Selbstmedikation

Betuline – multifunktionale Aktivsubstanzen

Sie zeigen pharmakologisch ein breites Wirkspektrum, werden klinisch aber erst in einem kleinen Bereich genutzt – die Betuline. Über ihre derzeitige Anwendung zur Pflege trockener Haut hinaus scheinen diese pflanzlichen Triterpene ein beachtliches therapeutisches Potenzial zu haben. So beobachtet die Betulin-Forschung wundheilende, juckreizhemmende sowie antitumorale Effekte.
Die weißstämmige Birke ist ein typischer Baum in unseren nördlichen Breiten. Die anspruchslosen Bäume gedeihen auch auf nährstoffarmen Böden. Innerhalb von sechs Jahren können sie 7 m wachsen und erreichen eine Größe von 30 m und mehr. Ihr schnelles Wachstum ermöglicht eine intensive Nutzung in der Holz- und Zellstoff­industrie. Der zuvor abgeschälte Kork fällt dabei als Nebenprodukt an und wird bisher vor allem zur Energiegewinnung verwendet.
Foto: Ulrike Weber-Fina




Den interdisziplinären wissenschaftlichen Austausch über Betuline zu fördern und die Entwicklung marktreifer Produkte auf Betulin-Basis voranzubringen, sind Anliegen des 2006 gegründeten Betulin-Instituts e.V. Mit einem Symposium dokumentierte das Institut den aktuellen Forschungsstand zu diesen vielversprechenden Pflanzeninhaltsstoffen.

Namengebend für die Betuline ist die Birke (Betula), in deren weißem Kork die Substanzen in großer Menge (bis zu 40%) vorkommen. Das Betulin ist innerhalb des pentazyklischen Triterpengemischs der Birke mit ca. 80% die Hauptkomponente. Daneben zählen zu den Betulinen acht weitere Vertreter der Triterpene, u. a. Lupeol, Betulinsäure und Oleanolsäure. Bereits im Jahr 1788 beschrieb der Chemiker Johann Tobias Lowitz erstmals das Betulin aus dem Birkenholz. Vor allem seit im Jahr 1995 eine antitumorale Wirkung der Betulinsäure nachgewiesen wurde, besteht reges wissenschaftliches Interesse an dieser Substanzgruppe, berichtete Dr. Melanie Laszczyk vom Betulin-Institut, Darmstadt. Das bisher präklinisch dokumentierte Wirkspektrum der Betuline lässt sich charakterisieren als:

  • entzündungshemmend
  • wundheilungsfördernd
  • differenzierungsfördernd
  • antibakteriell
  • antiviral
  • antitumoral
  • antioxidativ
  • juckreizlindernd

Wirkstoff und Stabilisator in einem

Dass die weiße Substanz aus der Birkenrinde bisher keine breite Anwendung gefunden hat, liegt vor allem an galenischen Gründen. So ist Betulin stark hydrophob (Wasserlöslichkeit
0,1 µg/ml), und auch die Fettlöslichkeit ist gering (0,15 bis 3%).

Die Rinde der Birke besteht aus zwei Schichten: der äußeren weißen, auch Birkenkork genannten und der inneren eigentlichen Rinde. Während die innere Rinde betulinfrei ist, beinhaltet die Trockenmasse des weißen Birkenkorks einen Betulinanteil von durchschnittlich 22%. Aufgrund dieses hohen Betulingehalts wird der Kork inzwischen zur großtechnischen Gewinnung von Betulinen eingesetzt. Der Birkenkorktrockenextrakt enthält ein Gemisch pentazyklischer Triterpene aus der Gruppe der Betuline, vor allem Betulin (etwa 80%).
Foto: Imlan®

Erst vor einigen Jahren konnte eine geeignete Betulin-Anwendungsformulierung entwickelt werden. Wie Prof. Dr. Rolf Daniels, Tübingen, erläuterte, wird dabei der Triterpentrockenextrakt in Pflanzenöl suspendiert. Ab einer Konzentration von ungefähr 8% bildet sich ein streichfähiges Gel. Dieses Oleogel kann über 60% Wasser aufnehmen, wodurch eine stabile W/O-Emulsion entsteht – die patentierte "Betulsion". Es handelt sich dabei um eine feststoffstabilisierte Emulsion (Pickering-Emulsion), die ihre Stabilität einer speziellen Fixierung der Wassertröpfchen im Oleogel verdankt. Wie die Raman-mikroskopische Aufnahme zeigt, lagern sich die Extraktpartikel nur partiell an den Grenzflächen zwischen Öl und Wasser an und ordnen sich zusätzlich im Öl netzartig an. Dadurch wird die Emulsion dauerhaft stabilisiert: Untersuchungen haben gezeigt, dass entstandene stabile W/O-Emulsionen selbst nach dreijähriger Lagerung nicht gebrochen sind. Die Besonderheit dieser Betulin-Emulsion liegt also darin, dass das Betulin zugleich Wirkstoff und Stabilisator ist. Ein klassischer Emulgator ist damit gar nicht erforderlich. So lässt sich laut Daniels vermeiden, dass tensidische Emulgatoren zu einer zusätzlichen Störung der epidermalen Barrierefunktion und damit zu einem zusätzlichen Feuchtigkeitsverlust trockener Haut führen. Da das Betulin darüber hinaus antimikrobielle Eigenschaften aufweist, sind keine Konservierungsmittel erforderlich. Die Betulsion, die auch Grundlage der medizinischen Hautpflegeserie Imlan® ist, kommt daher ausschließlich mit den drei Komponenten Betulin, Jojobaöl und Wasser aus.


Raman-mikroskopische Aufnahme einer Betulsion. Der aus Birkenrinde gewonnene Triterpentrockenextrakt weist nur eine minimale Grenzflächenaktivität auf. Bei der Betulsion handelt es sich um feststoffstabilisierte Emulsion, deren Lagerstabilität auf einer speziellen Fixierung der Wassertropfen im Betulin-Oleogel beruht; hier rot: Birkenkorktrockenextrakt, blau: Wasser, grün: Jojobaöl.

[Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Rolf Daniels, Pharmazeutische Technologie, Universität Tübingen.]

Foto: Prof. Dr. Rolf Daniels

Barriereschützend und regenerativ

Die schützende und regenerierende Wirkung von Betulsionen auf die Haut ist durch unterschiedliche Studien dokumentiert, berichtete Prof. Dr. Wolfgang Gehring, Karlsruhe. So ließ sich z. B. nach siebentägiger Anwendung eine signifikant erhöhte Hautfeuchte in der Hornschicht messen. Auch eine daran anschließende Waschung mit Natriumlaurylsulfat zeigte an der mit Betulsionen vorbehandelten Haut eine signifikant geringere Austrocknung als an unbehandelter Haut. Wegen dieses barriereschützenden Effekts empfiehlt Gehring Betulsionen auch zur Hautpflege bei atopischer Dermatitis.

Gute klinische Erfahrungen mit Betulin-basierter Creme bei verschiedenen exsudativen Hautstörungen wie oberflächlichen Wunden, Sonnenbrand, Ekzemen und Wundliegen machten Prof. Dr. Christoph Schempp und Dr. Ute Wölfle, Freiburg. Schon nach wenigen Tagen regenerierte sich die Oberhaut vollständig, wie an über 111 Patienten dokumentiert wurde. Außerdem ließen sich sogar aktinische Keratosen damit bessern. Die regenerationsfördernde Wirkung der Betuline führen die Wissenschaftler auf eine verstärkte Expression von Calciumkanälen und einen dadurch vermehrten Calciumeinstrom in die Epidermiszellen zurück. Dies fördert die Differenzierung der Keratinozyten.

Juckreiz nimmt ab

Im Kompetenzzentrum Pruritus an der Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Münster, wurde Betulin-haltige Creme in einer offenen Anwendungsbeobachtung bei Patienten mit chronischem Juckreiz eingesetzt. Wie Dr. Ngoc Quan Phan berichtete, nahm die Juckreizintensität nach zwei Wochen signifikant ab, und auch Kratzläsionen reduzierten sich signifikant. Daher stellt Betulin-haltige Creme laut Phan eine therapiebegleitende Möglichkeit bei der Pruritus-Behandlung dar.

Schnelle Wundheilung

Dr. Hauke Schumann, Freiburg, setzte Betulin-Oleogel bei Kindern mit Epidermolysis bullosa ein. Bei dieser seltenen Erbkrankheit bilden sich schon infolge geringer mechanischer Belastung durch Ablösen der Oberhaut großflächige Blasen, die nach Aufplatzen schmerzhafte und schlecht heilende oberflächliche Wunden zur Folge haben. In einer ersten Beobachtungsreihe zeigten sich u. a. schnelle Wundflächenverkleinerung und Heilung chronischer Wunden. Mit der systematischen Fortsetzung solcher Fallbeschreibungen will Schumann auch Voraussetzungen für die Arzneimittelzulassung schaffen. Zwei ganz spezielle Fälle zum Einsatz von Betulincreme stellte Prof. Dr. Dr. Hans-Robert Metelmann, Greifswald, vor. Er setzte das Präparat zur Hautheilung nach lasergestützter Gesichtsstraffung (Facelifting) ein und erzielte damit eine schnellere Hautneubildung als mit den üblicherweise verwendeten Folienverbänden. Diese Fallberichte sind durch eine systematische Untersuchung mit 50 Freiwilligen untermauert, bei denen kleine Laserwunden am Unterarm behandelt wurden.

Wundheilung im Labor

Den Mechanismen der Wundheilung durch Betuline versucht Prof. Dr. Irmgard Merfort, Freiburg, mittels Scratch-Assay auf die Spur zu kommen. Es zeigte sich bereits, dass die für die Reepithelialisierung wichtige Zellmigration bei einer Extraktkonzentration von 0,5 µg/ml am höchsten war. Priv.-Doz. Dr. Johanna Brandner, Hamburg-Eppendorf, setzte Betulin-Oleogel in einem Ex-vivo-Modell an Stanzbiopsien aus Schweineohren ein und konnte damit nachweisen, dass das Oleogel die Reepithelialisierung der Wunde besser fördert als Vaseline. Auch am Wundrand fördert das Birkenpräparat im Gegensatz zu Vaseline die notwendige Zellvermehrung.

Hoffnungsträger für die Krebstherapie?

Aufgrund ihrer antientzündlichen und Apoptose-fördernden Wirkung haben Betuline auch in der Krebsforschung Interesse geweckt. Christian Strüh, Freiburg, stellte hierzu Forschungsergebnisse mit Betulinen aus der Mistel vor. Mithilfe von Cyclodextrinen gelang es, die Mistel-Betuline in wässrige Lösung zu bringen, so dass Mistelgesamtextrakt hergestellt werden konnte, der im Gegensatz zu bisher in der Krebstherapie eingesetzten Mistelextrakten auch Betuline enthält. Diese neue Zubereitung zeigte sowohl in Zellversuchen wie auch im Melanom-Mausmodell eine höhere antitumorale Wirkung als ein Betulin-freier Mistelextrakt. Weitere Untersuchungen sollen auch die Dosisfindung klären.

Betuline für alle

Betuline begegnen jedem von uns im täglichen Leben. Allerdings sollten wir vielleicht noch viel mehr mit ihnen in Kontakt kommen, denn, wie Dr. Sebastian Jäger, Niefern-Öschelbronn, verdeutlichte, könnte ihre Aufnahme mit der Nahrung gesundheitsprotektive Effekte haben. Vor allem mediterrane Kräuter aus der Familie der Lippenblütler wie Rosmarin, Salbei, Thymian und Majoran, aber auch Oliven und deren Öl, sind reich an Betulinen. Während dem Körper durch die klassische mediterrane Ernährung täglich ca. 17 mg Betuline zugeführt werden, sind es durch die in unseren Regionen übliche Kost lediglich 1 mg pro Tag. Hierzulande spielen Äpfel die Hauptrolle für die Betulin-Zufuhr. Ihren gesundheitsschützenden Effekt über die Nahrung entfalten die Betuline möglicherweise über ihr antientzündliches und damit z. B. vor Darmkrebs schützendes Potenzial. Vielleicht spielen Betulin-Extrakte also auch einmal als Nahrungsergänzungsmittel eine Rolle.

Keine Allergiegefahr!

Auch Birkenpollenallergiker können den Birkenrindeninhaltsstoff Betulin problemlos anwenden, da dieses Triterpen nichts mit dem sensibilisierenden Bet-Protein des Birkenpollens zu tun hat.

Quelle Dr. Ngoc Quan Phan, Münster; Prof. Dr. Dr. Hans-Robert Metelmann, Greifswald; Dr. Hauke Schumann, Freiburg, Dr. Hauke Schumann, Freiburg, Dr. Melanie Laszczyk, Darmstadt; Dr. Sebastian Jäger, Niefern-Öschelbronn; Priv.-Doz. Dr. Johanna Brandner, Hamburg-Eppendorf; Prof. Dr. Christoph Schempp, Freiburg; Dr. Ute Wölfle, Freiburg; Christian Strüh, Freiburg; Prof. Dr. Irmgard Merfort, Freiburg: Symposium "Betuline für die Haut", Pforzheim, 6. Februar 2010, veranstaltet vom Betulin-Institut e. V., Darmstadt, www.betulin.de.

 


Dipl.-Biol. Ulrike Weber-Fina

 

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