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Gesundheitsökonomische Herausforderungen

BERLIN (tmb). Die aktuellen gesundheitsökonomischen Entwicklungen führen zu großen Herausforderungen bei der Nutzenbewertung dermatologischer Produkte. Zudem bleibt es dringend, die Anerkennung topischer Dermatika als nicht austauschbare Solitärprodukte zu erreichen, doch fachfremde politische Entscheider können diesen speziellen Sonderfall oft nicht nachvollziehen.
Prof. Dr. Matthias Augustin berichtete über Erkenntnisgewinne durch die dermatologische Versorgungsforschung.

Fotos: tmb

Eine Übersicht über die gesundheitsökonomische Situation mit besonderem Blick auf die Dermatologie vermittelte die Fachgruppe Dermatotherapie der Gesellschaft für Dermopharmazie (GD) bei der GD-Jahrestagung am 24. März in Berlin. Prof. Dr. Matthias Augustin, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie an der Universität Hamburg, zeichnete die positive Entwicklung der Versorgungsforschung in den zurückliegenden fünf Jahren nach, die auch als Ergebnis gesellschaftlicher Herausforderungen zu verstehen sei. So etabliere sich die Versorgungsforschung als dritte Säule der Erkenntnisgewinnung in der Medizin neben der klinischen und der biomedizinischen Forschung.

Fortschritt für den Erkenntnisgewinn

Augustin veranschaulichte dies am Beispiel der Psoriasis. So würden Daten über die Prävalenz, Altersverteilung und Komorbiditäten erst seit etwa fünf Jahren systematisch erhoben. Daraufhin würden Ärzte nun mehr auf bedeutende Begleiterkrankungen achten. Im Zusammenhang mit hochwirksamen Biologicals und ihren möglichen unerwünschten Effekten habe sich eine Register- und Sicherheitskultur etabliert. Die Anwendung von Symptomenscores und Instrumenten zur Lebensqualitätsforschung zwinge die Dermatologen, die Krankheitsstadien bei ihren Patienten genauer zu betrachten und zu dokumentieren. So sei eine Messkultur entstanden. Bei der Psoriasis habe sich gezeigt, dass der Schweregrad der Erkrankung und die Lebensqualität erstaunlicherweise nicht korrelieren. Durch die gesundheitsökonomischen Anforderungen sei das Wissen über die Kosten-Nutzen-Relationen von Behandlungen gestiegen. Die Versorgungsforschung zeige aber auch, dass in der Bevölkerung starker Bedarf an dermatologischer Versorgung bestehe. Diese Aufgabe könnten die vergleichsweise wenigen Dermatologen nur erfüllen, wenn sie in einer sinnvollen Arbeitsteilung mit dem übrigen Versorgungssystem kooperieren würden.

Nutzenbewertung als Herausforderung

Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel, stellte Methoden zur Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln vor. Angesichts der zahlreichen Annahmen und Unsicherheiten bei pharmakoökonomischen Studien bezweifelte er, dass eine Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hinreichend praktikabel sein kann und als Grundlage für rechtssicher festlegbare Höchstbeträge dienen könnte. Zudem konstatierte Müller-Bohn einen Widerspruch in den jüngsten gesundheitspolitischen Vorschlägen. Während Gesundheitsminister Rösler für "Nicht-Solisten" Ausschreibungen und damit letztlich ein "Aut-simile" fordere, liefen Entwürfe aus der CDU auf eine Abmilderung der Rabattverträge und damit eine Einschränkung des "Aut-idem" hinaus.

Der zunehmende Stellenwert der Nutzenbewertung bei allen kursierenden Konzepten – ob hoheitliche Entscheidungen, Rabattverträge oder neuartige "Pay-for-Performance"-Verträge – stelle insbesondere die Dermatologie vor große Herausforderungen, weil dort meist "harte" Endpunkte fehlen. Hersteller und Wissenschaftler seien daher gefordert, die bestehenden Instrumente für die Erfassung von Symptomen, die Nutzenbewertung und die Lebensqualitätsforschung auch bei Entscheidern in der Politik und bei Krankenkassen bekannt zu machen.


Dr. Joachim Kresken setzt sich als GD-Vorsitzender für die Nicht-Austauschbarkeit topischer Dermatika ein.

Solitärstatus für Topika

Doch bereits die etablierten gesundheitsökonomischen Instrumente führen weiterhin zu Problemen, wie der GD-Vorsitzende Dr. Joachim Kresken, Viersen, im Zusammenhang mit den Rabattverträgen erläuterte. Wegen der unterschiedlichen und zudem nicht bekannten Rabatte würden diese die gesetzlich vorgeschriebene Preisbindung untergraben. Dennoch würden die Apotheker die Rabattverträge mit großer Mühe umsetzen. Der Ausnahmetatbestand der pharmazeutischen Bedenken sei weit gefasst, doch die GD fordere weiterhin eine Regelung, um wirkstoffidentische Topika von Rabattverträgen mit Substitutionsgebot auszuschließen. Für die arzneimittelrechtliche Zulassung solcher Produkte werde weltweit ein eigener Nachweis der Wirksamkeit und Verträglichkeit gefordert, weil die Grundlage bei solchen Zubereitungen die Verfügbarkeit des Wirkstoffs erheblich beeinflusst und einen Eigeneffekt hat. Kresken verwies auf Forschungsergebnisse von Prof. Dr. Monika Schäfer-Korting, Berlin, nach denen bei identischen Bestandteilen der Grundlage sogar das Herstellungsverfahren zu unterschiedlichen Effekten führen kann. Bei Rabattverträgen sei ein entsprechender Sonderstatus für Topika bisher aber nicht vorgesehen.

Daher fordert die GD, wirkstoffidentische topische Dermatika von Rabattverträgen mit Substitutionsgebot auszunehmen, sofern die Austauschbarkeit nicht durch Studien klar belegt ist. Eine bereits im Oktober 2009 formulierte diesbezügliche Stellungnahme der GD soll demnächst durch eine zusätzliche Resolution bekräftigt werden. Dies beschloss die Mitgliederversammlung der GD am 23. März.

Anforderungen an Medizinprodukte

Dr. Christian Stallberg, Düsseldorf, berichtete über die rechtlichen Folgen der jüngsten Novelle des Medizinproduktegesetzes (MPG), die im Juli 2009 verkündet wurde und im März 2010 in Kraft getreten ist. Er betrachtet die Änderung als Annäherung des Medizinprodukterechts an das Arzneimittelrecht. Für die Medizinprodukte der Risikoklassen I und II müssen künftig klinische Daten eingereicht werden. Diese können theoretisch auch von vergleichbaren Produkten stammen. Allerdings erwartet Stallberg, dass die ebenfalls geforderte Nutzen-RisikoAbwägung praktisch nur mit produktbezogenen Daten und nicht anhand der Literatur erfolgen kann. Demnach wären auch für Medizinprodukte klinische Prüfungen nötig, für die allerdings weiterhin einige Erleichterungen gegenüber Arzneimittelstudien gelten. Noch stärkere Anforderungen bestünden jedoch bei der Werbung. So dürften randomisierte kontrollierte Studien auch für Medizinprodukte mit dermatologischen oder anderen Zwecken notwendig werden, wenn mit der Wirksamkeit der Produkte geworben werden soll.

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