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Rösler – ein Dr. Placebo oder der Schrecken der Pharmaindustrie?
Das Sparpaket zur Kostendämpfung für den Arzneimittelmarkt ist gepackt. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) steht am Beginn eines schwierigen Gesetzgebungsprozesses. Viele schwergewichtige wirtschaftliche und regionalpolitischen Interessen werden in den folgenden Wochen und Monaten darauf einwirken. Ob sich aus dem eckpunktigen Maßnahmenbündel am Ende ein rundes Gesetz entfaltet, ist längst noch nicht ausgemacht.
Verpufft die Rezeptur des Bundesgesundheitsministers wirkungslos wie bei Dr. Placebo oder entwickelt sich ausgerechnet der erste FDP-Oberaufseher über Deutschlands Gesundheitswesen zum Schrecken der pharmazeutischen Industrie? Akt II und III des Berliner Gesetzgebungstheaters versprechen jedenfalls Spannung.
Eines steht aber längst fest, bevor der letzte Vorhang fällt und alle Fragen beantwortet sind: Sich selbst ist Philipp Rösler bereits untreu geworden. Den liberalen Sündenfall hat der gelernte Arzt gleich an den Anfang gesetzt. Mit Preismoratorium und Zwangsrabatten greift der Freidemokrat gegen alle wirtschaftspolitischen Maßstäbe seiner liberalen Partei mit staatlichen Zwangsinstrumenten in den Arzneimittelmarkt ein. Mit diesen Maßnahmen lassen sich Rösler zufolge aber 100 bis 120 Millionen Euro monatlich sparen. Die gesetzlichen Kassen könnten damit bereits 2010 um mindestens 500 Millionen Euro entlastet werden – mehr als jede Preisverhandlung bringt.
Die Ablösung der Großen Koalition lohne sich bereits allein aus einem einzigen Grund, hatte FDP-Chef Guido Westerwelle im Wahlkampf über alle Marktplätze gerufen: "Damit Ulla Schmidt nicht länger Gesundheitsministerin bleibt." Dabei knüpft Rösler jetzt an Schmidts Politik an: Mit einem Preismoratorium und Zwangsrabatten hatte die SPD-Langzeitministerin zuletzt 2006 die steigenden Arzneimittelausgaben unter Kontrolle zu bringen versucht.
Rösler hatte mehrfach betont, dass er von verordneter Kostendämpfung nichts hält. Man werde "Einsparpotenziale suchen und für die Versicherten nutzen" – dabei aber "intelligenter" vorgehen als früher – nämlich "in fairem und wettbewerblichem System". Liefert also der FDP-Politiker ein weiteres Beispiel für das allgemeine politische Paradoxon: Wichtige Entscheidungen fällen Koalitionen oftmals konträr zu den Erwartungen der eigenen Anhängerschaft.
Bricht ausgerechnet Philipp Rösler als erster FDP-Gesundheitsminister die Preishoheit der pharmazeutischen Industrie bei gewinnträchtigen Neuentwicklungen? Darauf hätte vor der Wahl wohl niemand gewettet. Bis es soweit ist, muss sich der junge Gesundheitsminister auf massiven Widerstand einrichten. Erst das Kleingedruckte des neuen Arzneimittelrechts wird Aufschluss über Röslers Therapiererfolg geben.
Beispiel Dossier. Zur Markteinführung eines neuen Arzneimittels müssen die Hersteller ein Dossier zu Kosten und Nutzen vorlegen. Aber welche Angaben muss dieses Dossier beinhalten? Wie steht es um Geschäftsgeheimnisse? Klagen gegen die Einstufung als Solist oder Innovation mit Zusatznutzen sollen zwar keine aufschiebende Wirkung besitzen. Das allein ist für die deutsche Rechtsordnung schon problematisch genug. Aber was geschieht, falls sich die Einstufung später als falsch erweist? Gibt es für die Hersteller einen Anspruch auf Schadensersatz?
Beispiel Festhalten an Festbeträgen und Weiterentwicklung der Rabattverträge. Gerade der Generikamarkt steht in den nächsten drei Jahren vor einem dramatischen Umbruch. Bis 2013 verlieren mehr Arzneimittel mit Milliardenumsätzen ihren Patentschutz als je zuvor: Laut Marktforschungsinstitut IMS Health sind von dem sogenannten "Patent-Cliff" bis 2013 Medikamente mit einem Jahresumsatz von 134 Milliarden Dollar betroffen, fast 20 Prozent des Gesamtmarkts. Sechs der zehn größten Cashcows sind darunter. Welche Nebenwirkungen erzeugen Rösler Rezepturen auf dem umkämpften Generikamarkt? In Deutschland gibt es 22 Generika-Firmen, viele davon in CDU-regierten Ländern, die um ihre Marktposition kämpfen. Die Folge: Der Bundesrat wird bei der Gesetzgebung ein gewichtiges Wort mitreden.
Beispiel: Aufhebung der Importquote. Deutschlands größter Arzneimittelimporteur Kohlpharma sitzt im strukturschwachen Merzig an der Saar. Für Arbeitsplatzargumente dürfte kaum ein anderer CDU-Ministerpräsident so zugänglich sein wie Peter Müller in Saarbrücken. Unabhängig vom Wahlausgang in NRW: Ohne die komplizierte Jamaika-Koalition im kleinsten Flächenland fehlt Röslers Arzneimittelpaket die Mehrheit in der Länderkammer.
Das politische Erpressungspotenzial ist also mindestens so riesengroß wie die Heerscharen der Lobbyisten, die sich in den nächsten Wochen und Monaten über die Politik hermachen werden.
Dr. Placebo oder der Schrecken der pharmazeutischen Industrie? Philipp Rösler hat vorgelegt. Aber es liegt noch nicht einmal alleine in der Hand des Bundesgesundheitsministers, welche Rolle ihm am Ende des Gesetzgebungsprozesses zufällt.
Benjamin Rohrer,
Berlin-Korrespondent der DAZ
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