast alle Unternehmen mit dem Rücken zur Wand stehen, durch Rabattkürzungen an die Apotheken durchreicht, was ihm weggenommen wird. Eine weitere Belastung von Apotheken und/oder Großhandel trifft aber die falschen. Denn beiden zusammen (dem sog. "Distributionssektor" also) wurden in der Vergangenheit die größten Opfer aller Beteiligten abverlangt. Ihr Anteil an den GKV-Arzneimittelausgaben je Versichertem stieg von 1995 bis 2008 – also in 13 Jahren – nur um 8%. Entsprechend legte im gleichen Zeitraum der Herstelleranteil um knapp 100%, Vater Staat (auch durch zwei Mehrwertsteuererhöhungen) sogar um 112% (siehe AZ 12 vom 22. 3.2010) zu.
Klaus G. Brauer
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