Arzneimittel und Therapie

Dienogest: neue Therapieoption bei Endometriose

Endometriose wird häufig erst spät erkannt. Vielleicht weil das Beschwerdebild mit Blutungsstörungen und starken Unterbauchschmerzen dem typischen "Frauenleiden" gleicht und deshalb von Ärzten wie von Patientinnen nicht ernst genommen wird. Bisheriger Standard für die medikamentöse Therapie waren GnRH-Analoga. Mit der Einführung des Gestagens Dienogest (Visanne®) für die Indikation Endometriose erweitert sich die Palette der Möglichkeiten. Für Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch bleibt der chirurgische Eingriff aber die einzige Option, die Fertilität zu verbessern.

Wenn endometriales Drüsengewebe und Stroma (Inseln von Gebärmutterschleimhaut) auch außerhalb der Gebärmutter vorkommen, spricht man von einer Endometriose. Die Mehrzahl der Endometrioseherde befindet sich im Bereich der inneren Genitalien, allen voran an den Ovarien, den Eileitern sowie an den Sakrouterinligamenten. Auch benachbarte Organe können befallen sein, etwa die Blase oder der Darm. Sehr selten findet man Gebärmutterschleimhaut auch in Lunge und Pleura oder den Extremitäten. Abhängig vom Differenzierungsgrad reagieren die Endometrioseherde auf den zyklischen Einfluss der Sexualhormone ähnlich wie die normale Gebärmutterschleimhaut. Die Folgen sind diffuse Unterbauchschmerzen, Dysmenorrhö, prämenstruelle Schmerzen und Dyspareunie. Zudem ist die Fertilität durch die Endometriose deutlich eingeschränkt. Deshalb gilt: Wenn Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch über die typischen Symptome klagen, sollte eine Endometriose ins Kalkül gezogen werden. Und die ist nicht selten.

Sechs Jahre zwischen Symptom und Diagnose

Bei 19 bis 20% der Frauen im reproduktionsfähigen Alter lässt sich eine Endometriose finden. Etwa die Hälfte entwickelt Symptome und wird so therapiebedürftig. Noch immer wird diese Erkrankung der Gebärmutter viel zu spät diagnostiziert. Zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und der Diagnosestellung liegt im Mittel eine Zeitspanne von sechs bis acht Jahren. Ein möglicher Grund: Der Beschwerdekomplex entspricht dem des typischen Frauenleidens. Viele Frauen versuchen sich deshalb selbst zu helfen, indem sie Analgetika einnehmen. Umgekehrt herrscht auf Seiten der Ärzte ein gewisser Nihilismus. Nicht selten führt erst ungewollte Kinderlosigkeit auf die richtige Spur. Dann sollte operativ eingegriffen werden. Und zwar so schnell wie möglich. "Die medikamentösen Therapien der Endometriose führen zu keiner Verbesserung der Fruchtbarkeit, im Gegenteil: Sie bedeuten Zeitverlust!", betont Prof. Dr. Dr. Andreas D. Ebert vom Deutschen Endometriosezentrum in Berlin. Mit einem laparoskopischen Eingriff lässt sich die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft erhöhen, erreicht allerdings nie die gesunder Frauen.

Gestagen mit ausgeprägtem endometrialem Effekt

GnRH-Analoga gelten bislang als Standard in der Therapie. Mit dem Gestagen Dienogest (DNG) (siehe Kasten "Dienogest: Gestagen mit speziellen Eigenschaften"), das explizit auch für die Behandlung der Endometriose zugelassen ist, kommt im Mai 2010 eine neue Option auf den Markt. Dienogest ist ein Gestagen mit ausgeprägtem Effekt auf das Endometrium. Es ist deshalb gut geeignet zur Zyklusstabilisierung und wird in der Gynäkologie schon lange zur hormonellen Kontrazeption und in der Hormonersatztherapie eingesetzt. Dienogest wirkt bei Endometriose durch Verringerung der endogenen Produktion von Estradiol und unterdrückt so die trophischen Effekte von Estradiol sowohl am eutopischen als auch am ektopischen Endometrium. Bei kontinuierlicher Gabe führt Dienogest zu einem hypoestrogenen, hypergestagenen endokrinen Zustand, der eine initiale Dezidualisierung endometrialen Gewebes hervorruft, bei der Glykogen und Fett eingelagert wird und die Zellen abgerundet und dicht aneinander gepresst werden, gefolgt von einer Atrophie endometriotischer Läsionen. Die antiproliferative Wirkung auf das Endometrium, verbunden mit einer starken sekretorisch-transformativen Aktivität, machen Dienogest zu einem idealen Kandidaten für die Therapie der Endometriose. (Durchbruch-)Blutungen werden reduziert, das Risiko einer Verschleppung der Endometriumzellen wird gesenkt. Die antiproliferativen Effekte konnten in vitro an humanen Endometriose-Stromalzellen sowie in tierexperimentellen Untersuchungen gezeigt werden. Dabei war Dienogest ähnlich effektiv wie Danazol oder Buserelin. Zudem zeigte es antiinflammatorische Eigenschaften.

Dienogest: Gestagen mit speziellen Eigenschaften


 

Die Zahl der Gestagene, die medikamentös genutzt werden, ist groß. Jedes Gestagen hat – abhängig von seinem Rezeptorprofil – unverwechselbare Eigenschaften, die es für bestimmte Indikationen prädestinieren. Neben einer starken gestagenen Wirkung am Endometrium besitzt das Nortestosteron-Derivat Dienogest etwa antiandrogene Eigenschaften und wirkt deshalb auch gegen Akne. Dagegen hat es keine glucocorticoiden, androgenen, estrogenen oder mineralocorticoiden Effekte.

Chemisch ist DNG ein "Zwitter", der Merkmale von 19-Nortestosteron und Progesteron vereint. Die Pharmakokinetik ist gut untersucht: Dienogest wird rasch und nahezu komplett resorbiert mit einer Bioverfügbarkeit von 90%. Davon werden 90% an Albumin gekoppelt. Dienogest bindet jedoch nicht an SHBG (Sexualhormon-bindendes Globulin), so dass Testosteron nicht aus der SHBG-Bindung verdrängt wird. Die Metaboliten sind meist inaktiv und werden rasch eliminiert. Ein Steady-State wird nach drei bis vier Tagen erreicht.

Mit Blick auf eine Langzeittherapie rücken systemische Effekte von Dienogest in den Fokus. Hier verhält sich das Gestagen neutral ohne negativen Effekt auf den Glucose- und Fettstoffwechsel. Insbesondere kommt es nicht zu einem HDL-Abfall. Auch negative vaskuläre, zentrale oder hepatische Effekte lassen sich nicht beobachten. Die positiven Wirkungen der Östrogene werden nicht antagonisiert.

Leuprorelin und DNG: therapeutisch äquivalent

In einer offenen, multizentrischen Dosisfindungsstudie mit Frauen mit histologisch gesicherter Endometriose erwies sich die Tagesdosis von 2 mg Dienogest als niedrigste effektive Dosis, mit der sich die typischen Beschwerden deutlich reduzieren ließen. In einer randomisierten placebokontrollierten Doppelblindstudie mit 198 Patientinnen über zwölf Wochen reduzierten täglich 2 mg Dienogest den Schmerz, gemessen per visueller Analogskala, signifikant stärker als Placebo. Dass dieser Effekt auch langfristig anhält, belegte die sich anschließende Langzeitbeobachtung über 52 Wochen, in der alle Patientinnen Dienogest erhielten. Innerhalb von wenigen Wochen gingen bei den Frauen, die von Placebo zu Verum wechselten, die Schmerzen vergleichbar gut zurück. Die erzielte Schmerzreduktion blieb über den gesamten Beobachtungszeitraum erhalten. "Das demonstriert eine gute Langzeitwirkung von Dienogest", so Ebert. Im direkten Vergleich mit dem bisherigen Goldstandard Leuprorelinacetat erwies sich DNG als therapieäquivalent. Die Werte auf der visuellen Analogskala für Endometriose-assoziierte Unterbauchbeschwerden reduzierten sich unter täglich 2 mg Dienogest (n = 120) ebenso gut wie unter 3,75 mg Leuprorelinacetat i.m. pro Monat (n = 128). Dienogest wurde von den Patientinnen insgesamt gut vertragen. Kopfschmerzen traten etwas häufiger auf als unter Placebo (11% versus 5%). Im Vergleich mit Leuprorelinacetat war Dienogest laut Ebert tendenziell besser tolerabel, insbesondere Kopfschmerzen und depressive Verstimmungen waren seltener (20% vs. 12%; 9% vs. 5%).

Quelle Prof. Dr. Dr. Alfred Mück, Tübingen; Prof. Dr. Dr. Andreas D. Ebert, Berlin: Pressekonferenz "Visanne – neue Perspektive für die Behandlung der Endometriose", Düsseldorf, 4. März 2010, veranstaltet von der Bayer Health Care AG, Leverkusen.

 

Fachinformation Visanne, Stand Januar 2010. 

 


Apothekerin Dr. Beate Fessler

Einnahmehinweis


Eine Tablette Dienogest muss ohne Unterbrechung jeden Tag möglichst zur gleichen Zeit, falls erforderlich mit etwas Flüssigkeit, eingenommen werden. Die Einnahme kann mit oder ohne Nahrungsaufnahme erfolgen. Die Tabletten müssen kontinuierlich eingenommen werden, unabhängig von vaginalen Blutungen. Nach Beendigung einer Packung wird ohne Unterbrechung sofort mit der nächsten Packung begonnen. Bisher liegen keine Erfahrungen zur Behandlung mit Visanne® über mehr als 15 Monate bei Patientinnen mit Endometriose vor.

Eine hormonelle Kontrazeption muss vor Beginn der Behandlung mit Dienogest abgesetzt werden. Wenn eine Kontrazeption gewünscht wird, sollte eine nicht-hormonale Kontrazeptionsmethode gewählt werden (z. B. Barrieremethode).

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