Hepatologie

Arzneimittel und Alkohol: Dauerstress für die Leber

Potenzielle Interaktionen erkennen und die Leber schützen

Von Petra Jungmayr

Die Metabolisierung eines Arzneimittels in der Leber hängt unter anderem von der Organgesundheit, der gleichzeitigen Einnahme weiterer Pharmaka und dem Konsum von Alkohol ab. Auf welche praxisrelevanten Interaktionen im pharmazeutischen Alltag zu achten ist, welchen Einfluss Alkohol ausübt und wie die pharmazeutische Betreuung lebertransplantierter Patienten aussehen kann, wurde beim diesjährigen Frühjahrskongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg in Villingen erörtert.

Bei der Metabolisierung von Arzneistoffen in der Leber spielt das Cytochrom P-450-System eine entscheidende Rolle. Cytochrom P450 (CYP450) ist aus mehreren Familien aufgebaut, bei denen genetische Polymorphismen vorliegen können, die eine unterschiedliche Aktivität bewirken. Des Weiteren können CYP-Enzyme durch Induktion oder Hemmung reguliert werden. Wie Dr. Hans-Peter Lipp, Tübingen, erläuterte, sind genetische Polymorphismen für mehrere Arzneistoff-abbauende Enzyme bekannt. Bei unerwarteten Reaktionen auf normal dosierte Wirkstoffe sollte an diese pharmakogenetische Besonderheit gedacht werden. So kann bei Substanzen, die überwiegend durch CYP2C9, CYP2C19 oder CYP2D6 abgebaut werden, eine Genotypisierung zur Abklärung von Problemen beitragen. Ein Hilfsmittel hierzu ist der AmpliChip CYP450 Test (Roche Diagnostics), mit dem die Genotypen CYP2D6 und CYP2C19 bestimmt und in vier Metabolisierungsarten (langsam, eingeschränkt, extensiv, ultra-schnell) eingeteilt werden.

Die Auswirkungen einer Cytochrom-P-abhängigen Besonderheit sind beispielsweise bei einer Tamoxifen-Therapie zu sehen: Das Prodrug Tamoxifen, die bei der endokrinen Therapie des Mammakarzinoms Anwendung findet, wird über CYP2D6 zum aktiven Wirkstoff Endoxifen metabolisiert. Dies ist allerdings nur bei etwa 90% der Westeuropäerinnen der Fall, die anderen 10% können Tamoxifen nicht umwandeln, das heißt, der gewünschte antihormonelle Effekt kann nicht erzielt werden.

Enzyminduktion und Enzymhemmung

Zu potenten CYP-Induktoren gehören unter anderem Johanniskraut, Phenobarbital, Carbamazepin, Rifampicin und Phenytoin sowie Zigarettenrauchen. Wird ein Induktor mit einem entsprechenden Substrat kombiniert, wird letzteres zwar besser vertragen, allerdings zum Preis einer verminderten Wirksamkeit. Hierzu ein Beispiel: Werden Carbamazepin und der Tyrosinkinase-Inhibitor Imatinib gleichzeitig verabreicht, sinkt die Plasmakonzentration von Imatinib deutlich ab, so dass keine therapeutisch wirksamen Spiegel mehr vorliegen.

Für die Hemmung eines Enzyms durch ein Pharmakon ist charakteristisch, dass diese nach Gabe des Inhibitors rasch auftritt. Ausmaß und Schwere der Enzymhemmung lassen sich schwer voraussagen, wenn die Plasmakonzentration des Inhibitors interindividuell schwankt wie etwa bei Voriconazol und Tacrolimus oder wenn der verabreichte Arzneistoff einem hohen First-pass-Effekt unterliegt wie beispielsweise Simvastatin.

Welche Therapie bei bestehendem Leberschaden?

Die verminderte Metabolisierungsleistung einer kranken Leber und eine verringerte Organdurchblutung führen zu einer herabgesetzten hepatischen Clearance. Diese Funktionseinschränkung kann – im Gegensatz zu einer Störung beim Nierenschaden – im klinischen Alltag nicht genau bestimmt werden. Die Quantifizierung der Störung über den Child-pugh-Score ist unzureichend, da in diesem die Höhe der Transaminasen nicht berücksichtigt wird. Somit muss das Risiko für eine mögliche Akkumulation der pharmakologisch aktiven Stoffe individuell eingeschätzt werden. Bei oraler Gabe spielen dabei die Bioverfügbarkeit und der First-pass-Effekt eine entscheidende Rolle. Potenziell lebertoxische Wirkstoffe wie etwa Paracetamol, Diclofenac oder Methotrexat sind zu meiden. In vielen Fällen stehen gleichwertige, weniger leberschädigende Alternativen zur Verfügung. So kann etwa Valproinsäure durch Levetiracetam (Keppra®) oder Diclofenac durch Etoricoxib (Arcoxia®) ersetzt werden.

Schwarzwälder Frühjahrskongress

Der 38. Frühjahrskongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg befasste sich mit dem Thema Arzneimittel und Leber. Rund 700 Apothekerinnen und Apotheker nahmen vom 27. und 28. März 2010 an der Fortbildungsveranstaltung teil.

Vorsicht bei Phytopharmaka

Viele gebräuchliche Phytopharmaka können in Kombination mit weiteren Arzneistoffen zu klinisch relevanten Interaktionen führen. Je nach Einfluss auf ein bestimmtes Isoenzym von Cytochrom P450 muss mit einer verstärkten oder abgeschwächten Wirkung gerechnet werden. Lipp hob in diesem Zusammenhang hervor, dass während einer Chemotherapie im Rahmen der Selbstmedikation zum Schutz der Leber keine pflanzlichen Präparate eingenommen werden sollten. Zum einen ist die Zahl leberschädigender Zytostatika begrenzt und zum andern können mögliche Interaktionen zu einem Wirkverlust führen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Einnahme von Johanniskraut während einer Therapie mit Irinotecan, die eine Abnahme der Wirkstoffkonzentration und somit eine verringerte Effektivität von Irinotecan zur Folge hat.

Alkohol und Arzneistoff

Ethanol wird in einem ersten Schritt über die Alkoholdehydrogenase (ADH) zu Acetaldehyd und in einem zweiten Schritt über die Acetaldehyddehydrogenase (ALDH) zu Acetat abgebaut. Wie Prof. Dr. Helmut Seitz, Heidelberg, erläuterte, ist eine Hemmung von ADH oder ALDH in der Leber durch Medikamente eher selten, kann aber zum Beispiel durch Chlorpromazin oder Chloralhydrat erfolgen (beide Substanzen hemmen die Leber-ADH). Eine Hemmung der ALDH führt bei gleichzeitigem Alkoholkonsum zu erhöhten Acetaldehydspiegeln mit Flushsyndrom ("Antabus-Reaktion"). Dies tritt etwa bei der gleichzeitigen Gabe von Disulfiram und Ethanol auf. Die Hemmung der ADH im Magen kann durch Cimetidin oder Acetylsalicylsäure erfolgen. Diese Blockade führt zu einer Beeinträchtigung des First-pass-Stoffwechsels von Ethanol und somit zu erhöhten Blutalkoholspiegeln.

Bei höheren Alkoholkonzentrationen wird zum Abbau ein weiteres Enzymsystem, das Cytochrom P4502E1 (CYP2E1), dazu geschaltet. Dieser Weg der Biotransformation führt häufig zu Interaktionen mit Arzneistoffen. Die Art der Interaktion wird unter anderem davon bestimmt, ob Alkohol akut oder chronisch aufgenommen wird (siehe Tabelle 3).

Akute Alkoholzufuhr

Die akute Alkoholzufuhr kann den Stoffwechsel einiger Medikamente, die über CYP2E1 abgebaut werden, kompetitiv hemmen. Dies gilt vor allem für zentral wirksame Psychopharmaka wie Benzodiazepine, Barbiturate und Phenytoin. Die kompetitive Hemmung führt zu einer erhöhten Konzentration der Wirkstoffe im Blut, zu einer verlängerten Halbwertszeit und zu einer stärkeren Wirkung am Zielorgan. Daher führen zentral wirksame Psychopharmaka, die zusammen mit Alkohol eingenommen werden, zu einer gesteigerten Schläfrigkeit, die in eine Atemdepression übergehen kann.

Toxizitätssteigerung durch chronischen Alkoholkonsum

Chronischer Alkoholkonsum führt zu einer Induktion von CYP2E1. Diese Induktion findet bereits bei einem ein- bis zweiwöchigen täglichen Alkoholkonsum von 40 g statt und resultiert in einem gesteigerten Stoffwechsel von Alkohol mit schnelleren Abbauraten entsprechender Arzneistoffe. Dies macht wiederum die Einnahme höherer Dosen erforderlich, um eine Wirkung zu erzielen. Führt die Metabolisierung zu hepatotoxischen Substanzen, wie dies etwa bei Paracetamol oder Isoniazid der Fall ist, reichen bereits geringe Wirkstoffmengen aus, um eine Leberschädigung hervorzurufen.

Toxizitätssteigerung von Vitamin A

Retinol und Retinsäure werden über CYP2E1 verstoffwechselt. Bei chronischem Alkoholkonsum ist diese Biotransformation beschleunigt, so dass es zu einer Verminderung von Retinol und Retinsäure kommt, was zu einer vermehrten Proliferation in verschiedenen Geweben führen kann. Die dabei auftretenden intermediären Stoffwechselprodukte haben eine starke apoptotische und somit zellschädigende Wirkung. Daher sollte bei regelmäßigem Alkoholkonsum keine Vitamin-A- oder Beta-Carotin-Substitution erfolgen. Ebenfalls gefährlich ist die Kombination von Alkohol und Cocain, die zu einer verstärkten Kardiotoxizität führt oder die Mischung aus Alkohol und Cannabinoiden, die mit einer verstärkten Fibrosebildung einhergeht. Eine auch im Apothekenalltag relevante Interaktion tritt bei der gleichzeitigen Gabe von Alkohol und Methotrexat auf. Beide Substanzen stimulieren die hepatische Fibrogenese über eine Aktivierung der hepatischen Sternzellen und führen zu einer häufig unbemerkten Fibrose. Eine durch regelmäßigen Alkoholkonsum induzierte CYP2E1-Aktivität kann ferner zu einer Leberschädigung durch Arbeitsplatztoxine führen. So verursacht etwa am Vorabend genossener Alkohol eine Induktion von CYP2E1, ohne einen direkten Leberschäden zu bewirken. Wird am darauffolgenden Tag am Arbeitsplatz mit Lösungsmitteln gearbeitet, werden diese vermehrt zu toxischen Intermediärprodukten metabolisiert, obwohl die zulässige Arbeitsplatzkonzentration eingehalten wurde. Auch die Aktivierung krebserregender Nitrosamine erfolgt bei chronischer Alkoholzufuhr durch eine Induktion von CYP2E1.

Suche nach Leberprotektiva

Bei der Suche nach Wirkstoffen zur Therapie alkoholbedingter Leberschäden wurden zahlreiche Substanzen untersucht, von denen sich viele als unwirksam oder toxisch erwiesen. Erwartungen werden derzeit in Inhibitoren des CYP2E1 gesetzt, die möglicherweise auch als Leberprotektiva eingesetzt werden könnten. Versuche mit Clomethiazol (Distraneurin®), das CYP2E1 komplett hemmt (aber aufgrund seiner Nebenwirkungen nicht zu diesem Zweck eingesetzt werden kann), haben auf den Weg in Richtung CYP2E1-Blockade hingewiesen.

Zum Weiterlesen

Leber- und Gallenbeschwerden

 

– dem wichtigsten Stoffwechselorgan etwas Gutes tun.

 

Einen Beitrag zum Thema Selbstmedikation bei Leber- und Gallebeschwerden lesen Sie in dieser DAZ im Artikel "Dem wichtigsten Stoffwechselorgan etwas Gutes tun".

 

www.deutsche-apotheker-zeitung.de

 

Empfohlen: Alkohol wenig und nicht regelmäßig

Derzeit wird ein regelmäßiger Alkoholkonsum von einem viertel Liter Wein beim Mann und von einem achtel Liter Wein bei Frauen als unbedenklich angesehen. Alkohol sollte nicht regelmäßig getrunken werden. Täglicher chronischer Alkoholmissbrauch ist stärker mit einer Lebererkrankung assoziiert wie sporadischer. Frauen weisen ein höheres Risiko auf, bei geringen Dosen und in kürzerer Zeit eine Lebererkrankung zu entwickeln als Männer. Die Kombination aus Alkohol und Rauchen erhöht das Krebsrisiko für Tumore im Kopf-Hals-Bereich. Chronischer, bereits mäßiger Alkoholkonsum ist auch ein Risikofaktor für das Mammakarzinom.

Pharmazeutische Begleitung transplantierter Patienten

In Deutschland werden jährlich über 1000 Lebertransplantationen vorgenommen. Eine Voraussetzung für den langfristigen Therapieerfolg ist die Compliance des Patienten, der lebenslang unter einer immunsuppressiven Therapie (in der Regel Cellcept® , Prograf® und Glucocorticoide) steht. Dass die Mitarbeit des Betroffenen unterstützt werden muss, geht aus Studien hervor, die bei organtransplantierten Patienten eine erschreckend hohe Non-Compliance zeigen. Erfreulich sind dagegen die Daten einer weiteren Untersuchung, die den Erfolg einer pharmazeutischen Betreuung zeigen, der sich in Complianceraten von bis zu 92% widerspiegelt. Neben der mangelnden Compliance eines Patienten können auch äußere Faktoren den Therapieerfolg schmälern. Dr. Vanessa Kaiser, Mainz, erachtet die Schnittstellen zwischen der Behandlung im Krankenhaus, der Entlassung des Patienten und seiner Weiterbehandlung durch den Hausarzt und die Stammapotheke als besonders problematisch, da die notwendigen Informationen verzögert oder unvollständig weitergeleitet werden. Ferner können Therapieänderungen und Wissensdefizite die lückenlose Versorgung beeinträchtigen. Ein an der Uniklinik Mainz entwickeltes Modell sieht daher eine ausführliche Schulung des Patienten und aller betroffenen Institutionen vor, um das notwendige Wissen zu vermitteln. Durch die Zusammenarbeit zwischen Krankenhausapotheker und Offizinapotheker soll letzterer alle erforderlichen Informationen erhalten, um den Patienten medikamentös zu versorgen, zu beraten und ihn in seiner Mitarbeit zu stärken. Wie eine betroffene Patientin darlegte, entsteht durch die regelmäßigen Kontakte ein Gefühl der Sicherheit und eine Stärkung der Eigenverantwortlichkeit.

Quelle Dr. Hans-Peter Lipp, Tübingen; Prof. Dr. Helmut Seitz, Heidelberg; Dr. Vanessa Kaiser, Mainz: 38. Schwarzwälder Frühjahrskongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg am 27. und 28. März in Villingen.

 


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

Welthepatitis Tag


Der 19. Mai 2010 ist der Welthepatitis Tag, den die World Hepatitis Alliance dazu nutzt, um für Lebererkrankungen zu sensibilisieren. Denn sie können jeden treffen, unabhängig von Herkunft und Lebensweise.

Bin ich die Nummer 12?

Weltweit leidet einer von zwölf Menschen an chronischer Hepatitis B oder C. Die wenigsten wissen davon. Die Leber leidet stumm. Warnende Symptome bleiben lange aus. Erhöhte Leberwerte können ein erstes Warnsignal sein, das jedoch oft ignoriert wird. Beide Infektionen können nach Jahren zu Zirrhose und Leberkrebs führen. Je früher die Infektion entdeckt wird, desto besser lässt sie sich therapieren. Die Behandlung hat in den letzten zehn Jahren große Fortschritte gemacht. Hepatitis B ist kontrollierbar. Hepatitis C ist heilbar.

Weitere Information finden Sie auf den Seiten der Deutschen Leberhilfe e.V. www.leberhilfe.org und auf www.welthepatitistag.info

Tab. 1: Arzneimittel-induzierte Leberschäden

Krankheitsbild
Arzneistoffe (Beispiele)
Hepatozelluläre
Schäden
akute Hepatitis
chronische Hepatitis
Steatose, Hepatose
Paracetamol, Diclofenac,
Halothan, Isoniazid,
Sulfonamide, Nitrofurantoin,
Diclofenac, Amiodaron,
Valproinsäure
Cholestase
akut
chronisch
Estrogene, Erythromycin,
Amoxicillin/Clavulansäure
Chlorpromazin, Penicilline
Fibrose
perisinöse Fibrose
Methotrexat
vaskuläre
Veränderungen
Lebervenenver-
schlusserkrankung
Azathioprin, anabole Steroide, Busulfan

Tab. 2: Ausgewählte Phytopharmaka und mögliche Arzneimittel-

interaktionen

Phytopharmakon
potenzielle Auswirkungen
Baldrian
Inhibition von CYP2C9, CYP2C19 experimentell beobachtet
Ginkgo
Inhibition von CYP3A4 experimentell beobachtet; potenzielle Radikalfängereigenschaften
Ginseng
Inhibition von CYP3A4 experimentell beobachtet: potenziell Estrogen-modulierende Eigenschaften
Johanniskraut
Induktion der Isoenzyme CYP2B6, CYP2C9, CYP2C19, CYP2E1, CYP3A4 teilweise klinisch
relevant;
PgP-Induktion experimentell beobachtet
Sonnenhut
Induktion des CYP3A4 experimentell beobachtet

Tab. 3: Interaktionen mit Alkohol

Alkohol akut
Alkohol chronisch
meist bei oxidativ metabolisierten Medikamenten
Abnahme der Leberfunktion
Clearance nimmt ab
Induktion von CYP2E1
Halbwertszeit nimmt zu
Effekte: Abnahme der Halbwertszeit und Zunahme der Clearance
Bioverfügbarkeit nimmt zu
eventuell Dosisadaptation
Acetylierung nimmt zu
Erhöhung der Toxizität von
Paracetamol, Isoniazid u. a.
Beispiele für relevante Interaktionspartner: Psychopharmaka,
Antidiabetika, Nitrate

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